home - Komm mit - 1982 - Der Königstein – keine Bergpromenade
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Der Königstein – keine Bergpromenade

Ein erlebnisreicher Tag in einem der wildromantischen Gebirgszüge

von Heinz Apfelbach

Es war im Sommer. Ich sollte mit einem Bekannten in Plaiul Foii zusammentreffen. Statt seiner traf ich an diesem verregneten Tag in der sonst fast menschenleeren Hütte einen Jungen, der für einige Tage mein Weggefährte durch den Königstein werden sollte. Burzenaufwärts zogen wir los.
Beim Holzfällerhaus, dort, wo sich die Täler der Vlăduşca, Spirlă und Burzen vereinigen, hielten wir Rat und entschlossen uns für die Vlăduşca; mehr aus dem Stegreif als infolge logischer Erwägungen. Wir waren noch keine 30 Minuten gewandert, und wieder begann es zu tröpfeln. Da erinnerte ich mich, dass ich in der Nähe ein verlassenes Holzhäuschen befinden muss. Deshalb waren wir nicht wenig erstaunt, als uns plötzlich ein feiner Rauchgeruch entgegenschlug.
Vor dem Häuschen glomm ein Feuer, und auf der Türschwelle kauerten zwei Gestalten, Mann und Frau, beide etwas mitgenommen. Sie waren am Vortag von der Curmătura-Hütte aufgebrochen und wollten an einem Tag über den Nordkamm und die Hirtenspitze nach Plaiul Foii gelangen. An sich nichts Schwieriges, das Musterbeispiel einer klassischen Tour. Dass der Kamm des Königsteins mit seinen unzähligen Scharten bei schlechtem Wetter eine recht schwierige Angelegenheit werden kann, hatte ihnen niemand gesagt. Vom Kamm aus erblickten die beiden dann zwischen den Nebelfetzen ab und zu die Häuser von Plaiul Foii in greifbarer Nähe. Also versuchten sie den direkten Abstieg.
Anfangs ging auch alles gut, erzählt der Mann. Später aber wurden die Rinnen tiefer, die Abstürze steiler und abschreckend. Sie mussten zurück, einen anderen Weg suchen. Schmerzlich kam ihnen zu Bewusstsein, dass sie bei rechtzeitiger Umkehr oder bei Befolgung der Wegmarkierung nun schon längst in der Curmătura oder in Plaiul Foii angelangt wären. In diesem Zustand brachten sie jedoch nicht mehr die Energie auf, die 500 Höhenmeter zurückzusteigen.
Immerhin meinte es der Berg noch gut mit ihnen. Als es dunkelte, erreichten sie, mehr durch Zufall, das Haupttal der Ciorânguţa, eine V-förmige, steile Rinne, auf deren schmalem Grund ein Wasser zwischen gestürzten Fichten zu Tale rauscht. Ihm folgten sie und gelangten schließlich zum Holzhäuschen, in dem sie erschöpft und zitternd die Nacht leidlich überstanden hatten.
Nach gemeinsamem, kräftigem Essen brachen wir wieder auf. Der Steg führte das Tal der Vlăduşca aufwärts bis zur Stelle, wo sich dieses in zwei Arme teilt. Rechts senkte sich der Grat, der die Vlăduşca von der Spirlă trennt, zu einem schmalen Sattel, den wir auf einem kaum kenntlichen Wildpfad erreichten. Nachdem wir unter einer mächtigen Fichte ein mehr oder weniger trockenes Plätzchen gefunden hatten, widmeten wir uns dem Studium der Situation. Während wir die gegenüberliegende Felswand nach einer möglichen Umgehung erforschten, durchschnitt plötzlich ein scharfer Pfiff die Stille – Gämsen! Zwar konnten wir sie vorerst nicht ausfindig machen; ihr Warnungspfiff bewies aber, dass sie uns zumindest gewittert hatten. Und dann kamen sie hinter einigen verkrüppelten Fichten hervor. Immer wieder neugierig zu uns herüberspähend, zogen sie, nicht eben eilig, durch das Geröll unterhalb der Wand nach rechts, erstiegen über einige Felsstufen ein Grasband und – verschwanden einfach in der Wand. Sofort war uns klar, dass es dort irgendeinen Aufstieg geben müsse.
