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Die Westkarpaten haben viele Tore

Einladung zu einer Rundreise per Eisenbahn und noch einiges mehr

von Lia Gross

Wir schlagen Ihnen diesmal eine Tour im Westen des Landes vor. Wir wollen per Zug und auf Schusters Rappen die Westkarpaten umrunden. Die Route Câmpia Turzii – Cluj-Napoca – Oradea – Beiuş – Vaşcău – Brad – Deva – Alba-Iulia – Câmpia Turzii ist fast gänzlich mit dem Zug zu bewältigen; es bleiben nur zwei Verbindungsstrecken von 27 bzw. 36 km zu laufen.

Die Westkarpaten – eine in mehrere Massive gegliederte Berglandschaft, deren Ruf als Wanderparadies mit vielen Extras die Grenzen des Landes schon längst überschritten hat. Welcher Wanderfreund hat noch nie von der Eishöhle von Scărişoara, den Cetăţile Ponorului, den Cheile Turzii, der Bärenhöhle, vom Brautmarkt auf dem Găina-Berg gehört – um nur einige dieser Extras zu erwähnen. Welcher Wanderer hat in den Westkarpaten nicht die Motzen und ihre Streusiedlungen in den Bergen besucht, war von den zahlreichen Karsterscheinungen nicht beeindruckt, von der lieblichen Landschaft nicht begeistert?
Die Westkarpaten – obwohl kein Hochgebirge (der höchste Gipfel erreicht nur 1848 m) – üben auf alle Wanderfreunde eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus: Wer sie kennt, geht immer wieder gerne hin, um noch mehr von dieser schönen Gegend in sich aufzunehmen; wer noch nie da war, ist neugierig sie kennen zu lernen.
Das größte, höchste und wichtigste Massiv mit den meisten und bekanntesten Karsterscheinungen ist das Bihor-Gebirge, das größtenteils aus Kalkstein besteht. Die Vlădeasa-Berge hingegen sind Eruptivgestein. Das Erzgebirge (Munţii Metaliferi) besteht aus Sandstein und Schiefer; seinen Erzreichtum verdankt es urzeitlicher vulkanischer Aktivität. Die übrigen Massive, die im Inneren unseres Rundkurses liegen, sind die Gilău-Berge (Granit und kristalliner Schiefer), die Trascău-Berge und die Pădurea-Craiului-Berge (beide Kalkstein). Außerhalb, aber dazugehörig die, Zarand-, Codru-Moma- und Mezeş-Berge.
Auf unserem Rundkurs gibt es zahlreiche Ortschaften, von wo aus man in die Westkarpaten eindringen kann. Landstraßen, Kreisstraßen *), Forststraßen, Karrenwege, markierte Wanderpfade führen zu allen Sehenswürdigkeiten. Die Fahrwege machen zumeist große Umwege, sind daher sehr lang, und der Wanderer wird sie tunlichst vermeiden, es sei denn, er hofft, von irgendeinem Gefährt mitgenommen zu werden, um schneller ins Herz der Westkarpaten vorzustoßen.
Nach diesem kurzen Überblick müssten wir uns auf den Weg machen. Aber da wäre noch etwas erwähnenswert, die Tatsache nämlich, dass auch in dieser Gegend zahlreiche Spuren aus der Vergangenheit zu finden sind, Spuren, die die römischen Eroberer vor fast 2000 Jahren hinterlassen haben, wie z.B. Stollen und Wege im Erzgebirge, wo sie Gold, Silber und andere Buntmetalle abgebaut haben, oder die Ruinen in den Mezeş-Bergen, die letzte Reste uralter Befestigungen darstellen, welche entlang der Grenze von Dacia Porolissensis verliefen und aus Wachtürmen und Kastren bestanden.
