von Helmut Grewald (Berlin)
Gelesen hatten wir schon viel darüber, nun wollten wir die Bukowina mit ihren berühmten
kulturhistorischen Bauwerken selbst erleben. Schon die Fahrt durch die Maramureş war ein
Erlebnis. Besonders die kunstvoll geschnitzten Holztore in den Dörfern erweckten immer
wieder Bewunderung.
Wer in dieser Landschaft ist, sollte eines nicht unterlassen: einen Abstecher nach Săpânţa,
zum fröhlichen Friedhof. Das idyllische Bild eines Ortes prägen auch die in ihren hübschen
Trachten vor den Häusern sitzenden Frauen und Mädchen, die sich mit Spinn- und
Webarbeiten beschäftigen und deren Erzeugnisse, bunte dicke Schafwolldecken, über den
Zäunen hängen.
Über Vişeu de Sus und Borşa ging es dann dem Prislop-Pass entgegen. Erst als wir den
höchsten Punkt passiert hatten, öffnete sich der Blick auf eine zauberhafte, großzügige weite
Hügellandschaft, verstreut darauf Almhütten, weidende Schafe und Kühe. Am späten
Nachmittag erreichten wir den Campingplatz von Vatra Moldoviţa, unserem Basislager für
die Klostertour. Moldoviţa, Suceviţa, Putna, Arbore, Voroneţ, Humor, Dragomirna –
klangvolle Namen längst vergangener Zeiten, Zauber der Vergangenheit.
Der Baustil dieser Bauwerke besticht und noch viel mehr die Außenwandfresken. Die Bilder,
im Verhältnis zum Bauwerk kleinformatig gehalten wie Miniaturen – sieht man von den
verschiedenen Darstellungen des Jessebaumes ab –, wirken heute fast wie eine Dia-Serie,
die neben der biblischen Geschichte auch historische Ereignisse, wie z.B. die immer
wiederkehrende Darstellung der Belagerung von Konstantinopel, festhalten.
Dabei handelt es sich hier keinesfalls um ein Kopieren verschiedener Vorlagen, sondern um
einen kreativen Weiterbildungsprozess, der den Notwendigkeiten der Landschaft, seiner
Bewohner und ihrer Bedürfnisse in dieser Zeit angepasst wurde. Alle Einflüsse haben unter
den autochthonen (einheimischen) Betrachtungen der ausführenden Künstler ihre Wandlung,
einen moldauischen Zuschnitt erfahren. Das Produkt dieser künstlerischen Einflüsse, von
den Künstlern dieser Landschaft verarbeitet, sind diese Klosterkirchen, die mit der sie
umhüllenden Farbenpracht noch so frisch wirken wie zu ihrer Entstehungszeit. Es sind
Sinfonien in Farbe, die in ihrer Wärme und Pracht, die von ihnen ausgestrahlt werden, von
faszinierender Wirkung sind.
Annähernd fünf Jahrhunderte hat sich die Leuchtkraft der Farben dieser Fresken unzerstört
erhalten. Das ist ein Beweis dafür, dass die Künstler dieser Zeit sehr viel von der
Zusammensetzung der Farben – Pigmente, Mineralien, Vegetabilien – verstanden haben.
Erst in jüngster Zeit, unter veränderten Umweltbedingungen sind leider verschiedentlich
Zerstörungen zu bemerken.
Bei diesen Klosteranlagen handelt es sich ausnahmslos um einschiffige, schmale Kirchen.
Man würde sich aber selbst betrügen, wenn die Ansicht aufkäme, dass die Besichtigung
einer dieser Anlagen dann ausreichen würde. Selbst wenn das Prinzip der baulichen
Anordnung ähnlich ist, besitzt doch jedes dieser Bauwerke einen eigenen Charakter.
Klammert man Dragomirna aufgrund seiner Wuchtigkeit aus, verbleiben genügend
architektonische Details, die vergleichbar sind, doch ändert das nichts an der Individualität
der einzelnen Kunstwerke.
Etwas Ähnliches ist von den Außenfresken zu sagen, wo man die Darstellung des
Jessebaumes verschiedentlich finden kann, ohne dass er identisch wäre. Schon die
unterschiedlichen Grundfarben ordnen ihn bis auf eine Ausnahme – Suceviţa – dem
entsprechenden Bauwerk zu.
Als wir weiterfahren mussten – und wir hatten noch eine wunderschöne Fahrt durch die
Karpaten vor uns –, standen vor dem Blau des Himmels die Bilder von Voroneţ und
Moldoviţa, und das satte Grün der Bergwiesen bildete den Hintergrund, wenn uns Arbore
oder gar Suceviţa in den Sinn kamen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 84, S. 219 – 221)
Seite | Bildunterschrift |
---|---|
219 | Voroneţ, auch „Sixtina des Ostens“ genannt. |
221 | Außenfreske an der Wand der Kirche von Voroneţ. Die beherrschende Farbe ist blau. |