Genusstour zum Südkamm der Fogarascher
von Meta Josef
Sommerzeit – Urlaubszeit. Die Rucksäcke sind gepackt und wieder mal so schwer, dass
man sich wundert, wieso die Tragriemen nicht reißen – an unsere Schultern denken wir
lieber gar nicht. Deshalb ersparen wir uns einen der langen Anstiege zum Fogarascher
Gebirge, fahren per Autostop bis zum Bâlea-Wasserfall und schweben von dort mit der
Seilbahn weiter hinauf zum See, den Bergen entgegen.
Malerisch liegt die Hütte am Seeufer, umgeben vom Kranz der Berge. Sie ist uns Heimstätte
für eine Nacht. In den frühsten Morgenstunden, als die Bergspitzen im Morgenlicht erglühen,
brechen wir auf. Noch liegt die Stille der Nacht über dem Tal. Kein Windhauch kräuselt den
See, in dessen kristallklarem Wasser sich die rot leuchtenden Gipfel spiegeln.
Mit stetem Schritt geht es zum Gämsensattel hinauf. Das schöne Wetter und die wunderbare
Aussicht machen auch die Rucksäcke erträglicher, man spürt ihr Gewicht fast nicht mehr.
Bald sind wir oben. Eine Gämse steht wie ein Standbild auf einem Felsblock hoch über uns –
sie hält Ausschau und meldet unsere Ankunft mit einem scharfen Pfiff. Kurz darauf sehen wir
ein ganzes Rudel Gämsen mit eleganten Sprüngen sich entfernend. Auf bequemem
Wanderweg geht es zum Gämsensee, der tief unter uns im Sonnenschein blinkt. Es ist ein
Flimmern und Glitzern, ein ständig wechselndes Farbenspiel, wenn der Wind leicht über den
See streicht.
Die Gipfel der Vânătoarea lui Buteanu (2507 m), Văiuga (2443 m) und Iezerul Caprei (2417
m) locken und verheißen einen imposanten Ausblick auf die Kette der Fogarascher. Unser
Weg ist jedoch ein anderer: Wir wollen zum langgestreckten südlichen Kamm, in das 2,5 km
lange Gebiet zwischen Arpaşul Mic, Buda, Râiosul und Muşeteica.
Vorerst gönnen wir uns ausgiebige Rast an den Ufern des Gämsensees. Darauf geht’s auf
markiertem Steg ins Fundul-Caprei-Tal. Auf einer langen Schneezunge wedeln wir wie mit
Schiern talabwärts, schreiten über Geröll und Schneebrücken, unter denen es gluckst und
Bächlein zu Tal eilen. An ihren Ufern grünt und blüht es. Wir queren unterhalb der südlichen
Felswände des Arpăşel-Grates und erreichen den grasbewachsenen Steilanstieg zum
Drachenfenster. Bergan keuchend, entdecken wir plötzlich, wie sich von Norden her ein
Wolkenungetüm durchs Fenster drängt, mit seinen Armen über den Grat hinweg nach Süden
greift und sich den Hang herab, auf uns zu schlängelt. Dichter Nebel umschlingt uns von
allen Seiten.
Vom luftigen, schönen Grat der „Custura Arpaşului“ mit den „Drei Todesschritten“ sieht man
gerade nur den nächsten Felsen kurz vor der Nase. Erst als wir östlich des Arpaşul Mic das
Nerlinger-Denkmal erreichen, zerreißt die Wolkendecke überraschend: die umliegenden
Spitzen tauchen wie Phantome aus dem Nebel auf. Knapp unterhalb des „Vârful la Parul de
Fier“ verlassen wir den Hauptkamm und steigen auf einem südlichen Ausläufer direkt zum
Buda-See, der tief unten im Kessel liegt. Nahe an seinem Ufer, auf grünen Wiesen neben
dem leise murmelnden Bächlein bauen wir unser Zelt auf und kochen die Mittagssuppe.
Als Erholungs- und Erkundigungsspaziergang ersteigen wir gegen Abend die Buda-Spitze
(2431 m). Markierte Wege gibt es hier nicht mehr. Auf einem östlichen Fuß der Buda, der bis
zum See hinabreicht, führen zwischen Felsschroffen zahlreiche Schaf- und Gemssteige zum
Gipfel. Ohne Gepäck ist er leicht zu erreichen. Der Ausblick auf den Hauptkamm der
Fogarscher ist beeindruckend. In Gedanken wandern wir auf dem klar gezeichneten,
südlichen Grat bis zum Râiosul (2395 m), dem wir unseren Besuch für den nächsten Tag
ansagen.
Lange verweilen wir oben auf der Buda-Spitze. Ringsum leuchten die Gipfel im Abendlicht,
nur schwer trennt sich der Blick von ihnen. Erst als die Schatten aus den Tälern
heraufsteigen, klettern wir zu unserem Zelt am See. Ein Sternenhimmel wünscht „Gute
Nacht“, als wir in die Schlafsäcke kriechen.
Der Morgen bringt den ersten gehörigen Dämpfer. Der dichte Nebel ist sogar ins Zelt
eingedrungen.
