Zu Gast beim Messen der Schafmilch, dem Fest der kraschowänischen Züchter und Hüter
von Walther Konschitzky
Anders als bislang ist die Fahrt in das stattliche Kraschowänerdorf, die Asphaltstraße
Reschitza – Anina ist fertig gestellt. Mehr Touristen kommen nun in das Bergdorf an der
Karasch; sie kommen in die Karasch- und in die Prolas-Klamm, sie kommen in die
Karsthöhlen um Kraschowa, sie sind vielleicht einfach nur auf der Durchreise bei ihrer Fahrt
ins Südbanat. Es gibt manches, das den Reisenden hier zum Rasten, zum Wandern und
Wandeln, zum Sehen und Hören das Jahr über einlädt.
Im Mai ist es das große Fliederfest mit Dutzenden Folkloregruppen in den malerischen
Trachten ihrer Dörfer, mit ihren Liedern und Tänzen auf der Freilichtbühne am Eingang der
Karasch-Klamm; im Mai ist es auch der frische Käse von der „Muntje“ oben; im Juni dann
sind es die süßen schwarzen Kirschen von den Wiesen und Almen ringsum; Mitte August ist
es das Kerweifest; im September und Oktober aber ist es der frisch gebrannte
Zwetschgenschnaps. Nur die kalten Monate des Jahres durch ist das Dorf sich selbst
überlassen. Doch auch dann treffen noch Reisende ein, jene, de das ruhige
Alltagsgeschehen dieses noch weitgehend traditionell lebenden Dorfes lieben, jene, die einer
Familie von Kraschowänen schon seit einiger Zeit näher stehen und immer wieder hierher
kommen.
Oft schon hatte ich hier von dem großen Tag der Hirten gehört, da die 40 – 50 Hüter der
Herden, von den Züchtern gefeiert, einen Tag lang im Mittelpunkt Dutzender Feste der
Kraschowänen stehen, da groß und klein den acht, zehn oder gar fünfzehn Kilometer weiten
Weg hinauf auf die Almen antritt, wo die Hirten ihre Hütten haben. Das ist der Tag, der
ausschließlich den Herden und ihren Hütern gewidmet ist. Ein alter Brauch ist das, wurde mir
berichtet, doch nie konnte ich dahinterkommen, warum man on ihm, der doch ein Festtag
sein soll, mit so tiefem Ernst sprach. Sollte hier noch etwas von archaischen Hirtenriten
lebendig sein? Der Stichtag – Anfang Mai, nur kurze Zeit nach dem Almauftrieb – lässt
solche Vermutungen zu, jeder Beginn eines neuen Kreislaufs forderte in frühen Zeiten
solche, die Fruchtbarkeit von Mensch und Tier, von Boden und Pflanze bewirkenden
Handlungen.
Und doch, wo jeder vier, fünf oder ein halbes Dutzend Arten von Speisen, darunter jeweils
ein ganzes im Lehmofen gebratenes Lamm hinaufträgt, dazu noch Krüge voll
Pflaumenschnaps und kistenweise Bier obendrauf, kann doch eher Ausgelassenheit erwartet
werden; das Messen der Milch aber darf doch wohl eher als zweckdienlicher Arbeitsgang
verstanden sein. Vorwegnehmend ist jedoch zu sagen: das eine schließt das andere eben
nicht aus.
Wir waren mit unseren Hausleuten aufgebrochen, um rechtzeitig an der Hütte des Schäfers
Mihăliă Marcu, bei dem ihre Schafe in Obhut sind, anzulangen. Dutzende, Hunderte von
Leuten aus dem Dorf und einige wenige Gäste von auswärts keuchten vor uns den Berg
hinauf, auf den Hügeln gegenüber aber das gleiche Bild, gleichfalls schwerbeladene
Fußgänger, Bauernwagen bunt voll Leute auf der Straße, auf den schmalen Pfaden Esel
bepackt mit Körben, Kannen, Decken. Es war nicht schwer zu erraten, was in all dem
Gepäck getragen, gezogen, gefahren wurde – es war die Festmahlzeit, wie sie unsere
Hausfrau in dem großen Weidenkorb auf dem Kopf trug. Das gebratene Lamm in der
Eisenpfanne wurde dem Gast aufgeladen, und es war kein kleines Tier, das einem da
knusprig gebraten und würzig dampfend auf die Schulter gehoben wurde.
Auf geht’s, spätestens Schlag Mittag müssen wir oben sein. Warum um zwölf? „Zu Mittag
werden die Schafe gemolken, das ist immer so an diesem Tag“, sagt im Gehen Hausfrau
Marta. Kerzengerade geht sie, blickt nicht nach links und nicht nach rechts, damit der Korb
auf dem Kopf nicht ins Wanken gerät. Das Schon-immer-so gilt auch hier also soviel wie eine
handfeste Erklärung, die, so scheint es, keines Zusatzes, keiner näheren Belege bedarf,
„schon immer so“ – das verpflichtet einfach.
