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Das Zoodt-Tal hat viele Gesichter

Eine Familienwanderung zum Cindrel kann für jeden zum Erlebnis werden

von Constantin Drăgulescu

42 Kilometer braucht der Zoodt-Fluss, bis er aus seinem Quellgebiet, den Meeraugen Iujbea Răşinarului und Iujbea Cacovei in der Nähe von Talmesch, in den Zibin mündet. Sein 282 Quadratkilometer großes Einzugsgebiet ist durch eine Vielzahl von reißenden Bächen gekennzeichnet, und er selbst wurde wegen seines stürmischen Laufs schon in alten Zeiten in den Dienst verschiedener bäuerlicher Mühlen, Walkmühlen und Gatter gestellt, oder wie heute zur Energieerzeugung genutzt. Es ist eine abwechslungsreiche Landschaft, mit sanft geschwungenen, langgezogenen Bergkämmen und weiten Bergsatteln, die wir zum Ausflugsziel gewählt haben und die wir vor allem für Familienwanderungen empfehlen möchten.
Alle Personenzüge, die von Sibiu in Richtung Fogarasch – Braşov oder Lotru – Rm. Vâlcea fahren, halten nach 30 Fahrtminuten in Talmesch, dem Ausgangspunkt unserer Bergwanderung. Die Ortschaft, im eigentlichen wie im übertragenen Sinne an der Kreuzung aller vier Windrichtungen gelegen, wo der Tălmăcuţ in den Zoodt und der Zoodt in den Zibin mündet und in der Sachsen und Rumänen seit Jahrhunderten zusammenleben, hat im letzten Jahrzehnt große Fortschritte in Richtung Urbanisierung gemacht. Vom Bahnhof schreiten wir zunächst auf der Straße, die parallel zur Eisenbahnstrecke verläuft, kommen beim Sägewerk vorbei, das in der Zwischenkriegszeit zu den größten der Welt zählte. Beim Kaufhaus folgen wir nicht der Straße, die nach Sadu (8 km) führt, sondern schlagen den Weg nach links ein und überqueren eine Brücke (einen Kilometer vor Talmesch wird der Zoodt durch einen Staudamm in zwei Arme geteilt), kurz darauf auch eine zweite, um dann die Landstraße zu verlassen und hangaufwärts, zum Tortonian-Konglomerat, zu steigen. Hier bietet sich ein schöner Ausblick auf die Ortschaft und das Fogarascher Gebirge, mit dem Suru-Gipfel im Vordergrund.
Das Grün ringsum spielt in allen Nuancen. Im Frühling verwandeln die Blüten der Buschwindröschen, des Gelb- und Blausterns, des Lerchensporns, der Wald-Leberblümchen, des Hundszahns und des Lungenkrauts das Ganze in einen farbenprächtigen Blumenteppich. Der Weg führt sanft in die Flußau hinab, die bis weit in den Juni hinein einen Überschuss an Feuchtigkeit aufweist.
Kaum eine halbe Stunde, nachdem wir Talmesch verlassen haben, gelangen wir an den Pietroasele-Wildbach, der nach jedem Regen beträchtliche Mengen Sand und Geröll in die Au schwemmt. Im Wald, durch den sich der Bach schlängelt, wachsen außer Wärme liebenden Arten wie Silberlinde und Pimpernuss auch Bäume, die raues Gebirgsklima bevorzugen wie Buche und Bergahorn. Nun beschreibt der Fluss eine Biegung, so dass wir einen kleinen Abhang hinauf müssen, der uns auf die Zoodt-Terrasse führt. Ein schöner Birkenhain empfängt den Wanderer, der Boden ist von Sibirischen Schwertlilien und Narzissen bedeckt. Im August können an dieser Stelle auch die goldgelben Dolden des in der Flora unseres Landes selten vorkommenden Rachels Haarstrang bewundert werden, ebenso die violettblauen Blüten des Lungenenzians und Schwalbenwurzblättrigen Enzians, die auf dieser Pfeiffengras-Wiese üppig gedeihen. Von diesem Pfeiffengras, rumänisch „şuvar“ genannt, leitet sich auch der Name dieser Bergwiese, „Şuvara saşilor“, ab.
