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Unvergessliche Reisetage

von Prof. Werner Klemm

Ein alter Brief, das Schreiben eines heute hoch betagten und in Fachkreisen außerordentlich geschätzten Ornithologen der DDR, lässt die Anziehungskraft der rumänischen Gebirgswelt in neuem Licht erscheinen. Durch die Lebhaftigkeit der Schilderung der damals „unerschlossenen“ Zibinsklamm und durch die darin aufscheinenden historischen Momente gewinnt er für die heutige Zeit seltenen Reiz und Nutzanwendung.
Der Brief selbst ist an die Redaktion der auch heute noch erscheinenden ornithologischen Zeitschrift „Aquila“ gerichtet und im Jahrgang 18/1911 dieser Zeitschrift veröffentlicht.

„Vor einigen Wochen bin ich durch Ihr Land gefahren und die zahlreich gesammelten Eindrücke veranlassen mich, Ihnen kurz einiges zu berichten, das Ihnen zwar nicht neu, aber doch von Interesse sein dürfte.
Als Begleiter des Herrn Rud. Zimmermann, der mir vorausgefahren war, habe ich von Hermannstadt aus eine Exkursion in das Czibiner Gebirge mitgemacht, mir dort aber bei schlechter Witterung einen nachdrücklichen Rheumatismus geholt, so dass ich umkehren musste und einen geplanten Ausflug in die Dobrudscha – zu meinem Leidwesen natürlich – nicht ausführen konnte. Eine ganze Anzahl mir neuer Vogelarten konnte ich beobachten: Zippammer, Halsbandfliegenfänger, Tannenhäher, Wasserpieper, Ringdrossel, Alpenbraunelle usw. Mit Adlern, Geiern, Kolkraben hatte ich indessen kein Glück.
Unvergesslich wird mir ein Tag bleiben, der 23. Mai, an dem ich eine Exkursion längs des Czibinflusses ausführte. Dieses prachtvolle Wildbachtal, von hohen Felspartien umsäumt, liegt in der ganzen Ausdehnung, in der ich es besuchte, tief unten im Laubholzgebiet, doch stehen auf den oberen Felszinnen schon viele Fichten. Rauschend und schäumend stürzten die klaren Fluten dieses Wassers über Blöcke aus Glimmerschiefer hinab zutal, zuweilen schöne Wasserfälle bildend. Die Ufer prangten im saftigsten Grün, Sylvia atricapilla (Mönchsgrasmücke) und Troglodytes troglodytes (Zaunkönig) suchten durch ihre schmetternden Weisen das Donnern des Wassers zu übertönen. Eine Motacilla boarula (Gebirgsstelze) flog flugs aufwärts und eine Cinclus cinclus (Wasseramsel) saß wippend auf einem Stein. Beim Anblick dieser wahrhaft großartigen Szenerie wurde ich lebhaft erinnert an einzelne Stellen der sächs.-böhmischen Schweiz; wie dort, so erschien auch hier, plötzlich um einen Fels biegend, ein Falco peregrinus (Wanderfalk), um dann für längere Zeit auf einer dürren, weit seitwärts in die Schlucht geneigten Birke aufzubaumen. Von einer roh zusammengefügten Bank aus, die zufällig im Grund stand, sah ich lange dem vierschrötigen Gesellen zu, wie er sich putzte und dann behäbig der Ruhe pflegte. Mein Blick fiel auf die Bank und neben vielen anderen Namen las ich E. v. Czynk, in großen Lettern tief eingegraben ins weiche Holz den Namen des bekannten Ornithologen aus Fogarasch!
Ich zweifle nicht daran, dass dieses Erinnerungszeichen wirklich von dem vor 12 Jahren verstorbenen Eduard v. Czynk herrührt...

Rochlitz den 18. Juni 1911

Richard Heyder“

Dem eingravierten Namen zufolge war also hier gewesen jener so rührige Jäger, Sammler und Forscher E. v. Czynk, dem die siebenbürgische Vogelkunde so viel zu verdanken hat. Als regelmäßiger Berichterstatter mehrerer Zeitschriften über den Vogelzug im Altland und aufmerksamer Beobachter des Vogellebens ist er über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt geworden. Zwischen 1886 und 1899 erschienen aus seiner Feder 28 heute überaus interessante Publikationen als Ergebnis seiner Jagderlebnisse und Forschungen, meist das damals noch reiche Vogelleben des Alttals und der Südkarpaten betreffend, aber auch Bär und Gämse gewidmet. Insbesondere verdanken wir ihm die einzige eingehendere Schilderung eines Brutplatzes des Bartgeiers im Fogarascher Gebirge.
Der aber die Inschrift auf der Bank in der Zibinsklamm fand, ist der 1884 in Rochlitz / Sachsen und heute in Oederan (DDR) lebende, unterdes zum Nestor der deutschen Vogelkunde gewordene Dr. Richard Heyder, der im 98. Lebensjahr steht. Über harte Lebensjahre als Kaufmann durch unermüdliche Selbstbildung zum zuständigen Fachmann herangereift, hat er außer sehr zahlreichen anderen Veröffentlichungen als beispielhaftes und unübertroffenes Hauptwerk „Die Vögel des Landes Sachsen (1952)“ erstellt und das Ehrendoktorat der Universität Leipzig erworben.
Seit seiner denkwürdigen Reise 1911 nach Siebenbürgen ist er diesem Land und seinen weitläufigen Gebirgen in Erinnerung, Gedanken und Interesse immer besonders nahe geblieben – noch gegenwärtig zeugen seine Briefe davon:

