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Winterfahrt zum Bâlea

Mit dem Auto in die Fogarascher Berge

von Uwe Steinweg

Beeindruckt von einem Sommeraufenthalt im Fogarascher Gebirge, ließ uns der Gedanke nicht mehr los, dieser herrlichen Bergwelt im Winter einen Besuch abzustatten. Reiseziel unserer Autofahrt war die Bâlea-See-Hütte an der vielgerühmten Transfogarascher Hochstraße.
Da unser Urlaub als Bergwander- und Skiurlaub geplant war, ergab sich auch die Notwendigkeit, entsprechende Kleidung, Kocher, Konserven, Schlafsäcke, Decken usw. mitzunehmen.
In den späten Morgenstunden passieren wir bei Borş die rumänische Grenze, speisen im Touristenkomplex Borş zu Mittag, und dann geht es zügig über Cluj-Napoca bis Iernut. Hier verlassen wir die E 15 und erreichen über Târnăveni, Mediasch, Agnetheln bei Voila die Nationalstraße DN 1. In Richtung Sibiu fahrend, gelangen wir nach Arpaşu de Jos. Fünf Kilometer hinter dem Dorf liegt die Abzweigung zur Transfogarascher Hochstraße. Im Licht der tiefstehenden Sonne sehen wir das Ziel unserer Reise, den Kamm der Fogarascher mit dem Negoi, greifbar nahe vor uns.
Wenige Kilometer nach Cârţişoara windet sich die Straße bereits steil ins Gebirge. Höher und höher geht es hinauf. Hier ist noch tiefer Winter. Hohe Schneewälle begrenzen die Fahrbahn. Es ist spürbar kälter geworden. Auf festgefahrener Schneedecke schraubt sich der Wagen empor. Nach jeder Krümmung genießen wir ein neues Bild verschneiter, zerklüfteter Bergflanken. Nach kaum 35 Fahrtminuten taucht das Berghotel „Cabana Bâlea Cascadă“ (Bâlea-Wasserfall) vor uns auf. Wir haben eine Höhe von 1234 m erreicht, hier ist die Autofahrt zu Ende.
Der zweite, durchs eigentliche Hochgebirge führende Teil dieser Straße ist im Winter nicht befahrbar und unter dem dicken Schnee- und Eispanzer kaum zu erkennen. Allerdings ist es möglich, auf der Südseite der Fogarascher, von Curtea de Argeş aus, auch zu dieser Jahreszeit bis zum Tunnel zu fahren. Die Straße wird wegen der zurzeit noch andauernden Arbeiten im Tunnel freigehalten. Durch den Tunnel laufend, kann man dann die Berghütte „Bâlea-See“ erreichen.
Mit der Kabinenbahn geht es am nächsten Morgen bei strahlendem Sonnenschein zur Berghütte Bâlea-See, die für die nächsten Tage unser Quartier sein soll. Während der 15minütigen Seilbahnfahrt (800 m Höhenunterschied) erleben wir tief beeindruckt das niegeschaute, majestätische Panorama winterlichen Hochgebirges. Die Hütte liegt 2043 m hoch im gleichnamigen See, inmitten eines sich nach Norden, zum Bâlea-Tal hin, öffnenden riesigen Kessels. Ein Wintersportparadies für Spezialisten: Der hohe Schnee, ein Babylift, zwei Pisten bieten den Skifans ein weites Betätigungsfeld. Die Zimmer der Hütte haben Jugendherbergscharakter, die Küche ist gut, die Verständigung problemlos, da man deutsch spricht.
In der Hütte treffen wir auf eine Gruppe ungarischer Alpinisten und auf Leute vom rumänischen Bergrettungsdienst „Salvamont“, die eine Kammwanderung zum Negoi, den zweithöchsten Berg Rumäniens, planen und bereit sind, uns mitzunehmen. Noch am Nachmittag unternehmen wir einen „Spaziergang“, um Wegvarianten und Schneeverhältnisse zu erkunden. Dabei wird ein gangbarer Weg über den Doamnei-Sattel ins Doamnei-Tal gefunden und die Spur für den nächsten Tag getreten. Mehrmals müssen wir die prüfenden Blicke der Salvamont-Leute über uns ergehen lassen...
