home - Komm mit - 1984 - Abenteuer mit „Isolde“
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren
drucken

Abenteuer mit „Isolde“

Eine bebilderte Pass-Fahrt

von Walter Kargel

Bergpässe, die höchstens von Traktoren befahren werden, die radtiefe Spuren in den Waldboden fressen: das tut „Isolde“, unserem Trabant, nicht gut, ebenso wie das fahren durch brückenlose Gebirgsbäche. Aber schön ist’s dennoch. Man ist allein in der freien Bergwelt, wo Bär und Fuchs zu Hause sind; niemand schreibt einem was vor, man kann tun und lassen, was man will.
Wir sind Rekordhalter im Spätwegfahren – es ist schon Mittag, als wir die sauberen Asphaltkurven der DN 1 A nehmen. DN 1 A ist der Kodename der Straße Ploieşti – Braşov über Vălenii de Munte – Măneciu – Cheia – Bratocea-Pass.
Unser heutiges Ziel ist der Boncuţa-Pass. Über diesen führte zur Römerzeit die Verbindungsstraße über die Karpaten, aus dem Teleajental im Süden ins Buzăutal im Norden. Später wurde dieser Weg aufgegeben und heute schlängelt sich die 1 A in vielen Windungen das Teleajental hoch. Über den Boncuţa-Pass verkehrte bis zum katastrophalen Hochwasser von 1970 auch eine Schmalspurbahn, die das Holz zu Tal beförderte. Die verheerenden Fluten haben nicht nur den Schienenstrang vernichtet, sondern auch das Teleajental in seinem unteren Teil versperrt, so dass die heutige Forststraße auf halbem Weg zwischen Măneciu und Cheia, knapp nach Überquerung der Teleajenbrücke nach rechts abzweigt. Ein bewaldeter Bergrücken muss überquert werden, ehe man das breite, sonnige Tal erreicht.
Es ist ein schöner ruhiger Novembersonntag. Die Forsthütte Valea Stânii liegt verlassen. Tür und Fensterläden geschlossen und abgeriegelt. Also fahren wir weiter. Doch plötzlich ist die Straße zu Ende. Ein Bachbett versperrt den Weg und vor uns tut sich das Tor zu einer Klamm auf. Blaue Markierung. Wir sind falsch gefahren, die Schlucht heißt Cheile Stânii. Zurück zum Forsthaus und das Nebental Valea Boncuţa hinauf. Hier ist es schon Winter. Reifenspuren im zentimetertiefen Puderschnee überzeugen uns, dass wir nun richtig sind und zudem ein Auto vor uns haben.
Der Zustand der „Straße“ wird zusehends schlechter. Trecker haben hier halbmetertiefe Furchen in den Waldboden gegraben. Zum Glück ist er hart gefroren und mit viel List und Können wird die schwierige Stelle gemeistert. Schließlich ist dies auch anderen vor uns gelungen. Holpernd und fauchend erklimmt der „Trabi“ den Pass. Wir halten Brotzeit auf einer weiten Wiese in gleißendem Sonnenschein, im Osten das Siriu-Gebirge, im Westen der Krähenstein – Ciucaş. Lange halten wir es aber nicht aus, denn trotz Sonne ist es ganz schön kalt und luftig.
Weiter! Zahllose steinige Mulden mit kleinen Rinnsalen und gefrorenen Pfützen sorgen dafür, dass es nicht langweilig wird, doch die Reifenspuren im Schnee geben uns immer neuen Mut; wo die anderen durchgekommen sind, kommen wir doch sicherlich auch weiter. Tief unten rechts der Quellbach des Buzău: Valea Fetei.
Unerwartete Begegnung: ein Pferdewagen mit Autoreifen – das war also unser Vorgänger! Die zwei Bergbauern geben uns wenig Mut: „Die Brücke ist weg, die Furt ist tief, da kommt ihr mit eurem Auto nicht durch.“ Vor der Rückfahrt graut uns, deshalb fahren wir einfach weiter: Mal sehn!
Der Karrenweg endet auf einer Wiese. Zarte Radspuren im Gras führen zur Furt. Aussteigen, Lagebesprechung. Das Wasser ist nicht so tief, nur ein Loch stimmt uns bedenklich. Wir beginnen, es mit Steinen auszufüllen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Hosenröhren hochzukrempeln und den Wagen durch den eiskalten Bach zu schieben. Behutsam, Schritt für Schritt. Der Wagen sinkt bedenklich tiefer, doch dann haben wir’s geschafft. Glücklich stehn wir am anderen Ufer. Damit ist auch unser Pass-Abenteuer zu Ende.
Eine malerische Allee führt jetzt über lachende Wiesen. In Vama Buzăului hat uns die Zivilisation wieder. Auf glattem Asphalt geht es durch eine zauberhafte Landschaft. Über Braşov und Predeal fahren wir heimwärts.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 84, S. 222 – 224)

Seite Bildunterschrift
 
222 Kartenskizze: Boncuţa-Pass Überblick.
223 Kartenskizze: Boncuţa-Pass Detail.
224-o Kargel-Karikatur: Fahrzeuge auf Pneus: Begegnung am Boncuţa-Pass.
224-u Kargel-Karikatur: Boncuţa-Pass Isolde watet durch den Bach.
nach oben nach oben