Nun aber geht’s los. In Câmpia Turzii besteigen wir den Zug und fahren nach Cluj-Napoca (Klausenburg). Diese Stadt wollen wir unbedingt besuchen, denn sie hat vieles zu bieten: den Botanischen Garten, das Universitätszentrum, das Museum im Banffy-Palais, die gotische Hallenkirche des Hl. Michael, das Ethnographische Museum Siebenbürgens, die reformierte und die Piaristenkirche, die Schneiderbastei, die seinerzeit zur Stadtmauer gehörte, die orthodoxe Kathedrale und die Franziskanerkirche, das alte Zentrum und die Neubauviertel. Von den Hügeln Dealul Feleacului (730 m) und Dealul Cetăţuia (405 m) kann man die am Someş liegende Stadt und ihre Umgebung wie von einer Aussichtswarte überblicken und feststellen, dass Cluj-Napoca eine der größten Städte unseres Landes ist, ein wichtiges Industrie- und Kulturzentrum, eine Ortschaft in voller Entwicklung.
Wenn wir jetzt den Zug wieder besteigen, geht es westwärts. Erste Station, die für einen Ausflug in die Westkarpaten in Frage kommt, ist Huedin. Ein Fahrweg führt in Richtung Süd nach Călata. Hier trennen sich die Wege: links geht’s über Călăţele weiter bis Albac im Arieş- Tal (mit einer Abzweigung zur Scărişoara-Hütte), rechts über Răchiţele zur Padiş-Hütte. Es folgen eine Reihe von Stationen, die fast alle auch Einfallstore in die Westkarpaten darstellen: Bologa: ein Fahrweg sowie drei markierte Pfade zur Vlădeasa-Hütte. in Bologa selbst kann man eine Burg aus dem 14. Jh. besichtigen. Poieni oder Valea Drăganului: ein Fahrweg zum Touristenkomplex Valea Drăganului und zum gleichnamigen Stausee. Von diesem Weg zweigt ein markierter Pfad ab, der zur Vlădeasa-Hütte führt. Ciucea: ein Fahrweg über die Mezeş-Berge nach Jibou; auf diesem Weg liegen die weiter oben erwähnten Ruinen der römischen Verteidigungsanlagen (bei Buciumi, Românaşi, Romita). In dieser Ortschaft sehenswert: das Haus, in dem Octavian Goga gelebt hat, und das heute Museum ist. Bulz oder Stâna de Vale: ein Fahrweg die Valea Iadului entlang, der über Remeţi zum Leşu-Stausee sowie zur gleichnamigen Hütte und weiter zum Komplex Stâna de Vale führt. Eine Abzweigung bei Remeţi führt in die Valea Drăganului.
Ab Ciucea und etwa bis Aleşd fährt der Zug durch eine beeindruckende Gegend: durchs Engtal der Schnellen Kreisch. Links die Pădurea-Craiului-Berge, rechts die Mezeş-Berge bilden himmelhohe Wände, die sich streckenweise geradezu beängstigend nahe kommen. Suncuiuş: In der Nähe dieser Ortschaft liegt die längste Höhle unseres Landes, die Peştera Vântului. Vadul Crişului: Nur 2 km von der Station entfernt sind die Höhle Peştera din Vadul Crişului und die Hütte gleichen Namens. Aleşd: ein Fahrweg über Roşia und Remetea nach Beiuş mit Abzweigung zur Meziad-Höhle.
Allmählich gelangen wir nach Oradea (Großwardein), der nächsten Stadt, die wir besichtigen wollen. Sie liegt an der Schnellen Kreisch (Crişul Repede) und ist die erste große Stadt auf rumänischem Territorium für Auto-Touristen, die bei Borş auf der E 15 ins Land kommen, aber auch für diejenigen, die über Episcopia Bihor mit der Eisenbahn anreisen. Sehenswert sind Museen und Kirchen und das alte Zentrum mit seinen zahlreichen Barockbauten. Interessant auch die Großwardeiner Burg, deren fünf Verteidigungstürme und die dicken Burgmauern noch in relativ gutem Zustand sind.
