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Erlebnisse in Rumänien

Das Rodna-Gebirge hat viele Gesichter

von Elke Küchler, Dresden

Der Şetref-Pass zwischen Ţibleş- und Rodnagebirge ist ein sanfter, lieblicher Pass, noch ganz im Maramureş-Charakter. Wir steigen den östlichen Hang empor, Silberdistelbüschel leuchten überall im Gras. Die Markierung (rotes Band) finden wir erst am Waldrand. Steil geht es hinauf, Wiesen und Waldabschnitte wechseln einander ab. Zeit der Heumahd ist gerade, überall hört man das Dengeln der Sensen, die Bauern von Săcel sind mit der ganzen Familie hier hinaufgezogen. Väter und Söhne schwingen die Sensen, Frauen und Kinder türmen das Heu zu den für diese Gegend so typischen Heustadeln. Freundliche Grüße, Fragen über Woher, Wohin. „Zum Pietrosul?“ Fast ehrfürchtig nennen sie den Namen des Königs ihrer Berge und wünschen einen guten Weg.
Es geht weiter bergauf, weit schweift der Blick über die Landschaft. Tief im Tal Săcel, die Heimat der Heubauern. Dort warteten wir noch vor kurzem auf ein Fahrzeug zum Pass und trafen das Mütterchen mit dem Spinnrocken auf der Straße.
Hinter dem Gipfel Capu Muntelui führt der Weg hinab in eine Mulde. Am Hang schwingt ein Bauer seine Sense. In einer Umzäunung zwei Hütten, etwas unterhalb der Quelle. Er freut sich über unseren Besuch. Wo wir schlafen wollten? Dort in seinem Heuschober sei genug Platz. Seine Hütte ist klein, ein Lager, eine Feuerstelle, ein Wandbord mit Mehl, Salz, Speck und eine Flasche Selbstgebranntem, allerlei Geräte an den Wänden. Mir drückt er den Kessel in die Hand, Ralph spaltet draußen Holz. Bald brodelt ein leckeres Mahl über dem Feuer. Doch zum Essen lässt sich unser Opa kaum Zeit. Bis zum letzten Sonnenstrahl mäht er ohne Pause. Auf zwei langen Stangen bringt er dann das Heu zu „unserer“ Hütte, wo Ralph, das Stadtkind, beim Heustemmen recht ins Schwitzen kommt. Dafür schlafen wir dann auch weich und warm im frischen Heu.
Frühzeitig ist Opa schon wieder an der Arbeit. Zum Frühstück kommt er schnell vorbei. Nun heißt es Abschied nehmen, weiter ziehen wir, dem Pietrosul entgegen. Auf der nächsten Wiese sitzt eine Familie und frühstückt, Sensen und Rechen liegen griffbereit. Hinter dem nächsten Wiesenhügel ein buntes Gewimmel. Eine Gruppe Bergfreunde aus Prag baut ihre Zelte ab. Sie hatten einen schönen Lagerplatz an einer Quelle. Gemeinsam gehen wir weiter, nun etwas unterhalb des Kammes auf der Südseite. Kläffende Hunde und kurz gefressenes Gras zeigen an, dass wir vom Reich der Wiesen ins Reich der Schafe kommen. An der Stâna verfehlen wir den Weg. Erst weit unten am Hang finden wir ihn wieder. Steil geht es durch den Wald hinab in einen Sattel, etwas sanfter wieder hinauf auf die Almwiese unter dem Gipfel Muncelu Râios (1703 m). Bis auf 1196 m müssen wir absteigen in den Sattel Pietrii. Hier kommt eine Forststraße von Romuli bzw. Moisei herauf. Endlos erscheint der Aufstieg zur Poiana Bătrânei, doch er wird belohnt. Plötzlich stehen wir in einer völlig veränderten Landschaft, vor uns liegen die Hochgebirgskämme des Rodna. Und da lugt auch eine Spitze über den Kamm, der Pietrosul begrüßt uns. Nun haben wir bald den Zentralteil des Gebirges erreicht, von dem man uns zu Hause sagte, nur er sei interessant. Doch wir bereuen unsere Wiesenvariante nicht. Das Rodna-Gebirge hat viele Gesichter und das rote Band zum Şetref-Pass gehört zu einem seiner freundlichen und lieblichen. Schaut es euch an!

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 81, S. 238 – 239)

Seite Bildunterschrift
 
239 Bei den Heubauern im Rodna-Gebirge.
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