Durch die Buchenwälder der Karpaten
von Erika Schneider
In der Wahl von Ausflugszielen finden die Wälder der Karpaten viel weniger Beachtung als
die darüberliegenden alpinen Matten, Täler und Felsgrate. Für den Begriff vieler Wanderer
beginnt erst über der Baumgrenze das eigentliche Gebirge als erstrebenswertes Ziel. Es ist
tatsächlich so, dass sich das Hochgebirge mit seinen Gletscherkesseln und Seen, seinen
schäumenden Bächen und Wasserfällen, den Geröllhalden, Felsklippen und seiner bunten
Pflanzenwelt als eines der schönsten Bilder der Natur offenbart und der Wanderer die
darunterliegenden Wälder durcheilt, um den Bergriesen näher zu kommen.
Dennoch laden auch die Karpatenwälder mit den hochgewachsenen, hellgrauen Buchen,
den Tannen und den hohen, dunklen Fichten, mit ihren klaren Quellen, ihrer bunten
Frühlingsflora, der interessanten Bachufervegetation, den moosbedeckten Felsen und
Farnkrautfluren, den Waldwiesen und Holzschlägen zum Verweilen ein. Und vieles, was sich
dem Auge des vorbeieilenden Wanderers entzieht, erfreut den Verweilenden in der Stille des
Waldes, wo das Tosen der Bergbäche unter den hohen Baumkronen aufgefangen wird und
sich der Straßenlärm in der Ferne verliert.
Als „Waldland“ wurde das im Süden von den Karpaten begrenzte, von Flüssen durchquerte,
hügelige, waldreiche südsiebenbürgische Hügelland besungen. Transsylvanien, „Land hinter
den Wäldern“ heißt auch heute das von den Waldgürteln der Südostkarpaten umschlungene
Gebiet. Als „Buchenland“ (Bukowina) ist jenes landschaftlich so anziehende Ländchen, ein
Kleinod der Nordmoldau, bekannt, wo viele Touristen ihre Ziele bei den mittelalterlichen
Klöstern suchen, die meist in Tälern zwischen Buchenwäldern eingebettet lagen, jedoch
durch Waldrodungen im Laufe der Jahrhunderte vielfache Veränderungen erlitten. Hier, im
Karpatengebiet, wie auch andernorts ist die Benennung von Ortschaften und Landstrichen
nach Waldbäumen bzw. Waldbeständen, so auch nach Buchen verbreitet. Viele
Ortsbezeichnungen im Umkreis der Berge, wie „Făget“ (rumänisch für Buchenwald), deren
es „nur“ 15 gibt, „Făgeţel“ (Buchenwäldchen) u. a. sprechen vom Vorhandensein der
Buchenwälder in ihrer Nähe, viele aber lassen auf das einstige Vorkommen von
Buchenwäldern schließen, auch wenn das Wissen um sie im Volke schon verschollen
scheint.
Buchen- und Fichtengürtel umschlingen die Karpaten, dort aber, wo sich die Berglehnen am
Fuße in den Vorbergen und Senken des Siebenbürgischen Beckens und den Vorkarpaten
am Außenrande der Karpaten verlieren, geben die Eichenwälder des Hügellandes und
Buchenwälder einander die Hand, gehen ineinander über. Geschlossene Buchenwälder
breiten sich vom Fuße der Karpaten aus einer Höhe von ungefähr 600 m bis zu 1320 m
Höhe in den Ostkarpaten und dem rumänischen Westgebirge aus, klettern in den
Südkarpaten, so im Fogarascher Gebirge, bedingt durch das Relief, stellenweise bis in eine
Höhe von 1500 m, während sie in den Banater Bergen eine Höhe von 1420 m erreichen.
Die Entstehung einer geschlossenen Buchenstufe, die auch heute noch an Ursprünglichkeit
kaum eingebüßt hat, ist relativ jung und geht auf die letzte große Waldphase der
Nacheiszeit, auf 2500 – 800 Jahre v. u. Z. zurück.
Massiv tritt die Buche in einer Höhe von über 600 m auf, zuerst besonders an Nordhängen,
während an Südhängen die Traubeneiche beispielsweise im Zibinsgebirge, aber auch
andernorts bis auf über 800 m aufsteigt. Dann ist der Buchenwald vorherrschend.