„Der Vorsitzende des Hermannstädter Jagdvereins 1911 war der Mentor eines Karpatenbesuchs, den ein Freund von mir zu photographischen Zwecken unternommen hatte. Er stellte uns die Jagdhütte Muncel oberhalb der Hohen Rinne zur Verfügung, wo wir, bei arg fallenden Temperaturen, 8 Tage aushielten, Wolfsaufnahmen aber am Luder nicht zustande kamen. Der uns von Spiess beigeordnete Heger war ein Bauer aus Grossau namens Binder, ein jagdlich passionierter, intelligenter Mann von 30 Jahren... Bei eingetretenem Wettersturz sammelten sich die Auerhühner ganz nahe unserer Jagdhütte und saßen langweilig auf den Fichten...
Ich erinnere mich noch gut, im 'Stadtwald’ oder 'Jungen Wald’ Blauracken gesehen und gehört zu haben, ebenso Schwarzstirnwürger, auf den Spitzen der an der Straße befindlichen Pappeln...“

Unermüdlich umfasste Dr. Heyders wissenschaftliches Interesse – durch die einmalige Reise angeregt – Probleme der siebenbürgischen Vogelkunde. So um 1958 mit der Anfrage an R. Jacobi (gest. 1972), ob der 1863 im Zibinsgebirge aufgefundene Mornellregenpfeifer dort wohl noch vorkomme, eine Anfrage, die zu neuen Studien und zu unseren gegenwärtigen, erweiterten Kenntnissen über die Biologie und die Verbreitung dieser merkwürdigen Vogelart im siebenbürgischen Karpatenraum führte. Oder ein andermal: „Eine oft vergessene Frage sei nachgeholt: brütet wohl die Wacholderdrossel (Turdus pilaris) bei Ihnen?“ – eine berechtigte und unterdes ebenfalls bejahte Frage.
Die Wacholderdrossel ist, von Nordost her kommend, 1973 erstmals in Siebenbürgen als Brutvogel nachgewiesen und hat, nach Süden fortschreitend, im Laufe eines knappen Jahrzehnts bereits die Kette der Südkarpaten überquert und somit ihren Brutraum beträchtlich erweitert. Auch Dr. Heyders Frage betreffs das Vorkommen des Karmingimpels, einer weiteren aufsehenerregend sich ausbreitenden Vogelart, kann neuerdings zustimmend bestätigt werden. Nur eine seiner Fragen ist noch offen:

„In den letzten Jahren hat sich ein ornithologisches Problem insofern aufgetan, als man die rotkehlige Form des Blaukehlchens (Luscinia svecica svecica), die man bisher nur als Brutvogel der arktischen Tundra kannte, rasch nacheinander an drei Stellen zentraleuropäischer Hochgebirge, und zwar brütend nachweisen konnte: In Latschenkiefer- Hochmooren des Krknose (Riesengebirge: „Pantschewiese“), 1600 m hoch, in den Radstädter Tauern (Salzburg / Steiermark) und Schweizer Alpen. Der Vogel wird am ehesten nach dem Gesang gefunden, doch soll dessen Dauer nur kurz sein und enden, wenn die Hochlagen i. allg. unpassierbar sind. Dann fällt dieser Kleinvogel in seinem Brutgebiet nicht mehr auf und kann seine Anwesenheit die Zeiten hindurch verbergen. Haben Ihre Gebirgsmoore derartige Kieferndickungen, so dürfte zu raten sein, sie daraufhin zu untersuchen, denn ich bin der Meinung, dass das lohnen könnte oder doch die Frage nicht offen lässt.“

Diesem Hinweis des gezielten Suchens ist bisnoch niemand nachgekommen. Aber vielleicht ist es ein vogelkundiger Wanderer, Leser dieser Zeilen, der auf einer ersten Frühlingswanderung in die Hochlagen unserer Karpaten diesem hochnordischen Vögelchen am bisher noch unbekannten Brutplatz begegnet...

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 83, S. 89 – 93)

Seite Bildunterschrift
 
89 Blaukehlchen auf Nahrungssuche.
92 Der Wasserpieper.
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