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Auf zum Netiş-See

Auf unmarkierten Pfaden im Retezat

von Eduard Hegyesi

Es ist meine Lieblingstour im Retezat-Gebirge: Der Weg zur Gura-Zlata-Berghütte, über den Netiş-Gipfel zum Netiş-See und über den Bloju-Gipfel zurück zum Ausgangspunkt. Man erlebt dabei eine unvergessliche Hochgebirgslandschaft, kann am Seeufer zelten und erholsame Stunden in völliger Abgeschiedenheit genießen.

Die Bergtour ist nicht leicht, mitunter sogar recht strapaziös. Ihre Einmaligkeit aber entschädigt auch den höchsten Kraftaufwand. Sie ist auch als Wochenendausflug geeignet (erfahrene Wanderer legen sie in neun bis zehn Stunden zurück), sollte aber lieber als mehrtägiger Ausflug geplant werden, um dieses schöne Stück Karpatenlandschaft auch wirklich in seiner ganzen Erhabenheit erleben zu können.
Die Wanderung beginnt in Sarmizegetusa (wenn man mit dem Zug anreist; Autofahrer können bis zur Berghütte fahren). Die Ortschaft ist geschichtsträchtig, deshalb sollte man die Gelegenheit ausnützen und das Museum und die Ruinen der Hauptstadt des römischen Dazien, Ulpia Trajana Sarmizegetusa, besichtigen; die Arena der Gladiatoren und die Ruinen des Palastes der Augustalier. In der Ortschaft gibt es auch einen Campingplatz und ein Motel. Wer erst in den Morgenstunden aufbrechen will, ist hier gut untergebracht.
Aus Sarmizegetusa führt die Trasse in die Gemeinde Clopotiva (etwa 3 km, Markierung rotes Band, später rotes Kreuz). Aus der Gemeindemitte folgt man dem Asphaltband, das sich 22 km lang durch das Râul-Mare-Tal schlängelt (Markierung rotes Kreuz). Das Tal ist außergewöhnlich malerisch: breite Seitentäler und Auen wechseln mit Wald, Klammen, Steilhängen und zerklüftetem Fels. Nach fünf Stunden Fußmarsch steht man vor der Gura-Zlata-Berghütte. Autofahrer haben es leichter. Sie können bis hierher fahren und den Wagen in Hüttennähe abstellen.
Nachdem man in der Hütte oder in einem der schmucken Holzhäuschen Logis bezogen und sich mit einem kräftigen Mahl gestärkt hat, bleibt noch genügend Zeit, um die Umgebung zu erkunden oder ein Sonnenbad zu machen. Erfrischung bietet das in Hüttennähe sprudelnde Bächlein. Handelt es sich um größere Wandergruppen, ist es ratsam, vorher beim Kreisamt für Tourismus (OJT) Deva oder bei der Zweigstelle in Hatzeg Plätze zu reservieren, weil die Unterbringungskapazität in Gura Zlata begrenzt ist.
Am nächsten Tag geht es schon in den frühen Morgenstunden das Râul-Mare-Tal bergauf. Etwa eine Stunde folgen wir dem Asphaltband, das zum Stausee Gura Apei führt. Dann geht es rechts auf einer Straße mit Betonbelag weiter. 45 Minuten lang schlängelt sie sich in Serpentinen bis zum Gebäude, wo die Luftdruckpumpen der Kraftwerksbaustelle Gura Apei dröhnen. Die Straße biegt nun nach rechts, unsere Route aber führt weiter bergauf durchs Netiş-Tal.
Von diesem Pfad, der sich im Netiş-Tal bachaufwärts dem Netiş-See zu schlängelt, darf kein Abstecher nach rechts oder links gemacht werden. Die Gefahr, sich zu verirren, ist besonders groß. Hat man Glück, kann man auf diesem Pfad auch Bären sichten. Nach etwa dreiviertelstündigem Weg gelangt man zu einer aufgelassenen Sennhütte. Der Pfad zieht weiter bergan, verschwindet nach ungefähr anderthalb Stunden, um bald darauf wieder aufzutauchen. Man braucht sich deshalb keine Sorgen zu machen. Schließlich gibt es einen zuverlässigen Wegweiser: den Netiş-Bach. Von rechts öffnet sich bald ein Geröllfeld, und dem Wanderer bietet sich ein wundervolles Panorama: die Netiş-Fälle.
Es ist höchste Zeit zu rasten. Auch, um diese steinerne Welt zu bewundern, vielmehr aber, um neue Kräfte für den folgenden Weg zu sammeln. In den Serpentinen kommt man ganz schön ins Schwitzen. Oberhalb des Wasserfalls bietet sich ein breites Blickfeld auf die beginnende alpine Welt: unter uns das Netiş-Tal, dann die Kaskaden und im Osten massig der Retezat.
