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Landskrone und Wartberg

Malerische Landschaft am Eingang zum Rotenturmpass

von Eckbert Schneider

In seinem 1869 erschienenen „Führer durch Hermannstadt und seine Umgebung“ empfiehlt der Verfasser Gustav Seivert den Reisenden, die Hermannstadt besuchen, als sehenswertes Ausflugsziel neben dem Hammersdorfer Berg, den Ortschaften Heltau, Michelsberg und Salzburg mit Recht vor allem den Rotenturmpass und seine Umgebung. „Zu diesem interessanten Ausflug braucht man schon einen vollen Sommertag. Wenn man morgens 5.00 Uhr von Hermannstadt abfährt, so kann man 7.30 Uhr in Talmatsch sein, von hier aus besucht man die Landskrone, die Ruine einer Burg auf einem steilen Hügel, welche im Jahre 1370 erbaut wurde. Das Besteigen dieses Berges ist lohnend, denn man übersieht einerseits das Zibinstal bis hinauf an den Szetscheller Berg, andererseits aber das imposante Altthal...“

Zu jener Zeit hatte Hermannstadt noch keinen Bahnanschluss an das von Westen her erst bei Alba Iulia ausgebaute südsiebenbürgische Eisenbahnnetz. Die Reisenden mussten zum Besuch ihrer Ausflugsziele Kaleschen, Lohnkutschen oder den Postwagen benutzen. So dauerte eine Reise bis zum Rotenturmpass mit diesen Verkehrsmitteln vor dem Ausbau der Eisenbahnlinie von Sibiu/Hermannstadt nach Avrig/Freck (1888 – 1891) etwa 2 ½ Stunden. Heute benötigt man kaum mehr als eine halbe Stunde Bahnfahrt, um aus der etwa 20 km nördlich gelegenen Kreisstadt zu den Bahnstationen von Tălmaciu/Talmesch, Podu Olt oder Turnu Roşu zu gelangen, von wo sich für kurze Tages- oder auch Halbtagesausflüge in eine der reizvollsten Gegenden Südsiebenbürgens mehrere Möglichkeiten bieten.
Es ist der überaus malerische Winkel vor dem Rotenturmpass, „wo Hügel und Gebirge sich zu einem undurchdringlichen Grenzwall zusammenschieben“ (E. A. Bielz), wo über dem tiefen Einschnitt des Rotenturmpasses die gewaltigen Zacken des Fogarascher Hochgebirgskammes den abgerundeten, sanfteren Bergrücken des Lotru- und Zibinsgebirges gegenüberstehen. Hier vereinigt sich der unter dem Cindrel-Gipfel in grünen Gletscherseen entspringende Zibin mit dem klaren Zoodt-Bach, um sich dann am Fuße des Wartberges in die gelben Fluten des Alt, des längsten Flusses des Landes (698,8 km) zu ergießen.
Von Franz Neuhauser und Ludwig Rohbock bis Karl Eduard Closius, Trude Schullerus und Hans Hermann gibt es kaum einen einheimischen Landschaftsmaler, der nicht mit Pinsel und Palette oder Skizzenblock vor dieser Landschaft gesessen ist und hier Eindrücke gesammelt hat für zauberhafte Bilder, die heute in manchem heim von der Schönheit dieses Erdenwinkels künden.
Der Bergwanderer kann hier auf einer Strecke von wenigen Kilometern alle Höhen- und Vegetationsstufen der Karpaten mit ihrer eigenartigen Tier- und Pflanzenwelt durchwandern und kennen lernen, wenn er den Aufstieg zu den hochalpinen Gipfelgraten (um 2500 Meter) bei der Ortschaft Turnu Roşu oder unten im Pass (bei etwa 380 Meter) beginnt. Ein gewisses körperliches Training wird freilich vorausgesetzt, um den Höhenunterschied von über 2000 Metern bewältigen zu können.
Es gibt hier aber auch zahlreiche Ausflugsziele und Wege für gemütlicheres, beschaulicheres Wandern, das weniger Kraftaufwand verlangt und doch vielseitige Interessen befriedigen kann. Diesen Möglichkeiten wollen wir uns im Folgenden zuwenden.

