Ein erlebnisreicher Tag in einem der wildromantischen Gebirgszüge
von Heinz Apfelbach
Es war im Sommer. Ich sollte mit einem Bekannten in Plaiul Foii zusammentreffen. Statt
seiner traf ich an diesem verregneten Tag in der sonst fast menschenleeren Hütte einen
Jungen, der für einige Tage mein Weggefährte durch den Königstein werden sollte.
Burzenaufwärts zogen wir los.
Beim Holzfällerhaus, dort, wo sich die Täler der Vlăduşca, Spirlă und Burzen vereinigen,
hielten wir Rat und entschlossen uns für die Vlăduşca; mehr aus dem Stegreif als infolge
logischer Erwägungen. Wir waren noch keine 30 Minuten gewandert, und wieder begann es
zu tröpfeln. Da erinnerte ich mich, dass ich in der Nähe ein verlassenes Holzhäuschen
befinden muss. Deshalb waren wir nicht wenig erstaunt, als uns plötzlich ein feiner
Rauchgeruch entgegenschlug.
Vor dem Häuschen glomm ein Feuer, und auf der Türschwelle kauerten zwei Gestalten,
Mann und Frau, beide etwas mitgenommen. Sie waren am Vortag von der Curmătura-Hütte
aufgebrochen und wollten an einem Tag über den Nordkamm und die Hirtenspitze nach
Plaiul Foii gelangen. An sich nichts Schwieriges, das Musterbeispiel einer klassischen Tour.
Dass der Kamm des Königsteins mit seinen unzähligen Scharten bei schlechtem Wetter eine
recht schwierige Angelegenheit werden kann, hatte ihnen niemand gesagt. Vom Kamm aus
erblickten die beiden dann zwischen den Nebelfetzen ab und zu die Häuser von Plaiul Foii in
greifbarer Nähe. Also versuchten sie den direkten Abstieg.
Anfangs ging auch alles gut, erzählt der Mann. Später aber wurden die Rinnen tiefer, die
Abstürze steiler und abschreckend. Sie mussten zurück, einen anderen Weg suchen.
Schmerzlich kam ihnen zu Bewusstsein, dass sie bei rechtzeitiger Umkehr oder bei
Befolgung der Wegmarkierung nun schon längst in der Curmătura oder in Plaiul Foii
angelangt wären. In diesem Zustand brachten sie jedoch nicht mehr die Energie auf, die 500
Höhenmeter zurückzusteigen.
Immerhin meinte es der Berg noch gut mit ihnen. Als es dunkelte, erreichten sie, mehr durch
Zufall, das Haupttal der Ciorânguţa, eine V-förmige, steile Rinne, auf deren schmalem Grund
ein Wasser zwischen gestürzten Fichten zu Tale rauscht. Ihm folgten sie und gelangten
schließlich zum Holzhäuschen, in dem sie erschöpft und zitternd die Nacht leidlich
überstanden hatten.
Nach gemeinsamem, kräftigem Essen brachen wir wieder auf. Der Steg führte das Tal der
Vlăduşca aufwärts bis zur Stelle, wo sich dieses in zwei Arme teilt. Rechts senkte sich der
Grat, der die Vlăduşca von der Spirlă trennt, zu einem schmalen Sattel, den wir auf einem
kaum kenntlichen Wildpfad erreichten. Nachdem wir unter einer mächtigen Fichte ein mehr
oder weniger trockenes Plätzchen gefunden hatten, widmeten wir uns dem Studium der
Situation. Während wir die gegenüberliegende Felswand nach einer möglichen Umgehung
erforschten, durchschnitt plötzlich ein scharfer Pfiff die Stille – Gämsen! Zwar konnten wir sie
vorerst nicht ausfindig machen; ihr Warnungspfiff bewies aber, dass sie uns zumindest
gewittert hatten. Und dann kamen sie hinter einigen verkrüppelten Fichten hervor. Immer
wieder neugierig zu uns herüberspähend, zogen sie, nicht eben eilig, durch das Geröll
unterhalb der Wand nach rechts, erstiegen über einige Felsstufen ein Grasband und –
verschwanden einfach in der Wand. Sofort war uns klar, dass es dort irgendeinen Aufstieg
geben müsse.
