von Albrecht Beyer (Stössen – DDR)
Man könnte meinen, das siebente Weltwunder zu erleben, wenn einen in der Bärenhöhle
von Chişcău die weißen Kunstwerke hydrogener Architektur mit ihrem Märchenzauber
bannen, wenn man beim Anblick der Riesendimensionen der Cetăţile Ponorului den Atem
anhält oder im Getöse des Höhlenflusses der Peştera Căput sein eigenes Wort nicht
versteht.
Dem Naturfreund hat aber das Bihorgebirge viel mehr zu bieten, wenn man es nicht nur
schauend und staunend durchwandert.
Den äußeren Reiz dieses hohen Mittelgebirges (Buteasa 1790 m) prägen unübersehbare
Bestände dunkler Nadelwälder, aufgelockert von bunt blühenden Wiesen (Poiana Florilor).
Plötzlich auftauchende Flüsse brausen teils durch tiefe, steile Schluchten und verschwinden
genauso plötzlich wieder. Unzählbare Dolinen, kreisförmige Einsturztrichter von 1 bis 100 m
Durchmesser, Schächte und Höhleneingänge sind Zeichen des Innenlebens dieses
phantastischen Karstgebiets. Es ist nicht nur von einzelnen Wasserläufen, sondern von
einem ganzen System von Höhlen, Gängen, Spalten und Rissen durchzogen – verzweigt
und untereinander verbunden, wie Blutbahnen eines lebenden Körpers.
Die Hochplateaus sind Einzugsflächen großer Wasseransammlungen (Karstplateau von
Padiş). Das angestaute Wasser sucht sich durch kleinste Risse Abflusswege, löst das
Kalkgestein allmählich auf und bildet letztlich Höhlen bis zu größten Ausmaßen. In
niederschlagsreichen Monaten, wenn der Zulauf des Oberflächenwassers größer wird als
der mögliche unterirdische Abfluss, bilden sich in den Ponoren, den Senkungsmulden, Seen
(Poiana Ponorului). An plötzlich endenden Flüssen scheint das Wasser still zu stehen. Doch
der Naturfreund spürt das Saugen der unsichtbaren Schlünde, über denen er steht. Die
deprimierende Stille des Wassers und die Ungewissheit unter den Fußsohlen, wann und wo
der nächste Einbruch erfolgt, provoziert Beklemmung.
Ist das Wasser in das Gebirge eingedrungen, folgt es auch hier den Fortbewegungsgesetzen
der Flüssigkeitsmechanik, fließt unter Druck in Siphons auch mal von unten nach oben und
erweitert ständig durch Auswaschungen seine Bahn. So entstanden seit Jahrtausenden und
entstehen noch heute durch die korrodierenden und erodierenden unterirdischen
Wasserläufe Höhlen in mannigfaltigsten Formen und Dimensionen mit irreführenden
Verzweigungen und Etagen.
Ist das Wasser in der Höhle versiegt oder hat es andere Bahnen gebrochen, folgen
Deckenstürze, von denen so lange einer den anderen nach sich zieht, bis sich das statische
Gleichgewicht des Höhlengewölbes einstellt. Sickerwässer mit ihren chemisch-
physikalischen Eigenschaften lösen nun das im Kalkgestein vorhandene Kalziumkarbonat
auf, das bei Wiederberührung mit der Höhlenluft und durch Verdunstung des Wassers in
Form trigonaler Kalzit-Kristalle abgelagert wird. So entstehen Sinterzapfen an der
Höhlendecke und auf dem Boden (Stalaktiten und Stalagmiten), unregelmäßige
Kalkbuschmassive, Sinterdämme, die den ganzen Höhlenboden mauerähnlich befestigen
(Peştera Măgura). Unter besonderen Bedingungen bilden sich zauberhafte Deckenfalten,
und wenn sich Kalzit um Sandkörnchen schalenförmig ablagert, entstehen seltene
Höhlenperlen, die wie echte Korallenperlen wirken. Eine Ablagerungserscheinung
besonderer Art ist das Höhleneis, das mehrere Jahrtausende alt sein kann (Scărişoara-
Höhle). Über der Eishöhle Focul Viu ist das Deckengewölbe bis nach über Tage hin
aufgebrochen, so dass ein Bündel Sonnenstrahlen die wilde Unberührtheit des
Höhleninneren erhellt.
Seitdem der Mensch der Neuzeit die Höhlen wiederentdeckt, sind sie zu Anziehungspunkten
touristischen Unternehmungsgeistes und wissenschaftlichen Forscherdranges geworden. Ob
als Tourist mit Karbid- oder elektrischer Handlampe und möglichst trockenen Füßen oder als
Speläologe, der mit entsprechender Ausrüstung auch Winkel, durch die sich ein Mensch
gerade noch zu zwängen vermag, erforscht und kartiert, ob als Bergsteiger, dem das
Höhlenklettern viel größere Schwierigkeit bereitet als das Klettern an Felswänden – die
Unwiderstehlichkeit dieser Welt wirkt auf jeden.
Die Höhlen des Bihorgebirges sind uns Schauplatz des Höhlenlebens und kulturhistorische
Museen zugleich. Sie ziehen mit ihren Rätseln Wissenschaftler aus aller Welt an, sie sind
Wohn- und Schlafstätte der Fledermäuse, die tagsüber zu Tausenden an den
Höhlengewölben hängen. Sie liefern uns Überreste vom Leben längst vergangener Zeiten,
ganze Skelette des Höhlenbären Ursus spelaeus, der vor 15.000 Jahren die Höhlen
beherrschte. Besonders reiche Funde dieser Art birgt die Bärenhöhle bei der Gemeinde
Chişcău. 1980 wurde sie für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht – und erfreut sich seither
regen Besuchs. Sie soll schon jetzt die meistbesuchte Höhle Osteuropas sein. Man sollte sie
sich als Krönung unvergesslicher Urlaubstage im Bihorgebirge aufheben.
Erreichbar ist das Bihorgebirge von der Grenze über Oradea in knapp zwei Autostunden. Die
Straße Nr. 76 Oradea – Deva führt daran vorbei. Zweckmäßig biegt man ein paar km südlich
der kleinen Stadt Beiuş nach der Gemeinde Pietroasa ab und fährt darüber hinaus im Tal
des Flusses Pietros. Hinter einem Granit-Steinbruch führt nach rechts eine steil ansteigende,
aber gut befahrbare Forststraße bis auf die zwei Hochflächen nordöstlich des Gipfels
Bălăleasa (1146 m). Die untere Hochfläche ist ein günstiger Ausgangspunkt für viele schöne
Touren.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 84, S. 209 – 212)
Seite | Bildunterschrift |
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209 | Beeindruckender Sintervorhang im mittleren Abschnitt der Huda-lui-Papară-Höhle. |
211 | Wunderwelt in der Scărişoara-Höhle. |