Wir peilten die Stelle möglichst genau an, verließen unseren Logenplatz unter der Fichte und arbeiteten uns das Grasband empor, die Einstiegsstelle scharf im Auge behaltend. Dies erwies sich jedoch bald als unnötig, da sich nacheinander etwa zwanzig solcher Möglichkeiten boten. Die alte Weisheit, wonach eine Felswand, von gegenüber betrachtet, viel steiler und schwieriger erscheint, hatte sich wieder einmal bewahrheitet.
Wir entschlossen uns schnell für das erste schräg nach rechts hochziehende Grasband, auf dem einige kleine, zerzauste Fichten mühselig ihr Dasein fristeten. Aus einer engen Scharte blickten wir in einen Kessel voller Alpenrosen und Latschen, den zackige Grate umgrenzten. Als wir zwischen Latschen und Alpenrosen landeten, bedauerten wir es geradezu, dass die Kletterei zu Ende war.
Nicht wenig erstaunt mussten wir dabei auch feststellen, dass wir keinesfalls den „Brâu de Mijloc“ erreicht haben, auf dem es bekanntlich einen breiten, ausgetretenen Pfad gibt. Bloß ein winziges Gämsensteiglein war zu erkennen. Obwohl wenig Aussicht bestand, nach rechts, gegen die Spirlă zu, einen Aufstieg zu finden, folgten wir ihm und erlebten nach kurzer Strecke eine herrliche Aussicht auf die wildromantische Bergwelt: In der Ferne Iezer-Păpuşa, Tămaş und Urlea. Uns gegenüber, jenseits der Spirlă, die wilden Grate und Zacken der Colţii Răi und höher die stolze Pyramide der Hirtenspitze. Und die Spirlă selbst: Zwischen engen, finsteren Wänden eingeklemmt, zeigte sie gerade hier einen ihrer unnahbaren Abstürze, halbrund wie ein mächtiger Brunnen, unter dem noch schwarzfleckiger Schnee lag. Über dieses Hindernis hochzusteigen, wäre auch mit dem ganzen Arsenal bergsteigerischer Hilfsmittel eine problematische, zeitraubende Angelegenheit. Wären wir heute da hineingeraten – na, man hätte uns gratulieren können!
Wie mochten hier im Frühjahr die Lawinen donnern, die weiter oben in dem riesigen Trichter der Căldarea Ocolită losgingen, um dann aus dem engen Trichterhals der Schlucht mit ungeheurer Geschwindigkeit und Wucht herauszuschießen.
Auf diesem Vorsprung sorgten wir nun auch für unser leibliches Wohl. Dann brachen wir auf, das Gämssteiglein nordwärts verfolgend, und standen dann auf dem wirklichen Brâu de Mijloc, von dem aus wir gleich den ersten Grat anpackten, der steil zum Vârful Căldării Ocolite, dem nördlichen Vorgipfel der Hirtenspitze, ansteigt. Durch sichere Kamine, über grasige Bänder kamen wir zügig Meter um Meter höher. Was uns immer wieder zum Stehenbleiben veranlasste, war der sich bietende Ausblick auf das zerklüftete Labyrinth der Vlăduşca bis zu den Orgelpfeifen der Colţii Gemeni und den weißen, wunderlichen Türmen der einsamen Vlăduşca-Burg. Schließlich über uns der schmächtige Vârful Căldării Ocolite, unser nächstes Ziel.
Zum Greifen nahe bot sich auch die glatte Pyramide der Hirtenspitze, auf der jetzt neben dem trigonometrischen Zeichen eine Gestalt auftauchte. Ein Mensch? Nein – eine Gämse! Noch eine – ein ganzes Rudel! Dann – ja, wo soll das hinaus – während der Gämsen immer mehr werden, erscheint auch eine menschliche Gestalt mitten unter ihnen. So ein Reinfall! Es war ein Hirte mit seiner Schafherde!