Wir peilten die Stelle möglichst genau an, verließen unseren Logenplatz unter der Fichte und
arbeiteten uns das Grasband empor, die Einstiegsstelle scharf im Auge behaltend. Dies
erwies sich jedoch bald als unnötig, da sich nacheinander etwa zwanzig solcher
Möglichkeiten boten. Die alte Weisheit, wonach eine Felswand, von gegenüber betrachtet,
viel steiler und schwieriger erscheint, hatte sich wieder einmal bewahrheitet.
Wir entschlossen uns schnell für das erste schräg nach rechts hochziehende Grasband, auf
dem einige kleine, zerzauste Fichten mühselig ihr Dasein fristeten. Aus einer engen Scharte
blickten wir in einen Kessel voller Alpenrosen und Latschen, den zackige Grate umgrenzten.
Als wir zwischen Latschen und Alpenrosen landeten, bedauerten wir es geradezu, dass die
Kletterei zu Ende war.
Nicht wenig erstaunt mussten wir dabei auch feststellen, dass wir keinesfalls den „Brâu de
Mijloc“ erreicht haben, auf dem es bekanntlich einen breiten, ausgetretenen Pfad gibt. Bloß
ein winziges Gämsensteiglein war zu erkennen. Obwohl wenig Aussicht bestand, nach
rechts, gegen die Spirlă zu, einen Aufstieg zu finden, folgten wir ihm und erlebten nach
kurzer Strecke eine herrliche Aussicht auf die wildromantische Bergwelt: In der Ferne
Iezer-Păpuşa, Tămaş und Urlea. Uns gegenüber, jenseits der Spirlă, die wilden Grate und Zacken
der Colţii Răi und höher die stolze Pyramide der Hirtenspitze. Und die Spirlă selbst:
Zwischen engen, finsteren Wänden eingeklemmt, zeigte sie gerade hier einen ihrer
unnahbaren Abstürze, halbrund wie ein mächtiger Brunnen, unter dem noch
schwarzfleckiger Schnee lag. Über dieses Hindernis hochzusteigen, wäre auch mit dem
ganzen Arsenal bergsteigerischer Hilfsmittel eine problematische, zeitraubende
Angelegenheit. Wären wir heute da hineingeraten – na, man hätte uns gratulieren können!
Wie mochten hier im Frühjahr die Lawinen donnern, die weiter oben in dem riesigen Trichter
der Căldarea Ocolită losgingen, um dann aus dem engen Trichterhals der Schlucht mit
ungeheurer Geschwindigkeit und Wucht herauszuschießen.
Auf diesem Vorsprung sorgten wir nun auch für unser leibliches Wohl. Dann brachen wir auf,
das Gämssteiglein nordwärts verfolgend, und standen dann auf dem wirklichen Brâu de
Mijloc, von dem aus wir gleich den ersten Grat anpackten, der steil zum Vârful Căldării
Ocolite, dem nördlichen Vorgipfel der Hirtenspitze, ansteigt. Durch sichere Kamine, über
grasige Bänder kamen wir zügig Meter um Meter höher. Was uns immer wieder zum
Stehenbleiben veranlasste, war der sich bietende Ausblick auf das zerklüftete Labyrinth der
Vlăduşca bis zu den Orgelpfeifen der Colţii Gemeni und den weißen, wunderlichen Türmen
der einsamen Vlăduşca-Burg. Schließlich über uns der schmächtige Vârful Căldării Ocolite,
unser nächstes Ziel.
Zum Greifen nahe bot sich auch die glatte Pyramide der Hirtenspitze, auf der jetzt neben
dem trigonometrischen Zeichen eine Gestalt auftauchte. Ein Mensch? Nein – eine Gämse!
