Der Semenik: Wintersportgebiet par Excellenze. Im Sommer zu den Seen im Bersautal.
von Franz Engelmann
Die Rigi – nicht wahr, das ist Ihnen ein Begriff? Nun ja, wer sollte ihn nicht kennen, jenen
einmaligen Schweizer Aussichtsberg, der da zwischen dem Vierwaldstätter- und dem Zuger
See in 1798 Meter Höhe „kulminiert“, wörtlich, denn die Spitze heißt ja Rigi-Kulm. Gut, aber...
Ja, ja, ich möchte wirklich einen Vergleich ziehen zwischen jenem Bergstock in den Alpen
und dem Herzstück unserer Banater Berge! Gewagt? Na, sehen wir uns die Sache mal
näher an: Zwar bleibt der Semenik und sein „Kulm“, die Gozna-Spitze, in der Höhe genau
351 Meter unter der Rigi-Kulm, erhebt sich aber immerhin doch volle dreihundert Meter über
den Brocken und steht etwa scheitelgleich mit dem Schwarzwälder Feldberg – aber trotz
allem: als Aussichtsberg bleibt er gleichfalls unübertroffen.
Wohl mag das Panorama nicht so überwältigend sein wie das von der Rigi, dafür aber ist es,
da keine in unmittelbarer Nähe liegenden Eisriesen den Horizont einengen, unendlich viel
weiter, reicht über die rostroten Rauchfahnen, die tief unten im Tal den
Hüttenindustriegiganten Reschitza erahnen lassen, im Westen bis weit ins fruchtbare
Banater Flachland hinein und fliegt im Osten ungehindert bis zu den Hochgipfeln der
Südkarpaten, im Süden aber über die schier endlosen Dolinenhochflächen, Schluchten und
Klammen des Banater Karsts, weit, weit hinüber bis zu den fernen Höhen des Balkan
jenseits des Donaudurchbruchs, und der große Strom selbst schickt manchmal, wenn’s der
Wettergott besonders gnädig meint, ein feenhaft-unwirkliches Geglitzer aus blauer Ferne
hinüber. Und wenn das Wellengeglitzer des Vierwaldstätter-Sees zum Schönsten in der
lieblichen Rigi-Fernsicht zählt, so blitzen auch hier von allen Seiten die grünen
Wasserflächen empor, lächeln und laden zum Baden ein, um mit Schiller zu sprechen. Und
schließlich – und das ist wohl vom touristischen Standpunkt das stärkste Argument: wenn
der Rigi der erste Berg der Alpen war, auf den eine allein dem Zweck des Fremdenverkehrs
dienende Bahn gebaut wurde, so war der Semenik der erste Berg Rumäniens, auf den,
wenn auch Jahrzehnte später, eine gleichfalls rein touristischen Zwecken dienende
Drahtseilbahn hinaufgezogen wurde.
Eines aber – und damit wollen wir den Vergleich, der wie übrigens die meisten Vergleiche,
ein wenig hinkt, schließen – hat der Semenik der Rigi auf alle Fälle voraus: seine
Ausdehnung. Auf dem weiten Areal dieses Banater Bergstocks hätte nicht nur die ganze Rigi
von der Schwyz bis Küssnacht samt dem Viewaldstätter-See Platz, sondern Sie dürfen sogar
noch den Pilatus und den Hohen Axen bis zum Uri-Rotstock hinzunehmen. Und auf dieser
Riesenausdehnung erwarten uns denn auch die vielgestaltigsten, abwechslungsreichsten
Geländeformen, die man sich nur wünschen kann: das Gipfelplateau des aus kristallinem
Schiefer aufgebauten Hoch-Semenik mit ausgedehnten Almwiesen in einer Mittelhöhe von
1300 bis 1400 Meter, überragt von den drei Felsnasen der Gozna (1447 m), des Semenik
(1446 m) und der Nedeia (1437 m). Die Fernsicht ist von fast allen Punkten gleich endlos,
von jedem Punkt aber eine andere, die sanftgewellten Hochwiesen, stellenweise
unterbrochen von Mooren, laden zum Wandern „ins Blaue“ ein, zum kühlen Trunk laden die
beiden legendenumwobenen, klitzekleinen Quellseen des Großen und des Kleinen
Adlerbades ein (wer’s eisig liebt, kann auch baden). Eine Stufe tiefer liegt dann die nördlich
vorgelagerte „zweite Etage“, 700 bis 1000 Meter, und auch darüber, und bietet ein ganz
anderes Bild: Ackerfelder – die höchstgelegenen, die es im Banat gibt – und saftige
Heuwiesen wechseln mit dunklen Wäldern ab. Hier liegt auch, auf 850 Meter Höhe der erste,
in chronologischer Reihe eigentlich letzte und jüngste der vier Stauseen des Massivs. „Zu
den drei Wässern“ heißt er, und unterhalb des Staudamms heißt das nun in eins vereinte
Wasser Temesch und soll später zum größten der Banater Binnenflüsse werden.
