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Blütenschmuck um die Häupter der Berge

Die Siebenbürgische Alpenrose, ein Wahrzeichen der Karpaten

von Erika Schneider

Im Frühling, wenn die immer stärkeren Sonnenstrahlen die Bergriesen von ihren winterlichen Mützen befreien und die eisigen Bäche überschäumend von Schmelzwasser tosend über die Felsen ins Tal stürzen, erwacht langsam der zarte Blumenschmuck der Berge. Zaghaft erscheinen auf den Matten, am Rande des schmelzenden Schnees die ersten Frühlingsboten; der Frühlingskrokus, stellenweise im Fogarascher Gebirge die Schnee- Meerzwiebel, die Troddelblumen, die Berg-Nelkenwurz und weiter oben das kleine Alpenglöckchen, der Gekerbte Hahnenfuß, die Zwergprimel u. a. m. Die Zwergsträucher schnellen von den Schneemassen befreit in die Höhe und strecken sich der Sonne entgegen, um Licht und Wärme zu empfangen.
Später dann, im Juni, wenn im Bergbuchenwald der erste Frühlingsflor vorüber ist und die Fichtenzweige sich mit neuen, hellgrünen Spitzen zieren, erstrahlen auch die Hänge über der Waldgrenze in einmaliger Blütenpracht. Diese verdanken sie der Siebenbürgischen oder Myrtenblättrigen Alpenrose (Rhododendron kotschyi), die in der zweiten Junihälfte, oft bis gegen Ende Juli, ihre angenehm duftenden, samtenen rosa-roten Blüten entfaltet.

„Rosenbaum“ und Alpenrose

Ihren Namen verdankt sie der rosa-roten Farbe, die dem Vergleich mit einer Rose zugrunde liegt. „Rhododendron“ bedeutet griechisch „Rosenbaum“, wobei unter diesem Gattungsnamen große, meist baum- oder strauchartige Gewächse mit ledrigen, immergrünen Blättern und großen, rosenartigen Prachtblüten zusammengefasst werden, die oft angepflanzt als Zierde in Gärten und Parkanlagen gedeihen und die vor allem in Ost- und Südostasien beheimatet sind.
Drei strauchartige Rhododendren-Arten sind in ihrer Verbreitung auf das mittel- südosteuropäische Gebirgssystem beschränkt. Es sind dieses die bekannten und besungenen Alpenrosen, die von den Völkern des Alpen-Karpatenraums mit verschiedenartigen Namen wie Almrausch, Steinrose, Gebirgsrose, Schneerösl, smirdar, bujor de munte, bojorei (rumänisch) und vielen anderen bedacht wurden, „wetteifert“ sie doch, wie der Kronstädter Botaniker Julius Römer 1887 schrieb, „mit dem Edelweiß um die Gunst der Touristen“. Es handelt sich um die drei verwandten Alpenrosenarten, die Rostrote, die Rauhaarige und die Myrtenblättrige oder Siebenbürgische Alpenrose. Ihre Entstehungsgeschichte und die Beziehungen zu den ostasiatischen Sippen im Hauptentfaltungsgebiet der Rhododendren-Arten gehen in ferne Jahrtausende zurück. Eine über die nördliche Halbkugel verbreitete, heute erloschene Sippe ist wohl als Vorfahre der heutigen Alpenrosen im Alpen- und Karpatenraum anzusprechen. Darauf weisen verschiedene Fossilfunde von erloschenen Rhododendren-Arten, so auch in den Eiszeitablagerungen bei Avrig/Freck, hin.

Die Siebenbürgische Alpenrose

Die ersten siebenbürgischen Botaniker zählten die Alpenrose der Karpaten zu der in den Alpen heimischen Rostroten Alpenrose (Rhododendron ferrugineum), der sie wohl nahe steht, sich jedoch durch einen kürzeren Griffel und die unterseits grünlichen, weniger dicht drüsenschuppigen Laubblätter unterscheidet. Die beiden Wiener Botaniker Schott und Kotschy erkannten in ihr eine für Siebenbürgen bzw. die Karpaten kennzeichnende eigene Art, die sie der Form der Blätter nach Myrtenblättrige Alpenrose (Rhododendron myrtifolium) nannten. Etwas später gab der Arader Botaniker L. Simonkai ihr den Namen Rhododendron kotschyi, d. h. Kotschys Alpenrose. Sie ist jedoch als Siebenbürgische Alpenrose bekannt geworden.
Das Vorkommen der Siebenbürgischen Alpenrosen auch in den westlichen Rhodopen weist auf eine karpatisch-balkanische Verbreitung hin, wobei der Schwerpunkt in den Hochgebirgen der Südkarpaten liegt.
Die 30 – 50 cm hohe, dichte Sträucher bildende Alpenrose hat lange, zum Teil niederliegende, verzweigte Stämmchen. Die jungen Triebe sind von schuppigen, rostfarbenen Drüsenhaaren bedeckt. An den Ästchen sitzen die wechselständigen, kurz gestielten, gegen die Spitze hin büschelig gehäuften Blätter von 1,5 – 2 cm Länge, die sich keilig gegen den roten Blattstiel verschmälern. Die ganzrandigen, ledrigen, nach unten leicht eingerollten Blätter sind oberseits dunkelgrün und tragen auf der Kehrseite schuppenartige, rostfarbene Drüsen, welche dem Blatt ein punktiertes Aussehen geben. Die rosa-roten Blüten mit einem fünfzähnigen, winzigen Kelch und einer fünfzipfligen, sackartig- trichterförmigen Blumenkrone, sind doldentraubig angeordnet. Die Frucht der Alpenrose ist eine bräunliche Kapsel, die sich im August oder September öffnet.