Über den sanften, von Wäldern und Heuwiesen bedeckten Hügelzügen kreist ein Mäusebussard. Von Zeit zu Zeit ruft der Kuckuck, schlägt die Amsel, lassen sich Weidenlaubsänger und Goldammern hören. Nicht selten begegnet man Rehen, die scheu in dem Wald verschwinden. Dann erblicken wir die ersten Gehöfte des Bergdorfes Sadu. Die Gemeinde, eine typisch rumänische Bergbauernsiedlung, wird schon im Jahre 1383 urkundlich erwähnt und gehörte bis ins 18. Jh. zu Heltau (mit dem es heute durch eine Asphaltstraße verbunden ist). Durch einen Rechtsspruch wurde es 1788 zu einem Freidorf erklärt. In Sadu steht auch das Geburtshaus von Inocenţiu Micu-Clain (1692 – 1768), einer der siebenbürgischen Aufklärer, und das von Ioan Piuariu-Molnar (1749 – 1815), dem ersten rumänischen Diplom-Arzt. Die Einwohner, vor allem Bergbauern und Forstarbeiter, befassten sich früher hauptsächlich mit Holzverarbeitung. Später, als die Schafzucht einen großen Aufschwung erfuhr, wurden die am Fluss errichteten Sägewerke durch Walkmühlen ersetzt, die zur Fertigung von grobem Bauerntuch dienten. Sadu rühmt sich aber auch mit einer Bierbrauerei, deren „flüssiges Brot“ in Sibiu und Umgebung sehr geschätzt ist.
Nur einen Kilometer flussaufwärts liegt das kleine, 1896 gebaute Wasserkraftwerk Sadu I, das erste in Rumänien und dritte in Europa. Es verfügt über keinen Staudamm und –see; die Turbinen werden mit dem durch eine bedeckte Leitung herbeigeführten Wasser in Bewegung gesetzt. 1897 wurde das Kraftwerk durch eine 4-KV-Luftleitung mit Sibiu verbunden, der ersten Stromleitung dieser Spannung in Europa.
Die auch von Kraftfahrzeugen befahrbare Straße schlängelt sich weiter flussaufwärts zum „Grünen Tisch“, einer grasbestandenen Fläche, die viele Wanderer, Radfahrer und Autotouristen zur Raststätte wählen. Von hier steigt der Pfad (Markierung blaues Dreieck) zur Schutzhütte Prejba (1630 m) im Lotru-Gebirge. Wir jedoch folgen dem sich verengenden Weg und lassen den Juvertu- und den Plaiu-Bach hinter uns. Nur wenige Meter hinter dem 1907 erbauten Wasserkraftwerk Sadu II entdecken wir hart am Weg, dort, wo der Lacului-Bach in den Zoodt mündet, im Laub der Baumkronen verborgen, die Schutzhütte „Valea Sadului“.
Obwohl fast vier Wegstunden vergangen sind, befinden wir uns erst in 550 Meter Höhe. Nach kurzer Rast setzen wir unseren Weg am Fuße der Măgura durch das immer reizvoller werdende Zoodt-Tal fort, um nach kurzer Wanderung den See von Sadu II zu erreichen. Rechts und links säumen Felsblöcke den Weg. In ihren Rissen und Spalten sind eine Reihe endemischer (die in anderen Bergzügen der Welt nicht vorkommen) und karpato-balkanischer Pflanzen heimisch geworden, wie die Schmalblättrige Nelke, das Siebenbürgische Leimkraut, die Hängende Nabelmiere, Bachofens Ehrenpreis, Hauswurz und Zartes Labkraut. Fast ohne es zu bemerken, passieren wir die vier Weiler der Gemeinde Râu Sadului, die sich längs des Wasserlaufs hinziehen. Viele Touristen werden sich fragen, weshalb über den Haustoren verschiedene Pflanzen hängen. Es handelt sich um einen alten Brauch, dem verschiedene Bedeutung beigemessen wird. Die Kränze von Gelbem Labkraut die man am 24. Juni über die Hoftore hängt, sollen das Haus vor allem Übel bewahren. Am selben Tag werden Kränze von Labkraut auf das Hausdach geworfen, je ein Kranz für jedes Familienmitglied, um es vor Krankheit zu schützen. Auch gürten sich die Bauern mit Liebstöckel, um von Kreuzschmerzen verschon zu bleiben.
Bei der Ausfahrt aus Fundu-Râului, dem letzten Weiler der Gemeinde, begegnet man in der Nähe des Zusammenflusses des Pinu-Bachs mit dem Zoodt die Markierung rotes Kreuz, die über die Berge Capra, Nanu und Onceşti zum Luftkurort Hohe Rinne/Păltiniş (1450 m) führt. Man gelangt auch auf diesem Weg zum Cindrel, wir jedoch folgen dem Flusslauf.
