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Hinauf zum Großen Zibinssee

Am besten im Hochsommer oder im Oktober. Ein Blick auf das Barometer ist immer anzuraten.

von Ewalt Zweier

Wem das Zibinsgebirge ans Herz gewachsen ist, der wandert wenigstens einmal im Jahr zum Cindrel. Dort lockt ihn vielleicht weniger der gar nicht spektakuläre Höchstgipfel des Massivs, der 2244 Meter hohe Cindrel, an, der laut einigen Geopgraphen dem ganzen Gebirge den Namen geben müsste, und auch nicht die Teufelsplatte, jenes für sieben Fußballplätze geeignete Hochplateau zwischen den Gipfeln Cindrel und Frumoasa. Was den Bergfreund beim Cindrel anlockt, sind die beiden Zibinsseen, besonders der Iezerul Mare (Großer Zibinssee). Diese Gletscherseen befinden sich inmitten eines rund 600 Hektar großen Naturreservats der Akademie der Sozialistischen Republik Rumänien.
Ein sonntäglicher Ausflug über die Hohe Rinne zum Cindrel und zu den Zibinsseen ist mit Strapazen verbunden, zumal der Cindrel als Regen- und Gewittersammler berüchtigt ist. Die wolkenfreien Tage sind ziemlich rar. Wenn einen aber Wetterglück begleitet, dann wird man durch das Erlebnis einer kaum berührten Bergnatur für alle Strapazen entschädigt. Solche Tage gibt es im Hochsommer und im Oktober, wenn der berühmte siebenbürgische Herbst Höhen und Täler in das gleiche milde Sonnenlicht eintaucht. Viele wählen für eine erste Exkursion dahin ein Datum Ende Juni / Anfang Juli, wenn am Rozdeşti und zuletzt nur noch im Moränenkessel der „Iezere“ die Alpenrosen blühen. Wann immer das auch sei, ein Blick auf das Barometer ist jedermann anzuraten, der diese Gegend zum Ziel hat, obwohl sich auch Unterkunftsmöglichkeiten anbieten, man also nicht unbedingt auf das Zelten angewiesen ist.
Wie gelangt man am besten zum Großen Zibinssee? Die meisten Touristen folgen, von der Hohen Rinne her kommend, dem mit rotem Band markierten Kammweg. Nach 3 – 4 Stunden erreichen sie den Şerbănei-Sattel, von wo ein halbstündiger Fußmarsch in fast gleichbleibender Höhe sie zur Notunterkunft Cânaia führt, die mit 20 – 30 Plätzen eigentlich als ordentliche Schutzhütte anzusprechen ist und vom Klub „Freunde der Berge“, dem Kulturhaus der Gewerkschaften in Sibiu angeschlossen, verwaltet wird. Von der Cânaia- Hütte ist man in einer bis anderthalb Stunden beim Großen Zibinssee.
Mehr Abwechslung bietet die Variante der Anfahrt durch die Zibinsklamm und ab Dăneasa- Brücke, wo sich zwei gut instand gehaltene Forstwege gabeln, noch weitere 20 Kilometer am Râul Mare (Großer Zibin) flussauf, vorbei an den Forsthegerhäusern des Reviers (Canton) Niculeşti und anderen bis zu einem Umladeplatz für Holzstämme. Das wäre PKW- Endstation. Von hier Markierung blaues Dreieck. Wo Fichtenregion und Heidelbeerflora aufhören und auch die letzten Exemplare eines durch massiven Windbruch geschädigten Baumbestands weggeschafft wurden, steht links vom Weg ein neues Blockhaus, das außer Pritschen und meist frischem Tannenreisig nicht mehr zu bieten hat, als eben eine Notunterkunft an der oberen Waldgrenze. Hier teilen sich die Wege: das blaue Dreieck führt links im Bogen über den Cânaia-Sattel zum Cindrel, während der blaue Punkt „bächleinaufwärts“ etwa eine halbe Stunde durch die Latschen, die man stellenweise beiseite schieben oder gebückt passieren muss, ins Naturschutzgebiet führt. Hart bedrängt von Latschen, stehen hier neben wetterzerzausten Einzelfichten auch letzte Zirbelkiefern (Pinus cembra), etwa zwei Dutzend Exemplare. Es sind eiszeitliche Relikte, die imposant wirken. Man fragt sich, ob berufene Botaniker nicht doch lieber entscheiden sollten, dass man die seltenen Bäume aus ihrer Umklammerung befreit, was ein motivierter Eingriff im Reservat wäre.
Im oberen Gletscherkessel angekommen, empfängt einen paradiesische Ruhe. Eine leichte Brise kräuselt die grünliche Oberfläche des 9 Meter tiefen Großen Zibinssees, und ein Sonnenbad entschädigt den glücklichen (vorgebräunten) Touristen für viele Mühe. Kein Wasserbad bitte! Viel zu kalt! Obwohl die im Auftrag der Akademie aufgestellte Verbotstafel zweisprachig, rumänisch und deutsch, das Zelten mit Lagerfeuer im Reservat untersagt, finden sich viele Spuren von Übertretern. Und leider auch Glassplitter im kurzen Gras, so dass ein Bahrfußgehen nicht zu empfehlen ist. Interessant sind auch zwei kleine Seen in unmittelbarer Nähe, während man zum Iezerul Mic (Kleiner Zibinssee) über Cindrel-Gipfel und Teufelsplatte gelangt. Eine Wegstunde, aber: Achtung, oft Nebelgefahr! Also auf Stangenmarkierung achten!
Was Naturfreunden und Forschern zum Objekt der Beobachtung wurde, sind einige Seltenheiten der Fauna und Flora. So befindet sich hier z. B. der südlichste Sommerstandort des sonst in Sibirien beheimateten Mornell-Regenpfeifers (Eudromias morinellus), ein fast taubengroßer Vogel, der, ebenfalls ein Eiszeitrelikt, auf der Teufelsplatte nistet und bereits 1850 vom Hermannstädter Wissenschaftler E. A. Bielz, dem Begründer des hiesigen Naturwissenschaftlichen Museums, hier entdeckt und beschrieben wurde und seither kontinuierlich in jedem Jahr beobachtet wird (im Jahr 1973 zählte ein Forscher 15 Exemplare). Die Rauschbeere, der kurzstielige Enzian, Fingerhut, Eisenhut, Zwergweide, seltenere Steinbrecharten und relikte Moosarten sowie unter den Tieren eine hie und da sichtbare Population scheuer Waldgämsen sind weitere Bewohner dieses schönen Bergabschnitts, den zu besuchen ein Tagesausflug lohnt.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 81, S. 191 – 193)

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193 Wanderwege im Zibinsgebirge.
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