Zwergstrauchgürtel an der Grenze der Gehölzvegetation

Dort, wo der dunkle Fichtenwald sich lichtet und in einen Krummholzgürtel auflöst, sind zuerst Krummholzkiefern oder Latschen, Grünerlen, dann Zwergwacholder und schließlich die Zwergsträucher der Alpenrose zu Hause. Während die Grünerle entlang der Bäche in engen Tälern oft bis zu 1000 m hinabsteigt, ist die Alpenrose vor allem über dem Krummholz- oder Knieholzgürtel verbreitet, wo ihre niedrigen, polsterförmigen Sträuchlein, im Verein mit anderen Heidekrautgewächsen, bis zu einer Höhe von 2200 m empor klettern. Sie besiedelt steinige, steinigrasige Plätze der alpinen Stufe, sowohl auf Kalk- als auch auf Urgestein. Dolde an Dolde, Blütensträußchen an Blütensträußchen gereiht, bedecken die Blüten die Hänge und lassen sie in rotem Schimmer erglühen.
Wenn die Sonnenstrahlen über die Lehnen streifen und der blaue Himmel über ihnen lacht, so kann wohl einen Bergfreund und Wanderer nichts mehr entzücken, als diese Blumenpracht unter den steinernen Häuptern der Karpatenriesen, auf Bändern, Buckeln, an Steilhängen, bis in die Racheln, wo die Grünerle, an feuchtere Stellen angepasst, in den roten Blütenreigen ihr zartes Grün dazwischensprengt.
Die Alpenrose wächst im Verein mit anderen Zwergsträuchern und bildet für die alpine Stufe kennzeichnende Pflanzengemeinschaften, so die weit verbreitete Alpenrosen-Heidelbeer- Zwergstrauchgesellschaft. Außer den vorherrschenden Alpenrosen und Heidelbeerbüschen gehören diesem Verein auch andere Zwergsträucher, die Moosbeere, Preiselbeere, Kleiner Wacholder sowie verschiedene Kräuter und Gräser an, u. zw.: Alpenlattich, Troddelblume, Berg-Straußgras, Krummsegge, Kleine Teufelskralle, Alpen-Habichtskraut, Zwergprimel, Gamsbart, Alpen-Glockenblume, Bläuliches Kopfgras, Alpenwindröschen, Kleiner Schwingel, Berg-Nelkenwurz u. a. Auf den Berggraten, wo der Wind über die Kanten pfeift, an der Höchstgrenze der Alpenrose, ist auch der niederliegende Spalierstrauch der Gemsheide ihr Begleiter.
Von den nördlichen Ostkarpaten, den Bergen der Maramureş, dem Ţibleş-Gebirge, den Rodnaer „Alpen“ bis zum Karpatenbogen (Buzău-Gebirge, Siriu-Gipfel), den Burzenländer Bergen, der Fogarascher Gebirgskette, dem Zibins- und Lotrugebirge, dem Parâng, Retezat, Vulcan und Ţarcu-Godeanu sowie Mehedinţi-Gebirge (Oslea-Kamm) ist die Alpenrose anzutreffen.
Ausflüge in die Alpenrosenblüte der Karpaten lassen sich leicht auch mit anderen Ausflugszielen im Umkreis der Berge verbinden. So mögest du, lieber Wanderer, selbst wählen, wo du die Alpenrosenblüte erleben willst, in den Ost- oder Südkarpaten. Überall werden dich die Hänge in ihrer strahlenden Pracht erfreuen.