Noch eine – ein ganzes Rudel! Dann – ja, wo soll das hinaus – während der Gämsen immer
mehr werden, erscheint auch eine menschliche Gestalt mitten unter ihnen. So ein Reinfall!
Es war ein Hirte mit seiner Schafherde!
Von unserem Gipfel zieht ein langgeschwungener Sattel, das riesige Amphitheater der
Căldarea Ocolită umrundend, zur Hirtenspitze. Während wir dann über den grasigen Sattel
zur Hirtenspitze hochsteigen, kommen uns die Schäferhunde entgegen, schweifwedelnd und
friedfertig. Mit dem Hirten, dessen Standlager die Grind-Sennhütte ist, bahnt sich rasch ein
Gespräch über Wetter, Qualität der Weide und den leidlichen Meister Petz an. Als wir ihm
erzählten, dass wir seine Schafe zuerst für Gämsen gehalten hatten, krümmt er sich vor
Lachen.
Dunkle Wolkengebilde, die ein Unwetter ankündigten, ermahnten uns, recht bald zum
Aufbrechen. Daher suchten wir, so schnell wie möglich den Vârful Sbirii zu überschreiten. Als
wir zu seinem zackigen Doppelgipfel hinaufschnauften, verschwand die Sonne endgültig in
der Wetterwolke.
Was war das bloß? Ich hatte plötzlich das Gefühl, als ob meine Stirne ständig von Mücken
umschwirrt würde, wischte und wischte und merkte, dass es meinem Gefährten ebenso ging.
Oben auf der Spitze wurde die Sache ganz arg, und als wir bei einem spitzen Felsblock
vorbeikamen, wurde mir das Phänomen schließlich klar: Die obere Kante des Blockes
summte wie ein Bienenstock! Das war die Luftelektrizität, die vorläufig auf diese harmlose Art
einen Ausgleich suchte. Als ich versuchsweise ein Taschenmesser hochhob, ging gleich ein
ganzes Feuerwerk los. Jetzt wurde es ratsam, den Kamm schleunigst zu verlassen! Im
Sturmschritt ging’s hinab zum nahen Silbersattel und von da weiter in absteigender Querung
zum oberen Ende des Mărtoiu-Tals.
Unser nächstes Ziel war eine große, schiefe Felstafel nahe der Vereinigungsstelle der
beiden Mărtoiu-Kamine, deren geräumiger Überhang genügend Schutz vor dem zu
erwartenden Unwetter bot. Als wir eben die breite Geröllhalde der Kamine kreuzten,
klatschten die ersten dicken Tropfen in die noch sonnenwarmen Steine der Halde. Im Nu
befanden wir uns in der Atmosphäre eines Dampfbades und dann – eben als wir unser
geschütztes Plätzchen bezogen – ging das Theater los!
Weiße Hagelkörner vollführten knatternd einen wilden Tanz auf den Steinen, während sich
aus den Felsen Tausende von Sturzbächen schäumend zu Tal ergossen. Betäubend
krachten die Blitze in die Grate über uns und erschütterten den Berg. Ihr blendendes Licht
ließ in den Pausen die Dunkelheit noch schwärzer erscheinen. Weltuntergang in Kleinformat!
Dabei wurde es derart kalt, dass wir uns alsbald winterlich vermummten.
Der weitere Abstieg durch die triefende Vegetation war in der Tat kein Vergnügen. Es gab
noch manche Überraschung, noch manches Hindernis zu überwinden. Als wir am Abend in
der Hütte saßen und unseren Tee schlürften, kam es uns kaum zu glauben, was man alles
an einem Tag am Königstein erleben kann.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 82, S. 149 – 154)
Seite | Bildunterschrift |
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149 | ohne Titel |
151 | Brâul de Mijloc – die zerklüftete Bergwelt des Königstein. |
152 | Blick auf den Königstein von Plaiul Foii aus. |
153-o | Almlandschaft bei Bran. Im Hintergrund der schneebedeckte Königstein. |
153-u | Die Königsteinnelke. |