Die Landskrone

Von den zwischen den Ortschaften Tălmaciu/Talmesch, Boiţa, Turnu Roşu und der Bahnstation Podu Olt in einem unregelmäßigen Viereck eingeschlossenen Anhöhen ist die Landskrone die bekannteste. Am leichtesten zu erreichen ist sie über die Landstraße, die von Talmesch über einen Sattel hinüber nach Boiţa und in den Rotenturmpass führt. Auf dem links der Straße aufsteigenden, nach Norden steil abfallenden Bergkegel wurde im Jahre 1370 als Schutz gegen die anwachsende Türkengefahr die Festung Landskrone erbaut. Ihr Bestand währte nicht lange, schon 1453 wurde sie geschleift, nachdem im Innern des Rotenturmpasses die Lauterburg, die Pass-Sperre beim so genannten „Zerbrochenen Turm“ und das Kastell des Roten Turmes erbaut worden waren.
Nahe einer wichtigen Verkehrsstraße gelegen, wird die Landskrone von alten und neueren Reiseführern immer wieder als günstige Aussichtswarte empfohlen, so auch vom klassischen siebenbürgischen Baedeker der Jahrhundertwende, dem Büchlein „Siebenbürgen. Ein Handbuch für Reisende“ von E. A. Bielz. Danach bietet sich von der Landskrone ein „prachtvoller Blick auf das Fogarascher Hochgebirge; nach Osten öffnet sich ein Einblick in das weite und reißende Alttal; nördlich breitet sich die gegen 338 Quadratkilometer umfassende Zibinsebene aus, in welcher man Talmesch und zahlreiche andere Ortschaften erblickt; die Fernsicht begrenzt im Westen das freundliche Zoodttal, daran reiht sich südlich das in tiefer Bergschlucht verborgene Dörfchen Talamtschel und weiter nach Süden am Altflusse unmittelbar vor dem Eingange des Passes das Dorf Boicza, über welches im Hintergrunde der viereckige ‚Rote Turm’ auf festem Kastelle sich erhebt, der dem ganzen Engpasse den Namen gegeben hat“.
Von der Festung Landskrone sind nur wenige Mauerreste übrig geblieben. Im Burghof ist eine Wetterwarte eingerichtet, die die klimatischen Eigentümlichkeiten der Gegend vor dem Altpass wissenschaftlich zu ergründen sucht, denn auch das Wetter hat hier seine Eigenheiten. Der Altpass ist ein wahres Windloch, durch das der hierzulande allbekannte südliche Talmescher Föhn bläst, ein wahrer Gegenspieler der meist wetterbestimmenden Westwinde. Wenn er bläst, wirft er oft die sichersten Wetterprognosen für Südsiebenbürgen über den Haufen und bewirkt dass über der nahen Zibinssenke klarer blauer Himmel strahlt, wenn über andere Landesteile Regen- oder Schneewolken ziehen.