Hier liegen auch – Fundgrube für den ethnographisch Interessierten – zwei der
deutschböhmischen Ortschaften, die Feriendörfer Gărîna/Wolfsberg und Brebul
Nou/Weidental. Das dritte, Alt-Sadowa, liegt unten am Fuße des Gebirges im Temeschtal, in
guter Nachbarschaft mit dem rumänischen Slatina, das vierte, Lindenfeld, liegt am Nordrand
der „mittleren Semenik-Etage“, hat aber kaum noch ein paar bewohnte Häuser, da die Leute
ins nahe Karansebesch abgewandert sind. Es lohnt sich, mal da vorbeizusehen, in Sadowa
etwa in der Nacht zum 1. Mai, wenn hoch oben über dem Dorf das Mailicht brennt, im Dorf
aber, direkt am Rande der E 94, der manchmal bis zu vierzig Meter hohe Maibaum
aufgestellt wird, und es huscht und wispelt in den Straßen des Dorfes beim heimlichen
„Wegelstreuen“ vom Burschen zum Mädchen; oder zum „Flachsbau“, dem Höhepunkt des
Faschingsmaskentreibens; oder oben in Gărîna zur „Kirba“, wenn man „Fleckeln sammelt“
und der Hahn „daschloagen“ wird.
Und schließlich die „untere Etage“ der endlos langen Täler, durchrauscht von zahllosen
Bächen. Denn der Semenik ist ja auch der „Wasserturm“ des Banats, drei bedeutende
Flüsse – die Temesch, die Bersau und die Nera – haben hier ihren Ursprung, und über die
Mehadica und die Belareka speist er auch noch die Cerna. Und obwohl die Welt der großen
Schluchten und Klammen erst etliche Kilometer weiter südwestwärts, im Banater Karst,
beginnt, bildet dennoch die Temesch schon knapp unterhalb der „Drei Wässer“ den ersten
tiefen Einschnitt, weiter unten dann, unterhalb der „Porta Orientalis“, windet sich die
Europastraße vereint mit dem Fluss durch die engen „Schlüssel“ von Armeniş und Teregova
(nach dem rumänischen „cheie“ für Schlucht, Klamm finden wir diese Durchbruchstäler auch
in älteren deutschen Kartenwerken als „Schlüssel“ bezeichnet).
Das Interessanteste ist aber wohl das Bersautal mit den drei großen Stauseen, zusammen
fast 30 Millionen Kubikmeter Wasser fassend und über zwei Quadratkilometer groß. Hier
kommen nicht nur die Wassersportler und die Angler auf ihre Rechnung, sondern auch der
technisch Interessierte: Das hydrotechnische System Bersau-Temesch-Nera – den auch der
große „Drei Wässer“ Stausee ist ein Teil davon und die Nera ist schon kurz unterhalb ihrer
Quelle gleichfalls angezapft – gehört zu den größten und interessantesten des Landes, denn
die mittlere und kleinste der Bersau-Staustufen wurde anfangs unseres Jahrhunderts als
erste Bogenstaumauer auf dem heutigen Gebiet Rumäniens angelegt. Drei Kraftwerke, rund
100 Kilometer Kanäle, Stollen und Druckrohre, Aquädukte, die in schwindelnder Höhe auf
schlanken Stahlgitterbeinen Täler überspannen, dazu etliche Pumphebewerke – das allein
ist schon des Anschauens wert.
Vor allem aber: Der Semenik ist ein Berg für alle Jahreszeiten: Wintersportgebiet par
Excellenze mit ausgezeichneten Pisten, Skilifts und allem Drum und Dran auf der
Gipfelhochfläche, dauert hier der Winter doch – der „Skiwinter“ zumindest – länger als sonst
wo im Lande, länger selbst als in den Hochregionen der Karpaten. Und wenn Sie Ende April,
mit besonderem Glück vielleicht sogar noch Anfang Mai, auf den Brettern durch die weiße
Herrlichkeit gleiten, wird unten auf der „zweiten Etage“ rings um die erwähnten Feriendörfer
schon der Pflug zurechtgemacht. Dann kommt fast unvermittelt ein strahlender Sommer –
rund 1741 Stunden im Jahr scheint auf der Hochfläche die Sonne, das ist mehr als sonst wo
in den Karpaten –, dem dann ein womöglich noch strahlenderer Herbst folgt. September und
Oktober sind die niederschlagsärmsten Monate des Jahres hier, und wenn Sie im Oktober
eine Herbstwanderung beginnen, die dann als Winterwanderung im ersten Neuschnee
endet, so hat dies nur seinen eigenen Reiz, schließt den Jahreslauf und bestätigt das
Gesagte.