Nach zwei Kilometern erreichen wir Sădurel, eine kleine Forstarbeitersiedlung. Im Notfall kann man hier im Pionierlager übernachten. Eine Rastpause sollte man aber unbedingt einschalten und auch der Blumenpracht in den Felsmulden einen Blick widmen. Auch von hier bietet sich ein Weg zum Cindrel. Auf einem Forstweg (zu Fuß oder mit einem der oft verkehrenden Laster, die zum Forstbetrieb Zâmbru fahren) gelangt man schließlich zum Clăbucet-Gipfel (2056 m) und auf dem Kammweg, der Markierung blauer Streifen folgend, über den Ştefleşti-Gipfel. Der kürzeste Weg führt aber doch durch das Zoodt-Tal, am Fuß des Pleşul Mic (1414 m) im Süden und dem Grosu (1515 m) im Norden vorbei. Wir folgen ihm, steigen die Serpentinen empor, die uns vom Wasserlauf entfernen und gelangen zu den Berghütten von Gâtul Berbecului (1175 m). Von hier bietet sich ein herrliches Panorama der beeindruckenden Bergwelt. Gâtul Berbecului ist auch der Treffpunkt der Touristenstraßen aus dem Zibins-, Lotru- und Parânggebirge.
An der unteren Grenze des Fichtenwaldes breitet sich die spiegelglatte Fläche des Stausees „Negovanu“ aus. Hinter dem 62 Meter hohen Damm stauen sich 6,5 Millionen Kubikmeter Wasser. Wir übernachten in einer der gut geführten Hütten und genießen nach anstrengender Wanderung die wohlverdiente Ruhe in Bergeshöh. Sollte es am nächsten Tag schlechtes Wetter geben, können wir die Tour unterbrechen und über die Hohe Rinne/Păltiniş (Markierung rotes Dreieck) nach Sibiu zurückkehren. Der nächste Tag begrüßt uns mit schönstem Sonnenschein, so dass wir unsere Wanderung am linken Seeufer bis zum Ursprung des Zoodt fortsetzen. In den Bächen, die den See mit Wasser speisen, wimmelt es von Forellen. Warntafeln machen darauf aufmerksam, dass Kreuzottern hier häufig vorkommen. In den dichten Fichtenwäldern hat man nicht selten das Glück, Auerhähne oder Hirsche zu erblicken, insbesondere wenn man vom Ende des Sees linker Hand die Besteigung des Negovanu Mare (2314 m) angeht (Markierung rotes Dreieck) oder auf dem Pfad (blauer Kreis) entlangschreitet, der uns zur Unterkunft Cânaia (1800 m), führt. Auf beiden gelangt man zum Cindrel, allerdings auf Umwegen.
Wir folgen dem Forstweg aus dem Tal, gelangen an die Stelle des Zusammenflusses von Zoodt und Conţu-Bach und nach etwa 1 ½ Wegstunden zum Bergsattel Ştefleşti (1750 m), der Wasserscheide von Zoodt und Frumoasei (Mühlbach). Die Schönheit der Landschaft (nicht umsonst führen die Berge im Nordwesten und das Tal im Westen den Namen „Frumoasa“ – die Schöne) entzückt das Auge. Wir setzen den Weg (roter Streifen) am linken Zoodt-Ufer durch Fichtenwald fort. Fast alle Bäume sind gleich hoch. Einige, deren Wipfel abgehauen wurden, breiten ihre Zweige weit aus und erinnern an mächtige Kandelaber. Aus dem Wald heraus geht es einige Zeit an Wacholderbüschen vorbei, und dann tut sich die Cindrel-Alm vor uns auf. Bald stehen wir auch auf dem 2224 m hohen Gipfel – unserem Wanderziel. Vor uns breitet sich eine märchenhafte Landschaft aus, die wir auch in vollen Zügen genießen. Übernachtet wird in der eine Wegstunde entfernten Unterkunft Cânaia (1800 m). Der Heimweg erfolgt über die Gipfel Niculeşti, Rozdeşti, Bătrâna und Onceşti (Markierung roter Streifen) bis zur Hohen Rinne/Păltiniş und von hier weiter mit dem Bus nach Sibiu.
Die Wanderung kann selbstverständlich auf mehrere Tage ausgedehnt werden, weil die einzelnen Etappenziele beste Gelegenheit zu Langzeitaufenthalten bieten.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 83, S. 155 – 160)

Seite Bildunterschrift
 
156 Wenn der Frühling kommt, ist die Zoodtau bei Sadu von Sumpfdotterblumen übersät.
157 Der erste bogenartige Staudamm Rumäniens – Negovanu-Stausee bei Gâtu Berbecului.
159 Kartenskizze
160 Rast am Şerbănei. Begegnung mit den Hirten von Conţu Mare.
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