Eine bebilderte Pass-Fahrt
von Walter Kargel
Bergpässe, die höchstens von Traktoren befahren werden, die radtiefe Spuren in den
Waldboden fressen: das tut „Isolde“, unserem Trabant, nicht gut, ebenso wie das fahren
durch brückenlose Gebirgsbäche. Aber schön ist’s dennoch. Man ist allein in der freien
Bergwelt, wo Bär und Fuchs zu Hause sind; niemand schreibt einem was vor, man kann tun
und lassen, was man will.
Wir sind Rekordhalter im Spätwegfahren – es ist schon Mittag, als wir die sauberen
Asphaltkurven der DN 1 A nehmen. DN 1 A ist der Kodename der Straße Ploieşti – Braşov
über Vălenii de Munte – Măneciu – Cheia – Bratocea-Pass.
Unser heutiges Ziel ist der Boncuţa-Pass. Über diesen führte zur Römerzeit die
Verbindungsstraße über die Karpaten, aus dem Teleajental im Süden ins Buzăutal im
Norden. Später wurde dieser Weg aufgegeben und heute schlängelt sich die 1 A in vielen
Windungen das Teleajental hoch. Über den Boncuţa-Pass verkehrte bis zum katastrophalen
Hochwasser von 1970 auch eine Schmalspurbahn, die das Holz zu Tal beförderte. Die
verheerenden Fluten haben nicht nur den Schienenstrang vernichtet, sondern auch das
Teleajental in seinem unteren Teil versperrt, so dass die heutige Forststraße auf halbem
Weg zwischen Măneciu und Cheia, knapp nach Überquerung der Teleajenbrücke nach
rechts abzweigt. Ein bewaldeter Bergrücken muss überquert werden, ehe man das breite,
sonnige Tal erreicht.
Es ist ein schöner ruhiger Novembersonntag. Die Forsthütte Valea Stânii liegt verlassen. Tür
und Fensterläden geschlossen und abgeriegelt. Also fahren wir weiter. Doch plötzlich ist die
Straße zu Ende. Ein Bachbett versperrt den Weg und vor uns tut sich das Tor zu einer
Klamm auf. Blaue Markierung. Wir sind falsch gefahren, die Schlucht heißt Cheile Stânii.
Zurück zum Forsthaus und das Nebental Valea Boncuţa hinauf. Hier ist es schon Winter.
Reifenspuren im zentimetertiefen Puderschnee überzeugen uns, dass wir nun richtig sind
und zudem ein Auto vor uns haben.
Der Zustand der „Straße“ wird zusehends schlechter. Trecker haben hier halbmetertiefe
Furchen in den Waldboden gegraben. Zum Glück ist er hart gefroren und mit viel List und
Können wird die schwierige Stelle gemeistert. Schließlich ist dies auch anderen vor uns
gelungen. Holpernd und fauchend erklimmt der „Trabi“ den Pass. Wir halten Brotzeit auf
einer weiten Wiese in gleißendem Sonnenschein, im Osten das Siriu-Gebirge, im Westen
der Krähenstein – Ciucaş. Lange halten wir es aber nicht aus, denn trotz Sonne ist es ganz
schön kalt und luftig.
Weiter! Zahllose steinige Mulden mit kleinen Rinnsalen und gefrorenen Pfützen sorgen dafür,
dass es nicht langweilig wird, doch die Reifenspuren im Schnee geben uns immer neuen
Mut; wo die anderen durchgekommen sind, kommen wir doch sicherlich auch weiter. Tief
unten rechts der Quellbach des Buzău: Valea Fetei.
Unerwartete Begegnung: ein Pferdewagen mit Autoreifen – das war also unser Vorgänger!
Die zwei Bergbauern geben uns wenig Mut: „Die Brücke ist weg, die Furt ist tief, da kommt
ihr mit eurem Auto nicht durch.“ Vor der Rückfahrt graut uns, deshalb fahren wir einfach
weiter: Mal sehn!
Der Karrenweg endet auf einer Wiese. Zarte Radspuren im Gras führen zur Furt. Aussteigen,
Lagebesprechung. Das Wasser ist nicht so tief, nur ein Loch stimmt uns bedenklich. Wir
beginnen, es mit Steinen auszufüllen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Hosenröhren
hochzukrempeln und den Wagen durch den eiskalten Bach zu schieben. Behutsam, Schritt
für Schritt. Der Wagen sinkt bedenklich tiefer, doch dann haben wir’s geschafft. Glücklich
stehn wir am anderen Ufer. Damit ist auch unser Pass-Abenteuer zu Ende.
Eine malerische Allee führt jetzt über lachende Wiesen. In Vama Buzăului hat uns die
Zivilisation wieder. Auf glattem Asphalt geht es durch eine zauberhafte Landschaft. Über
Braşov und Predeal fahren wir heimwärts.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 84, S. 222 – 224)
Seite | Bildunterschrift |
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222 | Kartenskizze: Boncuţa-Pass Überblick. |
223 | Kartenskizze: Boncuţa-Pass Detail. |
224-o | Kargel-Karikatur: Fahrzeuge auf Pneus: Begegnung am Boncuţa-Pass. |
224-u | Kargel-Karikatur: Boncuţa-Pass Isolde watet durch den Bach. |