Da, von ferne kommen weiße Wollknäule in Sicht, nur – Schafe können das wohl nicht sein,
zu rasch nähern sie sich uns. Dann Gekläffe, drei weiße Schäferhunde halten uns an, keinen
Schritt weiter, heißt das, wie sie uns umgeben, und wer nicht stille steht, den schicken sie
sich an, anzugreifen. Da steht man eben still, und da muss der Herr der Hunde kommen
oder, wenn man’s weiß, beginnt man mit schönen Worten auf sie einzureden, und redet und
redet, bis sich das Bellen legt. Sie kommen schon freundlicher näher und schließlich lassen
sie sich kraulen und streicheln, sind bald die besten Freunde. Nur, man muss das halt
wissen. „So sind die Schäferhunde alle“, erfahren wir später vom Hirten, „die friedlichsten
und sanftesten Genossen.“
Am Bretterpferch ist Bewegung, die Züchter und der Schäfer haben sich jeder einen
Holzklotz unter das Vordach am Eingang des Kobens gestellt, an den Sparren hängen
Kugelflaschen mit dem besten Schnaps aus jedem Haus. Die Herde kommt grasend den
Hang herunter, der Sennhütte an der windgeschützten Bergkuppe zu. Blicke auf die Uhr,
noch fünfzehn, noch zehn Minuten. Es kommen die Frauen, es kommen die Kinder, es
kommen auch die drei weißen Hunde Harpad, Ghiussi und Ludu. Noch fünf Minuten, die
ersten Schafe strömen jetzt in den Pferch, die Leute ringsum sprechen nur noch im
Flüsterton, der Schäfer und die Besitzer der Schafe stehen wartend vor dem Bretterzaun.
Schlag zwölf. Der Hirt tritt vor, begrüßt alle Leute und hält eine Ansprache. Von seinen
Schafen spricht er, von Hütern, von guter und schlechter Witterung, von saftigen Weiden und
von einem guten milchreichen Jahr. Wie eine Beschwörung, wie ein Heischen um
Fruchtbarkeit, um frisches Gras, um Gesundheit für die Tiere klingt seine Rede, und als er
geendet hat, legen alle Hand auf Hand, und so vereint heben und senken sie die Arme.
Dann reicht jeder jedem seine Flasche, einen tiefen Zug tut jeder auf sein und seiner Tiere
Wohl und auf das aller Anwesenden. Auch die Frauen und die Gäste trinken auf das Wohl
der Herde im Pferch, die im Nieselregen geduldig aufs Melken wartet.
Die Männer stecken sich Blütenzweige ins Hutband und setzen sich auf ihre Holzklötze,
jeder einen 15-Liter-Kübel vor sich. Und wie auf ein geheimes Zeichen hin legt jeder in das
Oka-Holzmaß im großen Kübel einen Gold- oder Silberring, ein Gold- oder ein Silberstück.
Auf dieses Edelmetall melken sie, die ersten Schafe werden schon aus dem Pferch
gelassen. Jeder melkt seine eigenen Schafe und die anfängliche feierliche Stille schlägt
allmählich in Heiterkeit um, die Kugelflaschen machen die Runde. Nach einer guten Stunde
ist auch das letzte Schaf gemolken.
Am Kirschbaum beim Hüterhaus hängt die alte Waage, sie hat eigenartige, nur für das
Messen der Schafmilch eingezeichnete Kerben. Ein Züchter nach dem anderen wiegt die
Milch, und nachdem sein Maß geleert ist, nimmt er den Ring oder das Goldstück vom Boden
des Gefäßes, reinigt es fein säuberlich, steckt den Ring wieder an den Finger, bindet das
Geldstück in ein Taschentuch. Jeder muss beim Wiegen dabei sein, muss sich von der
Richtigkeit des Gewichts überzeugen, ehe der Schäfer es notiert.
Trotz dieser delikaten Arbeit können wir nicht umhin, zu fragen, warum jeder Gold oder
Silber in seinen Kübel geworfen hatte. Wir erfahren, das soll die Tiere vor Schlangenbiss, vor
Blitz und jedwedem Unheil schützen, so heißt es nach altem Volksbrauch im Ort. Es soll
aber auch Wohlstand und Fruchtbarkeit bringen, sagen die Alten. Am Tag des Milchmessens
gibt es auch heute keinen kraschowänischen Schäfer oder Züchter, der diese tradierte
Handlung unterlässt. Wenn er auch an deren Heilwirkung nicht glauben mag, er vollzieht sie
treu dem alten Ritus folgend.
Nun, die Rechnung, das Messen ist vorbei: Für jedes Oka Milch erhält der Züchter drei Kübel
Milch zum Käsen, dann, wenn er an die Reihe kommt. Das kann schon nächste Woche sein
oder erst in einem Monat. Auf die Züchter, bei denen wir zu Gast waren, entfällt je nach der
Anzahl ihrer Schafe zwischen 50 bis 200 Kilogramm Käse. Den Rest der Milch, die bis zum
Herbst gemolken wird, erhält der Hirt als Hüterlohn. Davon liefert er eine beträchtliche
Menge an den Staatsfonds ab, wie er auch eine schöne Anzahl männlicher Lämmer bereits
abgegeben hat. Das tut er schon seit Jahren.