Noch blinkt der Mond am Himmel, als wir am nächsten Morgen den Anstieg zum Doamnei-Sattel antreten. Die noch ungewohnten Kraxen lasten schwer auf den Schultern. Steigeisen werden angeschnallt, da die Führe schmal, steil und stark vereist ist. Als Belohnung begrüßt uns auf dem Kamm die aufgehende Sonne. Wir stehen auf der Laiţa, 2390 m hoch. Vor uns liegt im Sonnenschein das imposante Panorama der Fogarascher-Südseite. Eine Perlenkette herrlicher Eindrücke. Nach kurzer Rast geht es den Kammweg entlang über den Laiţelul zum Călţun-See. An gefährlichen Stellen wird mit dem Seil gesichert. Nachmittags erreichen wir den tief gefrorenen See. Hier, im Schatten der riesigen, drohenden schwarzen Călţun- Nordwand, deponieren wir die Rucksäcke, rasten und essen. Durch die Strunga beginnt der Angriff auf den Negoi.
Es ist schon spät geworden, und einer der ungarischen Freunde hat plötzlich große Schwierigkeiten beim Steigen. Auf einem Felsband, etwa 60 Höhenmeter unterhalb des Negoigipfels, rasten wir und besprechen die Lage. Es wird beschlossen, zum Călţun-See zurückzukehren und in der dort befindlichen Biwakschachtel zu übernachten. Ein Funkgespräch unterrichtet die Salvamont-Zentrale in Sibiu. Hungrig und müde erreichen wir die Biwakschachtel. Die Kocher werden angeheizt, es beginnt ein allgemeines Schneeschmelzen, Tee- und Brühekochen. Ein reichliches Mal, zu welchem jeder etwas beisteuert, beendet den Tag, und nach und nach kriecht alles in die Schlafsäcke.
Ein kalter, fahler Morgen weckt uns. Matt schimmert das Licht durch das einzige, kleine Fenster in der Tür. Die Atemluft ist an der Decke der nichtisolierten Biwakschachtel kondensiert und hat dicken Reif gebildet. Die Kocher sind am Tisch festgefroren. Es sieht aus wie in einem Kühlschrank, der dringend abgetaut werden müsste. Ein heißer Tee und ein gutes Frühstück bringen uns wieder in gute Laune. Bei strahlendem Sonnenschein und Windstille geht es in der alten Spur zurück. Das herrliche Wetter macht den Weg zu einer Genusstour. Glücklich und zufrieden erreichen wir am frühen Abend die Hütte.
Die nächsten Tage vergehen wie im Fluge, mit Skifahren, Sonnenbaden und Wandertouren zur Gämsenspitze, zum Gämsensee und auf den Buteanu. Abends sitzt man gemütlich in der Hütte. Die Alpinisten sind weitergezogen, und auch für uns nähert sich der Tag der Abreise. Ein letzter Blick ins Bâlea-Tal aus der Seilbahn, die uns zum Hotel zurückführt.
Schnell ist das Gepäck im Auto verstaut, und nach kaum einer Stunde fahren wir in die vorfrühlingshafte Ebene des Alt-Tals ein. Schemenhaft grüßen noch eine Weile, auf dem Weg nach Sibiu, die Zacken des Fogarascher Gebirgskamms herüber. Von der ganzen Herrlichkeit der winterlichen Hochgebirgswelt ist nun nichts mehr zu sehen. Geblieben ist jedoch das unvergessliche Fogarascher Erlebnis.

*

Gut vorbereitet und exakt geplant, ist es durchaus möglich, das Auto auch im Winter für eine derartige Fernfahrt zu nutzen. Hierbei sind sicherlich der Zustand des Pkw, Erfahrungen und Motivation des Fahrers entscheidender als der Wagentyp. Übernachtungsmöglichkeiten hat man so ziemlich in jeder Stadt, sollten die angetroffenen Straßenverhältnisse es nicht zulassen, das vorgesehene Etappenziel zu erreichen.
An einer Kammwanderung im winterlichen Hochgebirge sollten sich jedoch nur gebirgskundige Leute mit zweckmäßiger Ausrüstung und auch nur in Begleitung eines Führers beteiligen. Die Lektüre von Gebrauchsanweisungen, das Schmökern kluger Bergsteiger- oder Kletterbücher allein genügt dabei nicht.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 83, S. 84 – 88)

Seite Bildunterschrift
 
84 ohne Titel
87 Vor dem Aufstieg müssen die Steigfelle angelegt werden.
88 Winterliche Bâlea-Hütte. Der See liegt vereist unter einer hohen Schneedecke.
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