Ausflugsmöglichkeiten, Ausflugsziele

In den nördlichen Ostkarpaten ist ein Aufstieg durch bunte Bergwiesen, Hochwälder und Latschenfelder zu erreichen. Das Kuhhorn (Ineu) besteigt man von Valea Vinului (bei Rodna Veche) aus, in 3 – 4 Stunden. Reich belohnt durch Alpenrosenblüte und die zauberhafte Landschaft am Kuhhorn, um den Lala-See, wird jeder Bergwanderer zufrieden ins Tal zurückkehren.
Fällt unsere Wahl auf die Burzenländer Berge, so gibt es auch verschiedene Möglichkeiten. Da wäre der Hohenstein (Piatra Mare) von Timişul de Jos oder Predeal leicht zu erreichen, die Kalkklippen des Königsteins (Piatra Craiului) von Zărneşti oder das Braşov am nächsten gelegene Schulergebirge (Postăvaru).
Wohl mancher Wanderer liebt das Prahovatal mit den über ihm wachenden Kalkklippen des Bucegi-Gebirges, das als viel besuchtes Ausflugsziel bekannt ist. Viele übereifrige und unbedachte Touristen begnügten sich nicht mit einem Zweiglein oder Sträußchen, sondern rückten der Alpenrose im Bucegi (Vârful cu Dor, Piatra Arsă, Caraiman) so zu Leibe, dass sich in diesem Gebiet ihr Schutz als dringend notwendig erwies. Ebenso wurde dieser für die gesamte Karpatenkette vorgeschlagen, da es auch andernorts „übereifrige“ Touristen und vor allem „Massen-Sammler“ von Alpenrosenblüten gibt. Um möglichst schnell viele Blüten zum Zubereiten einer Konfitüre oder eines aromatischen Getränks (das in der Volksmedizin als Heilmittel für Lungen- und Nierenleiden gilt) einzusammeln, werden die holzigen, kriechenden Stämmchen mitleidslos aus dem steinigen Boden gerissen und dadurch oft erheblicher Schaden angerichtet, ist doch die Rolle der Alpenrose als Geröllfestiger nicht zu übersehen.
Einsamkeit und Stille liebende Wanderer suchen nach blühenden Alpenrosen in dem südwestlich vom Königstein gelegenen Iezer-Păpuşa-Massiv.
Die zahlreichsten Möglichkeiten, die Alpenrosenblüte in ihrer Pracht zu erleben, bieten wohl das Fogarascher und Retezatgebirge. Beeilte Touristen fahren über die Transfogarascher Straße zum Bâlea und Umgebung. Nicht viel mehr Zeit benötigt ein Aufstieg ins Sâmbătatal, da man vom Touristenkomplex Sâmbăta de Sus mit dem PKW auf der Forststraße dem Herzen der Berge näher rücken kann. Lohnend, doch nur für geübte Bergwanderer, wäre ein Aufstieg zum Podragu, zu den Hängen der Tărâţa, oder ein leichterer über Avrig – Poiana Neamţului zur Bârcaci-Hütte und weiter ostwärts, zum Negoi, oder westwärts zum Frecker See (Lacul Avrigului). Im Schweiße seines Angesichts steigt mancher Wanderer über die Fruntea Moaşei zum Surul auf.
Doch wie wär’s mit einem Tagesausflug zur „Rosenspitze“ (Chica Fedeleşului) am westlichen Ende der Fogarascher Gebirgskette? Sie verdankt ihren Namen dem um ihr Haupt gelegten Alpenrosenschmuck. Über Turnul Roşu, auf dem markierten Weg, der zwischen Chica Pietrelor und Chica Fedeleşului auf den Kammweg stößt, ist die Höhe in 4 Stunden erreicht. Und wer die Rosenspitze besteigt, kann selbst feststellen, ob sie ihren Namen verdient.
Zu den wohl ausgedehntesten Alpenrosenfeldern gehören jene des Zibinsgebirges, vornehmlich der Bătrâna und der anderen Hänge bis zu den beiden Gletscherseen am Cindrel. Das Parâng- und vor allem das Retezatgebirge stehen auch nicht nach. Im Pietrele- Tal, an den Hängen der Peleaga, im Bucura-Kessel, auf der Custura, am Tăul Negru und Zănoaga-See, im südlichen Retezat (Piatra Iorgovanului) und an vielen anderen Stellen breitet sich ein roter Teppich aus. durchwirkt von den bunten Tupfen der Alpenglockenblume, der Gerg-Nelkenwurz, des weißen Alpen-Windröschens u. a. m.
Mitgebrachte Sträußchen und Filmstreifen können nur ein kleines Bruchteilchen des Blütenzaubers einfangen, den die von Alpenrosen umkränzten Berge mit diesem Wahrzeichen der Karpaten, der Siebenbürgischen Alpenrose, den Bergfreunden darbieten.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 81, S. 200 – 208)

Seite Bildunterschrift
 
201 Zu den ersten Frühlingsboten gehört der Frühlingskrokus (Crocus heuffelianus).
202 Siebenbürgische Alpenrose.
203 Blick von der Bârcaci-Hütte (Fogarascher Gebirge) zur Hohen Scharte (Ciortea) – im Mai.
205-o Bald nach der Schneeschmelze blüht das Kleine Alpenglöckchen (Soldanella pusilla).
205-u Die Siebenbürgische Alpenrose (Rhododendron kotschyi) gehört zur Zierde unserer Berge.
206 Nach der Alpenrosenblüte, im Juli und August erglühen die Berghänge in manchen Gebieten von den roten Blütenträubchen des Siebenbürgischen Heidekrauts (Brukenthalia spiculifolia).
207 Das Podragu-Tal gehört nicht nur zur Zeit der Alpenrosenblüte zu den beliebten Ausflugszielen im Fogarascher Gebirge.
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