Der Wartberg

Weniger bekannt und begangen, liegt südöstlich der Landskrone unmittelbar über der Einmündung des Zibins in den Alt, die 564 Meter hohe Măgura Boiţei oder der Wartberg. Sein rund 200 Meter über die Flussebene ragender dachförmiger Rücken bietet die weitaus beste Aussichtswarte in der Berührungszone des Hügellandes mit der Altebene und der Fogarascher Gebirgskette.
Der Wartberg kann am besten von den Bahnstationen Podu Olt oder Turnu Roşu erreicht werden. Anmarschweg ist die die beiden Stationen verbindende, pappelgesäumte Landstraße, von der nahe der Altbrücke ein Feldweg nach Westen abzweigt und zu einer hölzernen Brücke führt, über die der Zibin überquert werden kann.
Den Aufstieg beginnen wir am besten an der viel weniger steilen Nordabdachung. Auf wenig begangenen Pfaden durch dichten, manchmal von kleinen Wiesen unterbrochenen Buschwald mit viel Haselgesträuch geht es allmählich aufwärts zum Kamm. Hier eröffnet sich uns dann eine überraschend schöne und weite Aussicht nach allen Himmelsrichtungen. Tief unter uns, am Fuße des nach Süden sehr steil abfallenden Berges, strömt weidenumsäumt der Alt dem nahen Passeingang zu. Jenseits des Flusses breitet sich die Ortschaft Turnu Roşu (früher Porceşti) aus. An ihrem Ostrand liegt die berühmte Fossilienfundstelle, aus der viele Haifischzähne, Seeigelreste, versteinerte Muscheln, Schnecken und Korallen des eozänen Meeres stammen. Weiter östlich, am Fuß des Gebirges, können wir die Ortschaften Ober- und Untersebesch erkennen und die weite flache Ebene des Altlandes. Über die langen Rücken seiner bewaldeten Ausläufer erhebt sich der gezackte Kamm des Fogarascher Gebirges. Am mächtigsten erscheint aus unserer Perspektive der breite, sargdeckelartige Rücken des Surul-Massivs (2283 Meter), gefolgt gegen den tiefen Einschnitt des Rotenturmpasses von den Spitzen des Tătaru (1890 Meter), der Chica Fedeleşului (1816 Meter) und Chica Pietrilor (1606 Meter). Westlich des Altpasses sind die abgerundeten Höhen der Muma und der Prejba (1744 Meter) sowie der Cindrel- Höhenzug zu erkennen.
Nach dem Rundblick in die Ferne wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun der Pflanzenwelt des Wartberges zu. Vom frühen Frühjahr, wenn an den Trockenhängen am südlichen Steilabfall die Erdsegge stäubt und die Kuhschelle ihre dunkelvioletten, pelzverbrämten Blütenglocken öffnet, bis in den Spätherbst hinein, wenn auf den Hutweiden die Herbstzeitlose blüht und der Herbstkrokus im Gebüsch seine blasslila Kelche aus dem braunen Falllaub streckt, gibt es an den Hängen des Wartberges immer etwas Interessantes zu entdecken und zu beobachten. Ist es diesmal eine auf grober Schotterunterlage brütende Nachtschwalbe, so ist es ein andermal eine seltene Orchidee, eine südliche Deckelschnecke oder eine eben aus ihrer Nymphenhaut geschlüpfte große Eschenzikade.
Von den für den steilen, felsigen, sonnenbeschienenen Südabfall kennzeichnenden Pflanzenarten möge zunächst ein hier in lockeren Beständen wachsendes Holzgewächs, die Manna-Esche, herausgegriffen werden. Diese mediterrane Baumart ist in Südsiebenbürgen nur von wenigen Reliktstandorten, wie im Weißbachtal von Marktschelken und vom Rothberger Burgberg, bekannt. Auf dem lockeren Gesteinsgrus der Steilhänge hat das Siebenbürgische Blaugras seinen „klassischen Standort“. Vom Botaniker Ferdinand Schur entdeckt, wurde es erstmals 1853 nach Exemplaren vom Wartberg beschrieben.
Am schönsten blüht es in den offenen Federgrasfluren und Trockenrasen an den warmen Gebüsch- und Waldrändern im Frühsommer, Ende Mai bis Juni. Zwischen den Silbergrannen des Federgrases leuchtet blau der Österreichische Ehrenpreis hervor. Purpurblauer Steinsame, Blutroter Storchenschnabel, Ästige Graslilie, Sibirische Glockenblume und Blaugrünes Labkraut schmücken Lichtungen und Gebüschsäume. Auf dem steinigen, kargen Bergplateau gegen den Südwestabfall des Berges weben rote Thymianpolster, dichte Bestände von Pfeilginster, orangefarbener Wundklee, gelbe und weiße Ginster- und Geißkleebüsche und die großen dunkelrosa Blüten der Essigrose einen bunten Blumenteppich in die Wiesenfluren.
Reich ist die Gegend an Knabenkrautgewächsen: Salepknabenkraut, Geflecktes und Wanzen-Knabenkraut, Händelwurz, Waldhyazinthe, Großes Zweiblatt und Braunrote Stendelwurz konnten hier festgestellt werden.
Doch lassen wir unseren Blick von der bunten Vielfalt der Nähe noch einmal in die weitere Umgebung des Wartberges, und zwar diesmal gegen Nordosten, schweifen. Da fällt uns eine dritte Anhöhe auf, die sehr steil gegen die Altebene abfällt und jedem Naturfreund, der die Gegend besucht, anzuempfehlen ist:

