Motorisiert rücken auch die Fogarascher in Stadtnähe
von Walter Kargel
Zu den beliebtesten Zielen der Bergfreunde gehört zweifellos das Fogarascher Gebirge. Im
Sommer begegnet man wahren Wander-Karawanen auf dem Hauptkamm, die in der
zerklüfteten Bergwelt des mächtigsten Gebirges der rumänischen Karpaten ihr kleines oder
großes Bergabenteuer erleben wollen.
Die Zustiegswege führen meist aus dem Norden – aus dem Altland – zum Hauptkamm, sind
besser markiert und kürzer als jene aus dem Süden, und auch die Berghütten sind
zahlreicher. Während die Nordkämme Moaşa, Scărişoara, Şerbota, Buteanu, Tărâţa, Mişu
von markierten Wegen erschlossen sind, muss man sich bei den übrigen mit Hirtenpfaden
begnügen. Einige jedoch, in Hauptkammnähe gelegen, bieten anregende, großzügige
Kletterfahrten, die im Sommer einer breiteren Schicht von Bergfreunden zugänglich sind, da
sie den II. bis III. Schwierigkeitsgrad nicht überschreiten.
Die für Kletterer interessantesten Nordkämme sind Tunsul (Scoreer Alpe), Albota,
Gârdomanul, Muchia Viştei, Muchia Zănoagei, Muchia Drăguşului. Außer den Nordkämmen
bieten auch Teile des Hauptkamms attraktive Kletterfahrten. Diese Teile werden vom
markierten Hauptkammweg umgangen. Wichtigster Hauptkammabschnitt für Kletterer ist die
Creasta Arpăşelului, fortgesetzt durch die Creasta Vârtopelului. Als westliches Ende dieses
Abschnitts gilt die Große Scharte (Portiţa Arpaşului). Die erste Begehung wurde von Ruppert
Schmautz, F. A. Friedsmann und E. Krawiecky im Oktober 1912 durchgeführt, die erste
Winterbegehung 1963 von einer Bergsteigergruppe, der Igor Popovici, Mik-Aniţia, Constantin
Zamfir und Ion Silca angehörten, die nach erfolgreicher Durchführung beim Abstieg von einer
Lawine erfasst und nicht mehr gerettet werden konnten.
„Isolde“, unser Trabi, schaffte die 232 km lange Strecke Bukarest – Bâlea-See, die
Unterbrechungen eingerechnet, in sechs Stunden. Wir hatten es nicht so eilig und wollten
diesen Julisamstag auch zur Besichtigung der Klosterkirche des sagenhaften Negru Vodă,
des Brunnens des Baumeisters Manole in Curtea de Argeş nutzen, aber auch zu einem
Besuch der Festung des Ţepeş Vodă hoch oben am Felsen in der Argeş-Klamm.
Schweißgebadet erklommen wir die 1000 Stufen (oder sind es mehr) bis zur Festung und
machten noch einen Abstecher in die Nebenschlucht Valea cu Peşti, wo es eine Kletterführe
geben soll. Dann rollt der Wagen über die 165 m hohe Vidraru-Staumauer das kurvenreiche
Steilufer des Sees entlang, die Transfogarascher Straße aufwärts. Hoch oben machen wir
unser morgiges Ziel aus – Creasta Arpăşelului, eine Teilstrecke des Fogarascher
Hauptkamms. Während wir auf der Südseite in der Sonne braten, geht im Norden ein
schweres Gewitter nieder. Als wir schließlich den Bâlea-See erreichen, ist wieder schönstes
Wetter. Die Nachmittagssonne scheint unschuldig auf die Skiläufer, die bei ihren Abfahrten
fast in den See plumpsen. Der Wagen wird in Hüttennähe geparkt, und nach kräftigender
Mahlzeit geht’s noch rasch hinauf zum Gämsensattel.
Am nächsten Morgen verlassen wir den Bâlea-See. Es ist noch ziemlich kühl, die Sonne
erreicht erst später das Kar. Auf dem Weg zum Gämsensattel finden wir eine Quelle, an der
wir frühstücken und Bergstiefel und Rucksack unter einem Felsbrocken verstecken. Mit
leichten Kletterschuhen, einem Seil, sechs Karabinern und einer Tafel Schokolade in der
Tasche setzen wir unseren Weg fort. Es geht aufwärts zum Văiuga-Sattel und zur
Gämsenspitze – Vârful Capra, Südgipfel der Vânătoarea lui Buteanu.
Das Wetter ist günstig. Sonne, klare Fernsicht, ab und zu segeln dünne Nebelstreifen über
den Grat und die Kare. Aufmerksam klettern wir von der Capra über steile Grashänge in die
Große Scharte (Portiţa Arpăşelului). Das Gras ist vom gestrigen Gewitter und vom Tau ganz
nass und auch die Felsen sind glitschig. In der Scharte legen wir das Seil an und erkunden
die weitere Route.
