von Helmut und Klaus Fabritius
Rumänien ist reich an Klammen, die Turdaer Schlucht, die Râmeţi-Klamm, die Zibinsklamm,
um nur einige zu nennen. Alle tragen die Bezeichnung „cheia“ mit einem näher
bestimmenden Ortsnamen. Die Klamm im Căpăţânii-Gebirge ist einmalig und hat bei den
Einheimischen keine nähere Bezeichnung. Sie heißt einfach „Cheia“. Tief in den Kalkfelsen
eingeschnitten, bildet sie den östlichsten Abschluss der Vânturariţa und ist am besten über
Olăneşti zu erreichen.
Vor über 20 Jahren haben wir, Vater und Sohn, die Cheia für uns entdeckt. Schwer bepackt,
mit Zelt und Verpflegung für mehrere Tage sind wir losgezogen, ohne Karten und ohne
Kenntnis des Gebiets. Der kleine Weiler Tisa, über Olăneşti, war unser eigentlicher
Ausgangspunkt. Hier beginnt der „Plaiul Piatra Tăiată“, ein endloser Bergrücken, der
zwischen Olăneşti-Bach und dem Cheia-Bach den Anmarschweg bildet.
Unser Ziel war das Hegerhaus am oberen Eingang in die Cheia, also im Norden der Klamm
gelegen. Um dorthin zu gelangen, muss die Cheia umgangen werden. Von dort wollten wir
versuchen, die Klamm zu durchschreiten und nach Süden wieder auf demselben Weg aus
dem Gebiet heraus. Wir erreichten das Hegerhaus am ersten Tag nicht, die Rucksäcke
waren schwer und der „Plaiul Piatra Tăiată“ endlos. Am nächsten Tag ging es über den
Sattel zwischen Stogu und Stogşoare steil hinunter in die Talmulde zum oberen Ende der
Klamm, in welchem das Hegerhaus liegt. Die „Claia Strâmbă“, der schiefe Heuschober, ein
gigantischer Felsen, beherrscht die Landschaft.
Am nächsten Tag begann der Angriff auf die Cheia. Dem Bachlauf folgend, drangen wir in
die Klamm ein. Der Weg war beschwerlich, mächtige Felsblöcke machten das Vordringen
immer schwieriger und das Getöse des Cheia-Bachs eine Verständigung fast unmöglich.
Nach kurzer Wanderung versperrte uns ein etwa 15 m tiefer Abgrund den Weg. Mit viel
Mühe warfen wir einen angeschwemmten Baum als Abstiegshilfe hinunter und mit Hilfe des
Seils gelang es, auch dieses Hindernis zu nehmen. Nun wurde das Bachbett flacher,
während der Bach im Kalkstein vollständig versickerte, so dass wir fast mühelos vorwärts
kamen. Die Felswände rechts und links schienen uns zu erdrücken. Plötzlich trat auch der
Bach wieder ans Tageslicht, noch voller, noch kräftiger. Wir folgten ihm, und dann war
plötzlich alles zu Ende: Der Bach füllte die Klamm vollkommen aus, die Wand stieg
unmittelbar hoch, es gab keine Möglichkeit, vorwärtszukommen, es sei denn, schwimmend,
durchs Wasser. Keine hundert Meter weiter unten erblickten wir das Ende der Klamm.
Unserem Ziel so nahe, gaben wir auf und kehrten auf demselben Weg wieder zum
Hegerhaus zurück. Schade!
Im Frühling vergangenen Jahres sind wir wieder hergekommen. Den Plan, die Cheia doch
noch zu durchwandern, hatten wir nie aufgegeben. Es war Anfang Mai, und oben in den
steilen Rinnen der Vânturariţa lag noch Schnee. Wieder war die Asphaltstraße nach Olăneşti
unser Ausgangspunkt. Vor Olăneşti, im Dorf Valea Cheii (kurz hinter der Ortschaft
Păuşeşti-Măglaşi) beginnt eine Forststraße, auf der unser Auto in Richtung Cheia rollte. Nach etwa 5
km fuhren wir am Ezer-Kloster, einer Sommerfrische Bukarester Familien, vorbei, um nach
etwa 12 – 14 km, immer den Cheia-Bach aufwärts, an jene Stelle zu gelangen, wo die
Forststraße den Bach verlässt und sich rechts den Berg aufwärts schlängelt und das Auto
abgestellt werden muss. Die Straße bis her war im Allgemeinen gut. Allerdings ist
vorsichtiges Fahren geraten, weil es auch ausgewaschene Abschnitte gibt.
Hier wurde das Zelt aufgestellt und erst am folgenden Morgen die Wanderung begonnen. Es
ging die Forststraße bergan, an der „La Lac“ genannten Stelle (von einem See ist aber nichts
zu sehen) vorbei, bis wir auf die Markierung rotes Band stießen, die vom „Plaiul Piatra
Tăiată“ her kommend über den Sattel zwischen Stogşoare und Stogu (curmătura Stogşoara)
zum Hegerhaus führt. Nach kurzer Rast schritten wir wieder in die Cheia hinein, der
Markierung blaues Dreieck folgend. Ein gut erkennbarer Pfad führte uns in die Klamm
problemlos bis in die Nähe der Kletterstelle, deren Schwierigkeitsgrad am Felsen
angeschrieben ist.
Der Seidelbast blühte, der Boden war mit Buschwindröschen und Zahnwurz übersät, und
wer sich den Baumbestand näher ansah, konnte die so seltene Eibe, nicht als Parkschmuck,
sondern in freier Natur bewundern.
Nach kurzer Rast folgten wir dem blauen Dreieck weiter. Der Weg führte in einer steilen
Rinne, teilweise durch Geröll aufwärts, bis wir in halber Rinnenhöhe auf eine Bergnase
gelangten.
Nun begann der schönste, aber auch schwierigste Teil der Tour. Auf halber Höhe der
Klamm, mitten in der Wand führte ein gut gangbarer Steg. Es gab kaum schwierige Stellen,
nur schwindelfrei musste man schon sein, denn rechts schien die Wand bis zum Himmel zu
reichen und links ging es grausam tief hinunter zur Sohle der Klamm. In der Wand blühte
jetzt im Mai die großblütige Kuhschelle. Sie klebte wie das Edelweiß im Felsen.
Wir bewunderten diese blumengeschmückte wildromantische Felsenwelt und gelangten
nach etwa 20 Minuten auf die gegenüberliegende Bergnase. Nun ging es steil abwärts durch
den Buchenwald zu jener Stelle zurück, wo das Auto abgestellt war.
Es war eine schöne und erlebnisreiche Wanderung. Auch deshalb, weil es uns gelungen
war, die „Cheia“ endlich zu bezwingen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 83, S. 217 – 219)
Seite | Bildunterschrift |
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217 | ohne Titel |
218 | Kartenskizze |
219 | Die wildromantische Klamm. |