*
Es ginge natürlich zu weit, hier all die Dutzenden von Wanderwegen – sie sind zum größten
Teil markiert – aufzuzählen, und wir wollen Ihnen schließlich auch nicht die
„Entdeckerfreuden“ vorwegnehmen. Im Folgenden soll also nur über den Hauptzufahrtsweg,
auf dem Sie per Achse und restlos auf Asphalt bis auf den Hoch-Semenik, auf hundert Meter
an die Gozna-Spitze, herankönnen, die Rede sein.
Ausgangspunkt ist Reschitza, das Sie von der Europastraße 94 über Temeswar (109 km),
Lugosch (58 km) oder Karansebesch (48 km) erreichen. Falls Sie als Ausländer beim
Grenzpunkt Morawitza ins Land kommen, brauchen Sie nicht erst bis Temeswar zu fahren,
sondern können schon bei Wojtek nach rechts abbiegen (75 km bis Reschitza). Von
Reschitza, das übrigens auch seine Sehenswürdigkeiten hat, unter anderem das Freilicht-
Lokomotivenmuseum, das Ihnen in stattlichen Originalexponaten eine hundertjährige
Tradition im Lokbau vor Augen führt, geht’s nun auf einer romantischen Bergstraße weiter
bis Văliug (25 km vom Stadtzentrum Reschitzas), wo Ihnen nun mehrere Möglichkeiten
offenstehen:
- entlang des Nordufers des oberen Stausees bis zum Luftkurort Crivaia (6 km);
- bis zur Talstation des Sessellifts – die oben erwähnte älteste Drahtseilbahn
Rumäniens –, wo Sie dann bequem bis zum Gipfelplateau geschaukelt werden
(Länge der Trasse 2972 m, Höhenunterschied 658 m);
- in steilen Serpentinen bergauf bis zum Prislop-Sattel (1000 m), dann nach rechts
weiter aufwärts bis zu den Berghotels auf dem Hoch-Semenik (Durchschnittshöhe
1410 m), hart unter der Gozna-Spitze (18 km von Văliug, 43 km von Reschitza);
- auf der gleichen Straße bis zum Prislop-Sattel, von hier nach links zum Feriendorf
Gărîna, dem Hotel am Stausee „Drei Wässer“ und nach Brebul Nou (38, 42 bzw. 45
km von Reschitza).
Wenn Sie aber zum Stausee von Secu (der gleichnamige Bergbauort liegt in einem
Seitental, ist vom See aus nicht zu sehen und wird von den altansässigen
Reschitzaern „Sekul“, mit Betonung auf der zweiten Silbe, genannt) wollen, dann
zweigen Sie am Ostrand von Reschitza von der Straße nach Văliug nach links
(Wegweiser) ab und erreichen nach nur sieben Kilometern die Hotels und
stimmungsvollen Gaststätten am oberen Ende des Sees.
Sämtliche Trassen werden übrigens in ziemlich dichter Folge auch von Linienbussen befahren.
Unterkunft gibt es in Hotels und Schutzhütten, Bungalows und Campinghäuschen jeder Komfortklasse, auch Zeltplätze erwarten Sie:
- auf der Semenik-Hochfläche, 1410 Meter hoch, etwa 600 Betten;
- in Crivaia im Bersau-Tal (650 m), 300 Plätze;
- am Stausee „Drei Wässer“ (850 m), 205 Plätze;
- am Stausee Secu (280 m), 120 Plätze.
Und außerdem natürlich das Feriendorf Gărîna mit einer kleinen, gemütlichen
Touristenherberge und vielen gastlichen Bauernstuben auf beinahe tausend Meter Höhe.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 82, S. 11 – 19)
Seite | Bildunterschrift |
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11 | ohne Titel |
13 | Das Bergland zur Winterzeit – eine Einladung, den Jahreswechsel auf dem Semenik oder in den Deutschböhmendörfern zu erleben. |
14 | Bauernmädchen in deutschböhmischer Festtracht. |
15 | Dorfgasse in Gărîna/Wolfsberg. |
17 | ohne Titel |
18 | Kurort und Dorf in einem: Wo hat man denn noch einen Schober frisches Heu vor dem Fenster wie im Motel „Gărîna“? |
19 | Auf Asphalt geht es seit Jahren schon durch das Banater Bergland. Bald ist auch die Trasse hinunter ins Temesch-Tal zur E 94 fertig. |