Weiter geht’s. Wir besteigen den Zug nach Vaşcău. Nur eine Viertelstunde Fahrzeit, und wir gelangen nach Băile Felix (Felix-Bad): ein Badekurort am Rande der Westkarpaten. Die Thermalquellen von hier und vom danebenliegenden Badekurort Băile 1 Mai kannten schon die alten Römer und wussten ihre Heilkraft zu nutzen. Heute sind diese Kurorte groß ausgebaut worden. Thermalwasser und Faulschlamm sind hier die wichtigsten Heilfaktoren. Beiuş ist auf dieser Strecke das erste Tor zu den Westkarpaten. Fahrwege führen nach Stâna de Vale und zur Meziad-Höhle. Sudrigiu: ein Fahrweg zur Padiş-Hütte (über Pietroasa) und einer nach Chişcău, wo unsere neueste Touristenattraktion, die Bärenhöhle, besichtigt werden kann. Oraşul Dr. Petru Groza (Ştei): Auch von hier kann man zur Padiş- Hütte fahren. Hier beginnt auch die Landstraße DN 75, die ins Arieş-Tal führt und über Arieşeni und Albac nach Câmpeni gelangt. Von dieser Straße zweigt ein Weg nach Sighiştel ab; da beginnt ein markierter Pfad durchs Sighiştel-Tal, reich an Karsterscheinungen. Vaşcău – Endstation. Nun geht’s zu Fuß weiter. 28 km auf der DN 76 bis Vârfurile. Wir kommen u. a. durch Criştior, von wo ein Fahrweg in Richtung Câmpeni abzweigt. Er führt durch die Ortschaft Avram Iancu, die am fuße des Găina-Berges liegt, wo alljährlich an einem Sonntag um den 20. Juli der Brautmarkt stattfindet, ein Volksfest mit allem Drum und Dran. Hierher kamen früher die jungen Motzen auf Brautschau.
In Vârfurile besteigen wir den Zug in Richtung Brad. Bald gelangen wir nach Hălmagiu, ein anderer Ausgangspunkt zum Găina-Berg. Weiter geht’s bis Brad. Von hier führt ein Fahrweg nach Abrud. In Brad gibt’s ein interessantes Museum zu besichtigen: das Geologie- und Mineralogie-Museum – im Volksmund das „Museum des Goldes“ –, das man allerdings nur mit einer Bewilligung des in der Stadt befindlichen Gold-Kombinats betreten darf. Und nun wandern wir wieder: 36 km bis Deva. Hier wollen wir erst einmal die Ruinen der alten Devaer Burg besichtigen. Sie liegen auf einem fast 400 m hohen Hügel. Da kann man die Stadt wie aus der Vogelperspektive betrachten. Wieder unten, wollen wir das Museum besuchen, vor allem seine Archäologie-Abteilung. Nachdem wir auch die Stadt kennen gelernt haben, besteigen wir den Zug in Richtung Teiuş. Wir kommen u. a. durch Simeria (sehenswert der dendrologische Park), Orăştie (Broos) und Geoagiu. Von hier führt ein Fahrweg zu dem Badekurort Geoagiu, wo Thermalquellen sprudeln, und weiter ins Ampoi- Tal nach Zlatna. Es folgt die wichtigste Station auf dieser Strecke: Alba Iulia, eine Stadt, die tief in der Geschichte unseres Landes verwurzelt und heute ein bedeutendes Wirtschafts- und Kulturzentrum ist. Dieser Stadt wollen wir nun einen Besuch abstatten. Zuerst natürlich dem historischen Teil: der Burg auf dem Römerplateau. Vor dem dritten Burgtor prangt der zur Erinnerung an die Führer der Erhebung von 1784 – Hora, Clocşa und Crişan – aufgestellte Obelisk. Sehenswert sind ferner das Museum, die römisch-katholische Kathedrale, das Bischofspalais, die orthodoxe Kathedrale. Einen ganz besonderen Schatz an wertvollen alten Schriften beherbergt die Bibliothek der Stadt, das berühmte Bathyaneum. Aus Alba Iulia können wir einen Abstecher ins Erzgebirge machen, und zwar mit dem Zug das Ampoi-Tal hinauf bis Zlatna, denn zu Fuß weiter nach Bucium (zu den Detunate und weiter nach Roşia Montană), Abrud und schließlich in die Hauptstadt des Motzenlandes Câmpeni, das Tor zum Bihor-Gebirge. Nächste Station auf unserem Rundkurs ist Teiuş. Von hier führt ein Weg in die Trascău-Berge, u. a. zu der Intregalde-Klamm. Aiud: ein Fahrweg über Berg und Tal, der in Abrud endet. Unterwegs, beim Dorf Râmeţi, sollte man die wilde Râmeţi-Klamm nicht links liegen lassen.
