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„Mädchenmarkt“ auf dem Găina-Berg

Eine Sommerreise ins Westgebirge zum größten Volksfest der Motzen

von Gerhard Bonfert

Eine Landschaft wie im Bilderbuch, das Bihor-Gebirge. Wildromantische Almen mit reizvollen Streusiedlungen. Eine Welt der Abgeschiedenheit, fernab von großen Verkehrswegen und daher auch wenig befahren und begangen. Einmal im Jahr, um den dritten Julisonntag, scheint jedoch das ganze Motzenland in Bewegung zu sein. Familienweise wandern die Bergbauern und Holzfäller über Berg und Tal zum Găina-Berg, zum größten Volksfest der Motzen, dem „Mädchenmarkt“.
In letzter Zeit wird das Fest auch von vielen Touristen besucht, die wohl meist benutzten Anfahrtswege sind jene aus südlicher und östlicher Richtung. Wohl auch deshalb, weil sie dem Touristen ein Mehr an Sehenswürdigkeiten und Reiseerlebnissen bieten.

Geschichtsträchtiger Boden

Will man von Süden zum Găina-Berg hinauf, geht die Reise über Alba Iulia und Zlatna durchs Ampoital nach Abrud, einem der ältesten Gold-Bergbauzentren des Landes, das zur Zeit der Daker als Abrudava bekannt war und später von den Römern in Alburnus Minor umbenannt wurde. In die Geschichte geht die Ortschaft im Jahre 1784 ein, als sich die Motzen – unter Horea, Cloşca und Crişan – zum Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung erhoben hatten. Wenn man schon in Abrud ist, sollte man nicht gleich nach Câmpeni weiterfahren, sondern einen kleinen Abstecher nach Roşia Montana machen, der alten Siedlung, die schon Herodot erwähnte, wobei er sich auf die reichhaltigen Gold- und Silbervorkommen bezog, zu jener Zeit die einzig in Europa bekannten. Sehenswert der 1400 Meter hohe Berg – Dealul cetăţii –, der dem Besucher Einblick in den mitleidlosen Kampf des Menschen mit dem Fels bietet sowie die Detunata, ein Denkmal aus Basalt (Detunata goală, 1169 Meter und Detunata flocoasă, 1254 Meter). Zurückgekehrt auf die Landstraße 74 A sind es nur noch zehn Kilometer bis Câmpeni. Kommt man von Osten, geht es über Turda durch das zerklüftete Arieştal. In der Gemeinde Busu, einer alten Niederlassung, in der Töpfer, Bauern und Hirten beheimatet sind, lohnt sich eine kurze Rast. Nach Ocoliş mündet die Straße in die Runcului- und Pociovaliştei-Klamm, wobei die erste zwei Kilometer lang ist; Baia de Arieş ist der erste bedeutendste Bergbauort – er wurde in einer von Karl Robert unterzeichneten Urkunde (1325) als Ofenbaia erwähnt. Über Lupşa und Bistra gelangt man schließlich nach Câmpeni.

Hauptstadt des Motzenlandes

Câmpeni, die ungekrönte Hauptstadt des Motzenlandes, blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Hier sammelten sich die Aufständischen 1784 zu ihrem verzweifelten Kampf, um das feudale Joch abzuschütteln, hier hatte auch der Volksheld Avram Iancu 1848 seinen Stützpunkt.
Avram Iancu heißt heute auch das einstige Viişoara, der Geburtsort des Motzenführers. Sein Elternhaus ist als Museum eingerichtet, in dem auch Exponate ausgestellt sind, die über das Leben der Motzen berichten. Von hier ist unser Reiseziel in greifbare Nähe gerückt. Es geht durch die Viişoara-Weiler den Berg hinan, und dann ist man auch schon auf dem riesigen Plateau, wo das Fest abgehalten wird.

Goldenes Huhn und spendable Fee

Der Ursprung des „Mädchenmarktes“ auf dem Găina-Berg ist noch heute umstritten. Auch an Legenden mangelt es nicht. Man bekommt sie abends am Lagerfeuer zu hören. ...Als man in dieser Gegend noch Gold schürfte, sei ein Huhn aus dem Bergwerk entschlüpft und habe sich auf der Bergspitze niedergelassen. Dort baute es sich ein Nest und legte goldene Eier. Die Motzen versuchten wiederholt, seiner habhaft zu werden, was ihnen aber nicht gelang. Das Huhn flog nach Roşia Montana, worauf die Goldader versiegte. Eine andere Legende erzählt von einer schönen, reichen Fee, die ihr Schloss auf der Bergspitze hatte. Sie war die Besitzerin des Goldhuhns und schenkte jedem jungen Paar als Hochzeitsgeschenk ein goldenes Ei. Eines Tages beschlossen drei Motzen, das Huhn zu stehlen. In Frauenkleidung gelang es ihnen, in das Schloss einzudringen, das Huhn und einen Korb voll goldener Eier zu entwenden. Vom Gegacker des Huhns aufgeschreckt, schlug die Wache Alarm, blies in die Alphörner, und eine Reiterschar setzte den Dieben nach. Auf der Flucht entfiel den Dieben der Korb, die Eier rollten hangabwärts ins Arieştal. Vergebens kamen die Mädchen und die Jungen auf den Găina-Berg, die schöne Fee hatte ihr Schloss zerstört und war weggezogen. Soweit die Überlieferungen. Geblieben ist das Fest auf dem Găina-Berg, als Treffpunkt der Motzen.
Im Volksmund heißt es auch heute noch „der Mädchenmarkt“. Früher zogen die Motzenfamilien mit ihren Koberwagen hinauf. Die Mädchen führten ihre Mitgift mit. Bei Spiel und Tanz lernten sich die heiratsfähigen jungen Leute kennen. Wurde man sich einig, gab es nach einem Jahr die Hochzeit. Wenn die jungen Leute es eilig hatten, wurde die Trauung auf dem Berg vollzogen.
Heute, ebenso wie einst, ist der Găina-Berg mit dem „Mädchenmarkt“ das Stelldichein der Motzen. Es wird getanzt und gesungen und feuchtfröhlich gefeiert. Die Alphornbläserinnen aus Viişoara, die das Fest einleiten, sind landesweit bekannt, ebenso die Tänze der Bergleute aus Roşia und der Bäuerinnen aus Căpâlna. Als Gäste treten auch Laienkünstler aus dem Kreisgebiet und den anrainenden Kreisen auf, so dass der „Mädchenmarkt“ sich in eine große Laienkunstschau verwandelt. Das Plateau wird zur Bühne, die Bergwelt zur Theaterkulisse.
Auf bunten Decken werden unzählige Souvenirs angeboten, und es ist noch keinem Touristen gelungen, mit leeren Händen heimzukehren. Alphörner, Hirtenflöten, Spazierstöcke, Tonkrüge und –teller, Taschen und Täschchen usw. gehören zu den Mitbringseln. Ebenso aber auch die bleibende Erinnerung an das größte und schönste Fest der Motzen.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 81, S. 41 – 44)

Seite Bildunterschrift
 
42 Alphornbläserinnen leiten das Fest ein.
44 Motzengehöft in Viişoara
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