Schmuckstück der Fogarascher Berge
von Reinhold Gutt
Ob es einen Sinn hat, einen guten Teil dieses ohnehin nicht sonderlich geruhsamen Lebens
damit zu verbringen, Riesenrucksäcke auf Berge hinaufzuschleppen, sich durch enge Risse
durchzuschinden und dann abends müde und zerschunden talwärts zu stolpern? Ob das
Bergsteigerleben wirklich reicher ist als das der Menschen, welche behaupten, dass die
Berge von unten anzuschauen ganz schön, aber Hinaufsteigen unnütze Kraftverschwendung
sei? Auf diese Fragen wird kaum einer der vielen angesprochenen Bergsteiger eine sichere,
klare Antwort geben, und trotzdem durchstreifen unzählige Touristen unsere Fogarascher
Berge.
Hauptattraktion dürften wohl die Vielfalt und die Großartigkeit wie auch die
außergewöhnliche Ausdehnung des Gletscher-Reliefs sein. Zu beiden Seiten des
Hauptkammes wurden beinahe alle Täler vom Eis gegraben und geformt. Überall lassen sich
an den Anfängen dieser Täler zwei-drei übereinander gestaffelte Gletscherkare erkennen.
Auf den Talschwellen der Gletscher bildeten sich, von unzähligen Quellen gespeist, eine
Menge von Wasserflächen, die der Landschaft einen besonderen Reiz geben. Früher sind im
gesamten Massiv etwa 70 derartige Gletscherseen gezählt worden. Heute ist ihre Zahl
zurückgegangen, da zahlreiche unter ihnen mit angeschwemmten Ablagerungen aufgefüllt
wurden.
Unter den Gletschertälern, die im Süden die Fogarascher durchfurchen, befindet sich auch
das Leaota-Tal, welches seinen Ursprung im Hârtoapele-Kessel hat. Viele Bergsteiger, die
den Fogarascher Hauptkamm durchwandern, blicken von unterhalb der Fundul-Bândei-
Spitze in den erwähnten Kessel, doch bleibt für viele diese Gegend eine „terra incognita“,
obwohl mehrere Seen einem – selbstverständlich bei Schönwetter – einladend
entgegenglänzen.
Anhand der beiliegenden Kartenskizze wäre den Wanderern ein Absteigen in den
Hârtoapele-Kessel zu empfehlen, der über weg- und stegloses Gelände zu den zwei
Geamănu-Seen führt. Nur der von Osten aus der Curmătura Zârnei (Zârna-Sattel)
Kommende kann einen Weg verfolgen, der vom markierten Weg unterhalb der Zârna-Spitze
abzweigt und sich unweit des Geamănu-de-Jos-Sees in den Almwiesen verläuft. 300 Meter
vom Geamănu-de-Jos-See entfernt befindet sich sein Zwillingsbruder, der Geamănu-de-Sus-
See (2244 m). Drüben, in westlicher Richtung und hinter Felsen versteckt, liegt der Mioarele-
See (2282 m), der höchstgelegene See in unseren Karpaten, und etwas südlich davon –
damit er nicht einsam dasteht – der von angeschwemmter Ablagerung und Vegetation
überwucherte Muşetescu-See.
Wenn all diese Seen von verhältnismäßig kleinen Oberflächen sind, so erwartet uns drüben
– hinter dem Ostausläufer der Muşetescu-Spitze – der Roşu- oder Hârtop-See in einer Höhe
von 2130 m, gleichzeitig der größte See in diesem Kessel mit einer Oberfläche von 0,96 ha.
Unweit von ihm befindet sich der fast kreisrunde Scoica-See.
Empfehlenswerte Anmarschrouten zu dem Hârtoapele-Kessel sind drei:
Wird man vom Reiz des Unbekannten einmal in dieses Seenparadies gelockt, so beschleicht einen unwillkürlich ein Gefühl der Befriedigung, all die eingangs erwähnten Strapazen nicht umsonst auf sich genommen zu haben.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 210 – 214)
Seite | Bildunterschrift |
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211 | Kartenskizze |
212 | Zelten am Geamănu-de-Sus-See. |
213 | Der Muşetescu-See |
214 | Urlea-Berghütte |