Zahlreiche Umkehrungsphänomene innerhalb des Buchengürtels in den Ost-, West- und
auch Südkarpaten dürften dem naturwissenschaftlich interessierten Wanderer seine
Aufmerksamkeit abverlangen. So steigt z.B. im Călăţele-Tal im Westgebirge (bei Huedin,
Kreis Cluj) die Fichte bis auf 800 m herunter, während sich auf den sonnigen Hängen und
den Bergrücken, wohl noch aus dem Boreal, Eichenwaldbestände bis auf eine Höhe von 960
m ausbreiten. Um den Luftkurort Stâna de Vale (Bihorgebirge) sind Fichtenbestände bis auf
eine Höhe von 850 m im Iadu-Tal anzutreffen, während sich zwischen 1150 – 1300 m selten
schöne Buchenwälder dazwischen schieben. Ähnlich sieht es im Căliman-Gebirge
(Ostkarpaten) u. zw. im Lomaş-Tal aus, wo die Fichtenwälder bis auf 700 m herabsteigen,
während die Buchen über 1250 m hinaufreichen.
Im Inneren des Siebenbürgischen Beckens, im Kokelhochland vor allem, bedingen die
reichlichen Niederschläge und die niedrigen Jahresmitteltemperaturen, beeinflusst durch die
Nähe der Karpaten, das Bestehen von Buchenwäldern bis in eine Höhe von ca. 500 m und
sogar darunter. So ist es weiter nicht verwunderlich, dass in der Umgebung von Schäßburg
die Buchenwälder, so am Jungkernberg, in den Schluchten und Gräben an der Breite, im
„Paradies“ reichlich vertreten sind und besonders im Frühling durch ihre montane Flora für
manchen Touristen anziehend wirken. Ein selten schöner Anblick bietet sich auch dem
vorbeieilenden Autofahrer, wenn er von der Dunnesdorfer Hula hinunterfährt, um nach
Schäßburg zu gelangen und ihm aus dem an die Straße grenzenden Buchenwald die
Drüsige Zahnwurz in Massen blühend entgegenleuchtet. Ähnliche Bilder bieten sich auch an
anderen Stellen im Kokeltal, in der Mediascher Gegend, bei Micăsasa, Langental (Valea
Lungă), Donnersmarkt (Mănărade), in den Wäldern um das Harbachtal (Valea Hârtibaciului)
u. a. In Nordlagen, über den Lehnen links des Weißbachs, so bei Marktschelken (Şeica
Mare) und Arbergen (Agârbiciu) tritt die Knollige Zahnwurz häufig auf, ebenso stellenweise
im Branisch-Wald bei Hahnbach (Hamba, Kreis Sibiu) und im Hammersdorfer Wald (Stadtteil
Guşteriţa-Sibiu). Wer denkt wohl, dass mitten in der Siebenbürgischen Heide bei Silvaşul de
Câmpie im Râmeţ-Wald und bei Sărmăşel (Luduş) kleine Bestände von Buchen zu finden
sind und dass im Hügelland, als Seltenheit, Buchenbestände bis auf 150 – 200 m Höhe
vorkommen können? Die am tiefsten gelegenen Buchenwälder gibt es jedoch im
Donaudurchbruch bei Moldova Nouă und Orşova, wo der Wanderer auf nur 60 m
Meereshöhe Buchenwälder mit einer südlichen, submediterran anmutenden Flora antreffen
kann.
Nun kann man wohl mit Recht sagen, dass die Buche in Europa weit verbreitet ist, es überall
in Europa Buchenwälder gibt, doch weisen diese alle, bedingt durch ihre geographische
Lage, Eigenheiten auf, so dass auch die Buchenwälder im Karpatenbecken, am Ostrande
ihrer Verbreitung, als gut umgrenzte, kennzeichnende Pflanzengesellschaften erscheinen.
So kann z.B. innerhalb der Karpatenkette zwischen einem Ostkarpatenbuchenwald, einer
Variante der Südkarpaten, einem Banater Buchenwald, einem des Bihorgebirges
unterschieden werden, die alle zusammen dem Verband der sogenannten dakischen
Buchenwälder angehören, der sich durch eine große Gruppe kennzeichnender
Pflanzenarten von den Buchenwäldern außerhalb des Karpatenraumes trennen lässt, jedoch
durch die kennzeichnenden Arten aller europäischen Buchenwälder mit ihnen verbunden ist.