Von unserem Gipfel zieht ein langgeschwungener Sattel, das riesige Amphitheater der Căldarea Ocolită umrundend, zur Hirtenspitze. Während wir dann über den grasigen Sattel zur Hirtenspitze hochsteigen, kommen uns die Schäferhunde entgegen, schweifwedelnd und friedfertig. Mit dem Hirten, dessen Standlager die Grind-Sennhütte ist, bahnt sich rasch ein Gespräch über Wetter, Qualität der Weide und den leidlichen Meister Petz an. Als wir ihm erzählten, dass wir seine Schafe zuerst für Gämsen gehalten hatten, krümmt er sich vor Lachen.
Dunkle Wolkengebilde, die ein Unwetter ankündigten, ermahnten uns, recht bald zum Aufbrechen. Daher suchten wir, so schnell wie möglich den Vârful Sbirii zu überschreiten. Als wir zu seinem zackigen Doppelgipfel hinaufschnauften, verschwand die Sonne endgültig in der Wetterwolke.
Was war das bloß? Ich hatte plötzlich das Gefühl, als ob meine Stirne ständig von Mücken umschwirrt würde, wischte und wischte und merkte, dass es meinem Gefährten ebenso ging. Oben auf der Spitze wurde die Sache ganz arg, und als wir bei einem spitzen Felsblock vorbeikamen, wurde mir das Phänomen schließlich klar: Die obere Kante des Blockes summte wie ein Bienenstock! Das war die Luftelektrizität, die vorläufig auf diese harmlose Art einen Ausgleich suchte. Als ich versuchsweise ein Taschenmesser hochhob, ging gleich ein ganzes Feuerwerk los. Jetzt wurde es ratsam, den Kamm schleunigst zu verlassen! Im Sturmschritt ging’s hinab zum nahen Silbersattel und von da weiter in absteigender Querung zum oberen Ende des Mărtoiu-Tals.
Unser nächstes Ziel war eine große, schiefe Felstafel nahe der Vereinigungsstelle der beiden Mărtoiu-Kamine, deren geräumiger Überhang genügend Schutz vor dem zu erwartenden Unwetter bot. Als wir eben die breite Geröllhalde der Kamine kreuzten, klatschten die ersten dicken Tropfen in die noch sonnenwarmen Steine der Halde. Im Nu befanden wir uns in der Atmosphäre eines Dampfbades und dann – eben als wir unser geschütztes Plätzchen bezogen – ging das Theater los!
Weiße Hagelkörner vollführten knatternd einen wilden Tanz auf den Steinen, während sich aus den Felsen Tausende von Sturzbächen schäumend zu Tal ergossen. Betäubend krachten die Blitze in die Grate über uns und erschütterten den Berg. Ihr blendendes Licht ließ in den Pausen die Dunkelheit noch schwärzer erscheinen. Weltuntergang in Kleinformat! Dabei wurde es derart kalt, dass wir uns alsbald winterlich vermummten.
Der weitere Abstieg durch die triefende Vegetation war in der Tat kein Vergnügen. Es gab noch manche Überraschung, noch manches Hindernis zu überwinden. Als wir am Abend in der Hütte saßen und unseren Tee schlürften, kam es uns kaum zu glauben, was man alles an einem Tag am Königstein erleben kann.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 82, S. 149 – 154)

Seite Bildunterschrift
 
149 ohne Titel
151 Brâul de Mijloc – die zerklüftete Bergwelt des Königstein.
152 Blick auf den Königstein von Plaiul Foii aus.
153-o Almlandschaft bei Bran. Im Hintergrund der schneebedeckte Königstein.
153-u Die Königsteinnelke.
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