Die Konglomerate von Podu Olt

Unmittelbar über der Bahnstation Podu Olt, wo sich die von Sibiu/Hermannstadt kommende Bahnlinie gabelt und einerseits ins Fogarascher Land in Richtung Braşov/Kronstadt weiterführt, andererseits in großer Schleife den Altfluss überquert und sich dem Rotenturmpass zuwendet, erheben sich die Steilhänge der Konglomerate von Podu Olt – Tălmaciu. Sie bestehen aus groben, fest verbackenen Kies-, Sand- und Schotterschichten, die an den Steilwänden gegen die Altaue als „Nagelflue“ zutage treten. Auf dem Rücken des Piatra Chiorului bis zu dem Bergplateau gegen das Zibinstal bei Talmesch finden sich noch schöne alte Eichenbestände; in kühlen Schluchten und in Nordlagen wandert man im Schatten hochstämmiger Rotbuchen. Zu den anziehendsten Plätzen zählen hier die steilen Südhänge mit ihren bunten Grasfluren zwischen lockeren Gebüschgruppen. An diesen sonnig-warmen Standorten haben sich Pflanzen und Tiere südlich-balkanischer und östlich- kontinentaler Herkunft zu artenreichen und von menschlicher Hand noch relativ wenig gestörten Lebensgemeinschaften zusammengeschlossen.
An den Gebüschsäumen von Siebenbürgischer Eiche, Silberlinde, Elsbeere, Wolligem Schneeball und Pimpernuss blühen im Frühjahr Ruthenische und Ungarische Schwertlilie, die Immenblume und der Purpurblaue Steinsame. Bemerkenswert sind im Frühsommer die langstielige Riesennelke, Kitaibels Labkraut, später die großen Dolden der Hirschwurz. In Schattensäumen des Eichenwaldes reifen im Herbst die roten Beeren der heilkräftigen Schmerwurz, einer seltenen mediterranen Schlingpflanze. An den steilen, schattigen Felsabstürzen des Ostabfalls wurde vor kurzem eine bisher nur südlich des Rotenturmpasses bekannte Pflanze östlicher Herkunft, das Kaukasische Labkraut, entdeckt – eine somit für Siebenbürgen neue Blütenpflanze.
Wenn die Blütenpracht des Sommers und der Farbenrausch des Herbstes ihrem Ende zu gehen und die Wälder lichter werden, sollte man die letzten schönen Herbsttage nutzen, um vor Wintereinzug noch einmal einen Rundblick zu tun in die schöne südsiebenbürgische Hügel- und Berglandschaft. Wenn jetzt der Morgen auch kühl und der tag kurz ist, strahlt doch um die Mittagszeit, wenn die Talnebel über den Niederungen sich aufgelöst haben, die Sonne wärmend von einem wunderbar klaren Herbsthimmel und eröffnet uns von der Landskrone oder vom Wartberg Fernsichten, wie wir sie zu anderen Jahreszeiten und von anderen Aussichtswarten in weitem Umkreis kaum erleben können.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 85, S. 178 – 186)

Seite Bildunterschrift
 
178 Blick vom Wartberg nach Norden: die Landskrone.
180 „Gewiss bildete der Pass schon in prähistorischen Zeiten ein Völkertor“ (G. Bedeus). Der „Zerbrochene Turm“, von Franz Neuhauser dargestellt.
181 „Das Kastell Roterturm bei Boitza mit dem massigen, rot getünchten Turm gibt ein hübsches Bild“ (G. Bedeus). Stich von Ludwig Rohbock.
183 Ursprünglich, weil wenig zugänglich: die Konglomerate von Podu Olt.
184 Wie in einen Trichter ergießt sich hier der Alt in den Pass.
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