home - Komm mit - 1984 - Die rettende Biwakschachtel
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Die rettende Biwakschachtel

von Gerhard Lehmann (Erfurt)

Unser Ziel war das Fogarascher Gebirge. Als Hochgebirgstouristen wollten wir die berühmten Südkarpaten kennenlernen, mussten aber recht bald einsehen, dass man zum wirklichen Kennenlernen dieser herrlichen Bergwelt sehr viel Zeit braucht. Über Bukarest, Braşov und Fogarasch gelangten wir schließlich zum Gasthof Sâmbăta, um am nächsten Tag durchs Sâmbăta-Tal zur gleichnamigen Hütte emporzusteigen, die an den oberen Ausläufern dieses herrlichen, wildromantischen Tales liegt.
Es war Sonntag, in der Hütte und Umgebung wimmelte es von Wochenendausflüglern. Nach einer kleinen Stärkung bauten wir am Sâmbăta-Bach unsere Zelte auf, um am nächsten Morgen zum „Großen Fenster“ aufzusteigen.
Schon während des ersten Teils der Wegstrecke musste ich bekennen, dass das Fogarascher Gebirge zwar ein schönes, aber schwer begehbares Gebirge ist. Dieses ständige Bergauf und Bergab verlangt dem Wanderer alles ab. Nach einigen Stunden Wanderung standen wir unterhalb der Viştea Mare. Von Norden, aus dem Viştea-Tal, zogen bedrohliche Wolken über die Portiţa Viştea, die ersten Tropfen fielen und der Wind verstärkte sich. Sollten wir den Weg fortsetzen? Plötzlich erblickten wir links unten im Tal eine rotbraun gestrichene Unterkunft. Wir überlegten nicht lange und begannen den Abstieg. Wir hatten die „Biwakschachtel“ gerade erreicht und die Tür hinter uns zu gemacht, als der Sturm mit ganzer Kraft einsetzte. Den ganzen Nachmittag und bis in die frühen Morgenstunden tobte er orkanartig um uns – wir befürchteten, dass die aus Stahlblechen zusammengesetzte tonnenschwere „Schachtel“ von ihrem Standort weggeblasen würde. In der Nacht sank die Temperatur empfindlich und kroch durch den Reisverschluss unserer Daunenschlafsäcke. Wie froh waren wir, diese rettende Unterkunft entdeckt zu haben, und dankten den Erbauern, die wohl dem Salvamont des Kreises Braşov angehören, wie der Inschrift an der Biwakschachtel zu entnehmen war.
Als wir am Morgen aus der „Schachtel“ krochen, lugte die Sonne über den Kamm und beschien den völlig verschneiten und vereisten Moldoveanu. Selbst bei diesem herrlichen Anblick konnten wir den Gedanken nicht verdrängen: Was wäre wohl geschehen, wenn es diese Biwakschachtel nicht gegeben hätte? Wir wagten nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.
Schnell packten wir unsere Siebensachen zusammen und bald sah uns die Sonne auf dem Weg zur Portiţa Viştea.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 84, S. 213)

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