In Câmpia Turzii schließt sich der Kreis, der Ausflug jedoch geht weiter – hinein in die schöne Welt der Berge. Turda: markierte Pfade bringen uns zur sehr bekannten Turda- Klamm und zur kleineren nicht so berühmten Turului-Klamm. Danach besteigen wir den Zug und fahren das Arieş-Tal entlang. (Ist leider nicht mehr möglich, die Strecke wurde 1997 still gelegt.) Rechts haben wir die Gilău-, links die Trascău-Berge und später das Erzgebirge. So kommt es, dass man unterwegs an fast jeder Station aussteigen und loswandern kann, denn überall gibt’s was zusehen. Buru, Ocoliş, Lunca Arieşului, Poşaga, Sălciua de Jos, Baia de Arieş sind solche Ausgangspunkte, einige warten sogar mit markierten Pfaden auf. Und dann kommt Câmpeni, die Stadt, von wo aus wohl die meisten Ausflüge in die Westkarpaten, hauptsächlich ins Bihor-Gebirge, gestartet werden. Die Landstraße DN 75, die unseren Zug seit Turda begleitet hat, führt weiter das Arieş-Tal hinauf, durch Albac nach Gârda de Sus, Arieşeni und Nucet. Dies sind die Ausgangspunkte zahlreicher markierter Pfade, fahr und Forstwege zu den schönsten Wanderzielen, zu den interessantesten Karsterscheinungen, wie Klammen, Höhlen, Dolinen, Karstquellen, Wasserschwinden. Erwähnen wir nur die Eishöhle von Scărişoara, die Galbena-Klamm, die Cetăţile Ponorului, die Cetatea Rădesei, die Höhle Focul Viu, die Groapa Ruginoasă, das Karstplateau Padiş...
Nachdem wir Câmpeni und Umgebung erforscht haben, fahren wir mit unserem Zug weiter. Nächste Station ist Roşia Montană. Hier wurde bereits vor unserer Zeitrechnung Gold gefördert. Später holte die Römer Gold und Silber aus den Eingeweiden dieser Berge. Und so ging das immer weiter. Eine wahre Goldgrube! Von Roşia Montană kann man weiterwandern bis zu den Basaltsäulen von Detunata, die unter Naturschutz stehen wie so vieles andere in diesen Bergen.
Endstation unserer Zugfahrt ist Abrud. Früher war hier die Umschlagstelle für das in den Bergen rundum geförderte Edelmetall. Reste römischer Kastren, die die „Hauptstadt des Goldes“ schützen sollten, kann man heute noch besichtigen.
Hier endet auch unsere Reise rund um die Westkarpaten – mit größeren oder kleineren Abstechern „in medias res“. Wir haben Ihnen damit die verschiedenen Tore zu dieser herrlichen Bergwelt aufgestoßen. Eintreten und sich umsehen müssen Sie schon selber. Und zwar aufgrund einer minutiös geplanten Marschroute und mit Hilfe guter Wanderkarten. Unsere Vorschläge wollen bloß als Anregung verstanden sein – als Einladung in die Wunderwelt dieser Berge.

*) Auf den Land- und Kreisstraßen verkehren Autobusse, die die langen Anmarschwege bedeutend erleichtern.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 85, S. 168 – 176)

Seite Bildunterschrift
 
169 Kartenskizze
170 Viel besucht: Die Turda-Klamm.
171 Streusiedlung im Bihor-Gebirge.
173 Die Basaltsäulen von Detunata.
175 Burgtor in Alba Iulia.
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