Nun ist die Milch im großen Kessel neben dem offenen Feuer in der Ecke der Hütte aus
Kalkstein, in einer guten Stunde geht’s ans Käsen. Bis dahin jedoch – das ist die schönste
Stunde des Tages. Auf Bretterplanken wurden Tische improvisiert, die Frauen haben sie mit
Tüchern belegt und darauf all die Köstlichkeiten geladen, die man herangeschleppt hat:
goldgelbe Fleischbrühe, gekochtes Huhn, die im Lehmofen in einer Gussreine gebratenen
Kartoffeln mit dicker Hauswurst, fette Krautwickel, und dann der Lammbraten, Schnaps und
Bier, Kuchen und Torten.
Gekochter und stark gesüßter Zwetschgenschnaps ist Auftakt zum Mahl. Wieder hat der Hirt
das Wort, wieder spricht er von guten Vorzeichen für dieses Jahr; dann loben ihn die
Züchter, er hat ihre Schafe seit Anfang April gut gehütet, die Milchprobe von heute hat es
bewiesen. Man trinkt ihm zu, man reicht ihm die Hand, und wieder reicht jeder jedem die
Hand, der Hirt aber strahlt. Ja, man sieht es ihm an, der Mann mit dem wettergebräunten
Gesicht strahlt, er ist heute sogar glücklich.
Weit über eine Stunde zieht sich das Festmahl hin, die Runde wird zusehends fröhlicher,
man erzählt sich alte und brandneue Dorfgeschichten, man lacht, man scherzt, man
bespricht aber auch so manches, was im soeben angebrochenen Landwirtschaftsjahr zu
geschehen hat. Fast unbemerkt geht der Schäfer vom Tisch, es ist nämlich Zeit zum Käsen.
Wir folgen ihm, und bereitwillig erklärt er jeden Handgriff dieses uralten Handwerks.
Da stehen mehrere Eimer Wasser, da hängen sauber gewaschene Tücher an den Sparren,
mehrmals wäscht er seine Hände, auch das mutet fast wie ein Ritual an. Nur mit reinen
Händen und sauberem fein geschnitztem Holzwerkzeug tut er seine Arbeit, und rascher als
gedacht, ist es soweit: Langsam hebt er den aus den Molken gesonderten Käse in die
bereitliegenden Hanftücher. Feinster Labkäse ist es, den er nach kurzem Ausrinnen der
Molken in den Nebenraum zum Reifen hängt. Er ist nun fertig, unser Gastgeber, seine Frau
beginnt schon mit dem Waschen der Kübel und Kessel, der Tücher und der so einfachen
Gerätschaften, die sich der Schäfer selbst gefertigt und selbst verziert hat. Es sind auch
heute nur wenige Hirten im Bergland anzutreffen, die mit dem Metallbesteck essen; die
meisten haben einen einzigen Gegenstand dazu, den selbstgeschnitzten Holzlöffel für alle
Speisegänge.
Es ist Zeit zum Aufbruch, es ist Spätnachmittag geworden, und bald werden die Schafe
wieder in den Pferch getrieben. Als die Züchter und ihre Familien die Alm verließen, setzte
sich der Schäfer vor das Türchen des Pferches und begann mit dem Melken, diesmal allein,
mehrere Stunden lang wird er damit beschäftigt sein. Sein Festtag im Jahr klingt mit
alltäglicher Arbeit aus.
In seiner Hütte aber liegt ein Berg von guten Dingen auf dem Tisch; jede Züchtersfrau hat
ihm eine gebratene Lammkeule hinterlassen, jede hat Krautwickel in eine große Schüssel
getan, in eine andere gebratene Wurst, in eine weitere gekochtes Huhn. Da sind aber auch
Torten und ein Dutzend Arten von feinstem Kuchen auf dem Tisch, und da fehlt auch der
traditionelle Hefestrudel mit Mohn oder Nüssen nicht. Die Männer aber hinterlassen dem
Betreuer ihrer Tiere vom besten Zwetschgenschnaps, und auch für die drei Hunde, die uns
bei der Ankunft so erschreckt hatten, blieb mancher gute Bissen zurück. Nun, da wir ihr
Gelände verlassen, begleiten sie uns freundlich wedelnd wie gute Bekannte ein gutes Stück
Weg.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 84, S. 97 – 105)
Seite | Bildunterschrift |
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97 | Auf steinigem Weg geht es bergan. |
98 | Nur die Frauen beherrschen diese Tragkunst. |
100 | Siesta vor dem Pferch. |
101 | Das Melken ist Angelegenheit der Männer. |
103 | Was zeigt die Waage an? |
104 | Beim Festessen sind alle dabei. |