Der eiskalte und kristallklare Netiş-Bach wird durchwatet und ein weites Feld von giftgrünen, herben Krummholzkiefern durchquert. Rechts ragen die Pietrii-Spitze und der Dealul Negru empor, links die Custurii-Spitze. Fast eine Stunde lang geht’s durch das Zwergkiefernfeld bergan, dann nur noch an vereinzelten Mugokieferbüschen vorbei. Der Netiş-Bach, der rechts unser ständiger Begleiter war, biegt jetzt nach links ab, und in der Ferne sehen wir ihn aus dem Bloju-Sattel kommen. Jetzt geht’s noch eine halbe Stunde lang ziemlich steil bergauf, ohne aber den Bach aus dem Auge zu verlieren. Dann bietet sich das raue Panorama des Netiş-Kessels mit dem Gletscherauge, dem Netiş-See. An seinem Ufer, wo im Juni Rhododendron seine feuerrote Blütenpracht entfaltet, wird gerastet. Hier können auch die Zelte aufgeschlagen werden. Denn nur hier und im Gebiet der „Stânca părăsită“ ist freies Campen erlaubt.
Handelt es sich nicht um eine Wochenendtour, sollte man erst am nächsten Tag, nach ausgiebiger Rast die Wanderung fortsetzen. Also einen guten windgeschützten Zeltplatz suchen, das Essen vorbereiten und dann diese herrliche Landschaft genießen. Selbst bei schönstem Wetter wird davon abgeraten, im See zu baden.
Vom Seeufer ist es nur noch ein Zwanzig-Minuten-Spaziergang bis in den Bloju-Sattel und noch 15 Minuten bis auf den Bloju-Gipfel (2165 m). Dem Betrachter bietet sich ein unvergesslicher Rundblick: Tief untern das Netiş-Tal, im Osten das Retezat-Massiv, in der Gegenrichtung der Ţarcu, im Norden der 2195 m hohe Netiş-Gipfel und im Süden das höhlenreiche Kalksteinmassiv des Godeanu.
Von hier kann in verschiedene Richtungen weitergewandert werden. Doch sollte das im Falle einer Erstwanderung nur unter Leitung eines kundigen Bergführers oder eines Ortsansässigen geschehen (Verirrungs- und Unfallgefahr). Trotzdem will ich die unmarkierten Wanderwege, denen man von hier aus folgen kann, anführen: Vom Bloju- Gipfel und über Piatra Blojului bietet sich die Gelegenheit, nach Poiana Mărului und ins Karansebescher Land abzusteigen; ebenfalls dorthin gelangt man auch auf der Trasse Netiş- Gipfel und Petreanu-Gipfel; man kann auf dem Herweg nach Gura Zlata zurück oder einen Umweg über Netiş-Gipfel und Petreanu-Gipfel wählen; schließlich wandert man über den Iepii-Sattel nach Gura Apei. Vom Iepii-Sattel gibt es die Rote-Band-Markierung für den Wanderweg Gura Apei – Iepii-Sattel – Baicu-Gipfel – Ţarcu – Muntele Mic. Diese Route stellt eine tatsächliche Banater Kammwanderung dar.
Für jene, die ohne Führer gewandert sind, ist es Zeit, zum Netiş-See zurückzukehren, dem gleichnamigen Bach zu folgen und in drei bis dreieinhalb Stunden zur Berghütte Gura Zlata zurückzukehren. Steht noch ein Tag zu Verfügung, kann man von Gura Zlata bis ins Innere des Retezat wandern, zum Zănoaga-See, dem viertgrößten Gletschersee Rumäniens. Der Hüttenwart ist stets behilflich, den markierten Pfad zu finden. Der Hin- und Rückweg ist, eine ausgiebige Rast eingerechnet, in 10 – 12 Stunden zu schaffen.

Anreise:

Eisenbahn: Aus Richtung Hatzeg bis Sarmizegetusa, Fußwanderung nach Clopotiva und dann das Râul-Mare-Tal bergauf bis zur Berghütte Gura Zlata. 22 km, 5 Wegstunden.
Auto: DN 68 aus Richtung Karansebesch oder Hatzeg bis Corneşti, dann auf die Asphaltstraße entlang des Râul Mare einfahren, die bis zur Berghütte Gura Zlata führt.
Autobus: Aus Hatzeg gibt es Liniendienste bis Clopotiva oder direkt zur Baustelle des Wasserkraftwerks am Râul Mare; aus Karansebesch Busse nach Hatzeg; in Sarmizegetusa aussteigen und Fußwanderung auf der beschriebenen Trasse (wie bei Eisenbahn).

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 85, S. 105 – 108)

Seite Bildunterschrift
 
106 Kartenskizze

Anmerkung: Ich bin der Meinung, dass der Autor im Ţarcu Gebirge gewandert ist.

Falk Kienas

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