von Traugott Engel (Berlin)
Eine Pressemeldung, dass eine der höchsten Passstraßen Rumäniens, die
Transfogarascher, befahrbar sei, reizte mich ungemein, die Überquerung des Fogarascher
Gebirges auf dieser Straße zwischen Moldoveanu und Negoi mit dem Fahrrad zu versuchen.
Der Himmel war seit dem frühen Morgen bedeckt, und es war merklich kühler als an den
Vortagen. Das Fogarasch-Gebirge schickte seine ersten Vorboten in Form kurzer, aber
heftiger Regenschauer voraus.
Am späten Nachmittag erreichte ich den Vidraru-Stausee und nahm Kurs entlang der
östlichen Uferstraße.
Jetzt bekam ich einen kleinen Vorgeschmack davon, was ich mir eigentlich vorgenommen
hatte. In unendlich vielen Windungen schlängelt sich die Straße hoch über dem See an den
steilen Berghängen entlang und scheint kein Ende zu nehmen.
In der Erwartung, demnächst auf einen Campingplatz zu stoßen oder das am Nordufer
gelegene und während der Fahrt immer wieder ins Blickfeld tretende Hotel am See zu
erreichen, hatte ich gar nicht mehr so auf die Zeit geachtet. Die Dunkelheit überfiel mich, und
zu allem Überfluss begann es auch noch zu regnen.
Nach geraumer Zeit, als die Straße immer stärker anstieg und die Lichter des Hotels oder
was immer auch das für ein Gebäude gewesen sein mochte, halblinks hinter mir
zurückbleiben, wusste ich, dass ich den Weg dorthin verfehlt hatte und mich bereits auf dem
Weg zum Gipfel befand. Wo übernachten?
Unvermutet tauchten plötzlich vor mir Lichter auf. Eine kleine Ansammlung von Häusern,
Unterkünfte für Bauarbeiter. Mein Ersuchen um Quartier, es war bereits 22.00 Uhr, wurde
sofort erfüllt.
Ein trüber, etwas nebliger, im Übrigen aber trockener und kalter Morgen begrüßte mich am
nächsten Tag. Wenn der Nebel wich, gab er den Blick frei auf den vor mir hoch aufragenden
Paltinul (2398 m), unter dessen Gipfel ich den Tunnel, den höchstgelegenen Punkt dieser
Straße, wusste.
In unendlich vielen Windungen ziehen sich die Serpentinen an den steilen Abhängen dahin.
Große Schafherden weiden auf den kargen Hängen, und das Glockengeläut begleitet den
Wanderer. Je höher ich steige, denn von Fahren kann schon längst nicht mehr gesprochen
werden, umso kälter wird es. Auf den Hängen liegen Schneewechten. Ganze Kaskaden von
Schmelz- und Regenwasser stürzen herab. Nach einer erneuten Biegung erscheinen die
Gebäude der Meteorologischen Station im Blickfeld. Endlich passiere ich den 889 m langen
Tunnel, 280 m unterhalb des Paltinul-Sattels in einer Höhe von 2055 m. Es ist ein
großartiges Gefühl: In eine solche Höhe habe ich mein Fahrrad noch nie geführt. Die
Großartigkeit der Bergwelt rings um mich her berauscht mich.
Nach kurzer Rast in der Bâlea-See-Berghütte beginnt dann der „Abstieg“ in rasender Fahrt.
Am späten Nachmittag erreiche ich Talmesch, wo ich einige Bekannte besuche. Das Wetter
ist schön, die Luft klar, und das Fogarasch-Gebirge zeigt sich in seiner ganzen Schönheit.
Um einen Berg herum schweben Kumuluswolken, und auf dem Anger in Talmesch singen
die Kinder: „Hat der Bran einen Hut, bleibt das Wetter gut“.
Und so war es dann auch. Die Sonne blieb bis nach Hause mein ständiger Begleiter.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 83, S. 196 – 197)