Einige kennzeichnende Arten der Karpatenbuchenwälder sind über das gesamte
Karpatengebiet verbreitet, haben zum Teil eine allgemein karpatische, karpatisch-
balkanische bzw. karpatisch-illyrische Verbreitung, andere wiederum sind auf bestimmte
Gebiete beschränkt, woraus sich eben ihre Gliederung innerhalb der Karpatenkette ergibt.
Als charakteristische, in der montanen Stufe der Karpaten verbreitete Buchenwaldarten wäre
das Rote Lungenkraut, Herzblättriger Beinwell, Karpaten-Hahnenfuß, das Siebenbürgische
Habichtskraut, Drüsige und Knollige Zahnwurz, Nelkenwurzblättrige Waldsteinie, Wald-
Lichtröschen zu nennen. Die Weißblättrige Schlüsselblume, wie auch die Dreiblättrige
Waldsteinie, beschränkt sich auf den Ostkarpatenbuchenwald, während das
Siebenbürgische Leberblümchen im Ostkarpatenbuchenwald und den Burzenländer Bergen
zu Hause ist.
In den Buchenwäldern der Südkarpaten ist das zarte Kitaibelsche Labkraut stellenweise, so
im Rotenturmpass und am Südrand der Karpaten, rechts des Altdurchbruchs, häufig
anzutreffen. Zu den Seltenheiten des Südkarpatenbuchenwaldes gehört auch das nur auf die
Buchenwälder um den Altdurchbruch beschränkte Baillonsche Labkraut, dessen nächster
Verwandter im Kaukasus zu Hause ist.
Außerdem geben sich ein Stelldichein weiter verbreitete europäische Buchenwaldarten wie
Buschwindröschen, Waldmeister, Muschelblümchen, Heilkraut, der schmarotzende
Fichtenspargel, Mandelblättrige Wolfsmilch, Klebrige Salbei, die Stauden des Gelben
Eisenhuts und des Christophskrauts, Sauerklee, Farnkräuter u. a. m. Stellenweise gelangen
Heidelbeersträucher zur Vorherrschaft. An offeneren Standorten finden sich hie und da die
Türkenbundlilie und im Vorfrühlingswald erfreuen die rosa, duftenden, dicht an den Stängel
gesetzten Blüten des Seidelbasts, dessen rote, giftige Beeren später aus den Waldhängen
leuchten. Auch begrüßt uns hier im Spätsommer und Herbst der Schwalbenwurzblättrige
Enzian mit seinen kammartig angeordneten Blüten.
Durch Waldrodungen im Laufe der Jahrhunderte sind in der Buchenstufe bunte Bergwiesen
entstanden, in denen vor allem Straußgras, Rot-Schwingel und Kammgras von
Wiesenglockenblume, Gemeiner Witwenblume, Gefleckten Johanniskraut, Frauenmantel,
Silberdistel, Trollblume, Österreichischer Flockenblume u. v. a. begleitet werden.
Von den vielen Möglichkeiten im Fogarascher Gebirge durch schöne Waldgebiete auf die
Höhen zu gelangen und den Karpatenbuchenwald kennenzulernen, schlagen wir einen
Ausflug über Sebeşu de Jos (mit Eisenbahn oder Bus von Sibiu zu erreichen) durch das
Ionel-Tal (Valea lui Ionel) vor, wo der Weg durch einen Buchenwald führt, der die vielen
gestuften, kleinen Wasserfälle im schäumenden Bach von beiden Seiten umschließt. Die
Felsen im Buchenwald, besonders an seinem unteren Rand, bergen hier als Seltenheit die
im Rotenturmpass häufige Hängende Nabelmiere, sowie das Kitaibelsche Labkraut, eine
karpatisch-balkanische Eichen-Buchenwaldart. Der Rispige Steinbrech ist hier
ausnahmsweise auf von Buchen beschatteten Felsen in einer Höhe von 750 m anzutreffen,
während er sonst in der alpinen Stufe zu Hause ist. Schöne Bergwiesen wechseln sich
weiter oben mit Wäldern ab und führen zu den Kalkfelsen der Rosenspitze, die ihrerseits
wert ist, als Ausflugsziel gewählt zu werden. Hier stößt man auf den mit rotem Band
markierten Kammweg des Fogarascher Gebirges. Über den Petriceaua-Rücken kann man
auf dem Kammweg zur Surul-Schutzhütte ostwärts wandern.