Beim „Frühstückstisch“ überlegen wir, ob abwarten oder weiterwandern. Schließlich brechen
wir trotz des Nebels auf, zumal wir den Weg ja schon kennen. Oben auf der Spitze ist es
bedeutend heller, man spürt die Wärme der Sonne wie durch einen Schleier. Zwar hebt sich
später die Nebeldecke etwas, lässt aber die Sonne noch nicht hindurch. Da die Sicht gut ist,
wandern wir auf dem schmalen, oft dachfirstartigen Grat weiter, direkt nach Süden. Er ist
stellenweise dermaßen wild zerklüftet, mit steilen Felsabstiegen nach Osten, dass wir diese
Felstürme und –halden westlich, auf Grashängen umgehen. Hier aber leuchtet es weiß, rot,
gelb und blau – Tausende zarte Blümchen bilden einen bunten Teppich von seltener Pracht.
Hornkraut, Läusekraut und Grasnelken, Fingerkraut und Trollblumen, Frühlingsenzian und
Alpenrosen blühen nebeneinander; Frühling und Sommer reichen sich die Hand. Selbst auf
schmalsten Simsen, in kaum wahrnehmbaren Rissen der Kalksteinfelsen fassten zarte
Blümchen Wurzel und blühen in allen Farben. Grenzenlos unsere Freude, als die
Wolkendecke zerreist und sich strahlender Sonnenschein über uns ergießt. Zwischen Geröll
und Felsblöcken klettern wir zum Râiosul hinauf. Gelbe Polster voller Alpenmohn schmücken
das kahle Gestein, silbrig glänzt der samtige, zarte Beifuss.
Schweigend stehen wir auf dem Gipfel, von der Großartigkeit des Rundblicks überwältigt.
Mächtig ragen im Westen Călţun und Negoi aus den Wolken heraus, jenseits des Capra-
Tals, uns tief zu Füßen, das sich zum Vidraru-Stausee hinabschlängelnde Asphaltband. Im
oberen Teil des Fundul-Caprei-Tals wälzen sich noch dicke Wolken, fließen über die Grate
nach Norden und verleihen ihnen das Aussehen glatter, abgerundeter Bergrücken. Aus
diesen wallenden Wolkenmassen ragen plötzlich die beiden „Hasenohren“ des Arpăşel-
Grates hervor, zwei Felsnadeln, die einen schroffen, zersägten Kamm verraten.
Wir sitzen in der Sonne und folgen gebannt dem ständig wechselnden Schauspiel.
Allmählich tauchen alle bekannten Gipfel aus dem Nebelmeer auf: Vânătoarea lui Buteanu,
Arpaşul Mic, Buda und weiter nach Osten reicht der Blick vom Arpaşul Mare bis zum Dach
der Karpaten, Viştea-Moldoveanul. Ganz neuartig ist der Anblick all dieser Spitzen von
Süden her und besonders beeindruckend die Felsburg des Arpăşel, als sich der
Wolkenvorhang hebt und die Sicht auf diesen steil aufragenden Grat mit seinen Zinnen und
Türmen freigibt, zu dessen Füßen wir am Tage vorher über die Schneebrücken balancierten.
Ursprünglich wollten wir noch weiter, bis zur Muşeteica (2448 m) wandern, die von hier aus
auf grasbewachsenem, blumenübersätem Bergrücken leicht zu erreichen wäre. Da aber die
Aussicht von der Râiosul-Spitze so einzigartig ist, bleiben wir hier, genießen dies
paradiesisch schöne Plätzchen. Lang hingestreckt auf dem Blumenteppich schmoren wir in
der Sonne, während die Wolken um den Hauptkamm noch immer ihren wilden Reigen
aufführen. Einzelne Tupfer steigen bis zu uns herauf, berühren uns sacht und lösen sich
dann im Blau des Himmels auf.
Erst am Spätnachmittag machen wir uns auf den Rückweg. Unbeschreiblich schön ist nun
die Kammwanderung im milden Abendlicht, mit freier Sicht auf die scharfen Kanten der Buda
und des Arpaşul Mic geradeaus vor uns – sowie rechts und links auf die ganze Gipfelparade
der Fogarascher, die kein Wölkchen mehr verdeckt.
Genauso schön ist auch der nächste Morgen. Ein strahlend blauer Himmel wölbt sich über
die im Sonnenschein leuchtenden Berge. Im grünlich-blau schimmernden Buda-See
widerspiegelt sich die ganze Herrlichkeit des erwachenden Tages. Schon sind die Hirten mit
ihren Schafen hoch über uns auf den Hängen; wir aber verweilen am Ufer des Sees,
genießen diese wundervolle Morgenstunde.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 84, S. 29 – 34)
Seite | Bildunterschrift |
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29 | Blick vom Râiosul auf Buda und Arpaşul Mic. |
30 | Scharte zwischen Buda und Arpaşul Mic. |
31-o | Der Buda-See in den Morgenstunden. |
31-u | Moldoveanul und Viştea von Süden gesehen. |
32-o | Sâmbăta-Hütte mit dem „Großen Fenster“. |
32-u | Gruppenbild mit Rucksäcken. |