Die Wand zum Portiţa-Turm ist „fast senkrecht“ und Haken sind nicht auszumachen. Zu
guter Letzt steigen wir etwas gegen Süden ab und wählen den Anstieg durch eine flache
Steilrinne. Sicherungshaken lassen sich in dem morschen Gestein nicht anbringen. Erst 40
m höher finde ich einen Standhaken, nach weiteren 40 m einen zweiten. Die dritte Seillänge
endet am Grat, der in west-östlicher Richtung verläuft. Die Nordwand ist felsig und senkrecht
gegen das Arpăşel-Kar (Căldarea Pietroasă), die Südwand dagegen besteht aus steilen
Grashängen, von Felsstufen unterbrochen, und endet im Kar Căldăruşa Fundul Capra.
Die ziehenden Nebelschleier lassen die benachbarten Felstürme und die Gipfel der
Vânătoarea, Arpaşul Mic, Muşeteica noch größer und erhabener erscheinen. Während das
Detailbild wie in einem Film ständig wechselt, klettern wir weiter, immer kurze Strecken
waagerecht, dann steil abwärts in einen Sattel oder in eine Scharte, dann jenseits ebenso
steil wieder empor. Grasstufen und Fels lösen einander ab und überall blühen Bergblumen in
leuchtenden Farben, wobei gelb und blau, lila und rot vorherrschen. Zwergprimeln und
Himmelschlüsselchen, Trollblumen, Silberwurz, Nelkwurz, Alpenrosen, tiefblauer
Frühlingsenzian, Alpenglockenblumen und Alpenstiefmütterchen, Himmelherold und
Gemswurz – ein Blumenteppich, wie man ihn nur hier sehen kann.
Ernstere Schwierigkeiten bereiten uns lediglich die beiden Hasenohren – Felstürme von 15 –
20 m Höhe, die Hakensicherung erfordern. Am Einstieg schlage ich jeweils einen
Standhaken, die übrigen Haken sind vorhanden. Vom Gipfel des ersten Hasenohrs seilt man
sich in die Hasenspalte ab, auf das zweite Hasenohr folgt wieder ein leichtes Gratstück. Der
eigentliche Arpăşelgrat endet nach dem Gipfel „La Pârâul lui Adam“ auf dem breiten
Grasplateau des Vârful Fântânii und Preluca-Gipfels. Hier zweigt gegen Norden der
Albota-Kamm ab, der das Arpăşel-Tal vom Arpaşul-Mare-Zal trennt.
Man kann hier die Tour abbrechen und durch eine Steilrinne (Preluca) gegen Süden
absteigen, um den markierten Touristenweg Bâlea-See – Podragu zu erreichen. Wir jedoch
machen uns an den zweiten Gratabschnitt, Creasta Vârtopelului, der die Fortsetzung der
Creasta Arpăşelului bildet.
Zunächst umgehen wir den Fântânii-Gipfel im Norden, dann folgen wir der Gratlinie über
Vârtopel-Spitze und „Vârtopel-Bastei“. Die Schwierigkeiten sind kleiner als auf der Creasta
Arpăşelului. Zuletzt führen breite Grashänge hinab zur Kleinen Scharte (Portiţa Arpaşului),
wo eine Markierungsstange den Weg Bâlea – Podragu anzeigt. Nach 6 Stunden Kletterei
sitzen wir gemütlich im Gras und rollen das Seil zusammen.
Der Rückweg zum Bâlea-See erfolgt über den mit rotem Band markierten Pfad, der von der
Kleinen Scharte steil gegen Süden absteigt. Um den Karboden Fundul Capra zu erreichen,
überqueren wir zahlreiche steile Altschneezungen und Schmelzwasserrinnen. Ein scharfer
Gegenanstieg zur „Gurkenportiţa“ und zum Gämsensee lässt uns jener wackeren SKV-Leute
gedenken, die im Jahre 1912 als erste den Arpăşel-Grat begingen.
In der Abendsonne erreichen wir unseren Rastplatz, wo wir uns in den Morgenstunden
kräftigten, wieder, holen den Rucksack aus dem Versteck, essen ausgiebig und steigen dann
zum Bâlea-See ab. Der „Trabi“ ist startbereit und nach einigen Minuten rollen wir heimwärts.
Wanderer, die diese Tour von Sibiu aus machen wollen und nicht motorisiert sind, benötigen
dafür zwei Tage.
Erster Tag: Mit dem Zug von Sibiu bis Arpaş. Aufstieg ins Arpaşul-Mare-Tal und Biwak im
Kar.
Zweiter Tag: Vârtopel- und Arpăşel-Grat, Abstieg, kurze Rast in der Bâleahütte und noch am
selben Abend mit dem Zug nach Sibiu zurück!
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 83, S. 227 – 231)
Seite | Bildunterschrift |
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227 | ohne Titel |
228 | Kartenskizze: Creasta Arpăşelului – Ansicht von Norden |
229 | Kartenskizze: Creasta Arpăşelului |