Eine andere Möglichkeit wäre ein Frühlingsbesuch in der Poiana Neamţului
(Eisenbahnstation Avrig), wo sich im noch unbelaubten Buchenwald im April ein bunter
Teppich von Frühlingskrokus und Schneeglöckchen ausbreitet. Troddelblume,
Schlüsselblume, Buschwindröschen, Rotes Lungenkraut folgen ihnen bald nach. Etwas
später blühen die Zahnwurzarten, Waldhaar-Segge (Carex brizoides), und die herzförmigen
Blätter des Beinwell, ein Wahrzeichen des Karpatenbuchenwaldes, gelangen stellenweise
zur Vorherrschaft. Mit dem Namen des Letzteren ist der typische Karpatenbuchenwald auch
als Beinwell-Buchenwald in die Fachliteratur eingegangen.
Lohnend ist für den naturwissenschaftlich interessierten Wanderer auch ein Aufstieg über
das Porumbacher und Şerbota-Tal zum Negoi, wo der Pfad kurz nach dem Verlassen der
Forststraße durch einen Buchenwald mit alten Eiben-Restbeständen führt, eine Seltenheit in
den Wäldern der Karpaten. Schließlich gehört ein Auf- oder Abstieg durch den Buchen- und
Tannen-Buchenwald am Tărâţa-Grat (Podragu) zu den schönsten Wandererlebnissen durch
die Karpatenbuchenwälder.
Wer die Nordmoldau bereist, kann dem Slătioara-Wald (Codrul secular de la Slătioara),
einem der ältesten Reservate des Landes, einen sicher sich lohnenden Besuch abstatten.
Das am Todirescu-Höhenzug (Culmea Todirescu), einem südlichen Ausläufer des Rarău-
Massivs, der das Bistriţa-Tal vom Suha-Tal trennt, gelegene Waldschutzgebiet birgt in einer
Höhe von 800 – 1300 m monumentale Bäume von vielhundertjährigem Alter, je nach
Höhenstufe ein Buchen-, Tannen- und Fichtenurwald, einen in seiner Ursprünglichkeit
erhalten gebliebenen Karpatenwald, Zeuge der Waldvegetation, die in vergangenen
Jahrhunderten den Großteil der Moldauer Gebirge bedeckte.
Seiner leichten Anfahrtsmöglichkeiten wegen ziehen viele Touristen das Bucegi-Gebirge vor.
So ist der auf der Piatra Arsă, an den zum Prahova-Tal abfallenden Steilhängen des Bucegi-
Massivs zwischen Sinaia und Poiana Ţapului gelegene Wald, von Sinaia aus, ein viel
besuchtes Waldschutzgebiet. Zwischen 600 – 900 m Höhe breitet sich ein schöner
Buchenwald aus, während zwischen 900 – 1200 m die Tannen-Buchenwälder des
wissenschaftlichen Reservats liegen. Tannen von 300 – 400 Jahren mit einem Durchmesser
von 1 – 1,3 m und einer Höhe von über 50 m stehen neben 45 m hohen Buchen, deren
Durchmesser auch bis zu 1 m und darüber hinaus reicht.
Als wissenschaftliche Kuriosität im europäischen Vegetationsgefüge kann der
Buchenbestand im Reservat Valea Fagilor – Pădurea Luncaviţa am Osthang des Măcin-
Gebirges in der nördlichen Dobrudscha angesehen werden, der unter den allgemeinen
Steppenklimabedingungen der Dobrudscha in einem engen, von trockenen Luftströmungen
und starker Sonneneinstrahlung geschützten Tal erhalten geblieben ist. Über eine Fläche
von ungefähr 2 ha erstreckt sich ein Buchenwald, der als Insel montaner Vegetation
außerhalb des geschlossenen Verbreitungsgebietes der Buche in den Karpaten, ein Relikt
aus dem Tertiär darstellt. Europäische und taurische Buche kommen hier gemeinsam vor.
Der Waldbestand ist aus Exemplaren verschiedenen Alters, von jungen bis zu
jahrhundertealten Bäumen aufgebaut, wobei einige einen Durchmesser von 70 – 80 cm und
die beträchtliche Höhe von 38 m erreichen und dadurch den besten Buchenbeständen in den
Karpaten nahestehen.
Allgemeines und Eigenartiges, ein Kreuz-und-Quer durch die Buchenwälder gibt hier nur den
Rahmen für das, was die Wälder selbst in ihrer Vielfalt an Pflanzen und deren
Gemeinschaften bergen, wobei die Freude am Wiederfinden und am „Für-sich-selbst-neu-
entdecken“ offen bleibt.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 82, S. 115 – 122)
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