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Skiabenteuer am Iezer

von Christa Richter

Sie waren eine Gruppe Skifans, die alljährlich die Woche vor dem 1. Mai als Skiurlaub einplanten und seit 10 Jahren die im Herzen der Fogarascher gelegene Berghütte Podragu (2136 m) zum Ziel hatten. Warum man eines Frühlings zum Massiv Iezer-Păpuşa wechselte, steht nicht genau fest. Vielleicht wollte man bloß das Dekor wechseln oder aber ein neues Skigebiet entdecken.

Der Aufstieg

Man kann das Massiv von allen Seiten her angreifen, doch im Winter und Frühling nur von Süden her (Câmpulung, Râu-Târgului-Tal, Berghütte Voina). Wir wählten die mit blauem Kreuz versehene Markierung über den Fuß des Iezeru Mare und hofften, an einem Tag oben zu sein. Doch es kam anders. Schon beim Verlassen der Forststraße im Tal des Iezeru Mic setzte ein heftiges Schneetreiben ein. Vergessen war das sonnige Bukarest mit dem blühenden Goldregen, wir stapften durch kniehohen Schnee, stöhnten unter den vollgepackten Rucksäcken und schweren Skiern. Die erste Nacht verbrachten wir in einer vom Schnee eingedrückten Sennhütte, zusammengepfercht in einer Ecke rings ums Lagerfeuer. Die zweite Nacht war schon etwas gemütlicher, denn die große Sennhütte and er Trasse war neu und bot genügend Schutz. Erst am dritten Tag erreichten wir die vom Bergrettungsdienst Câmpulung errichtete Notunterkunft im Kessel des Iezeru-Sees und richteten uns häuslich ein. Der mit Latschen vollgestopfte Metallofen heizte prächtig, auf dem Küchenherd ließ sich gut kochen, alles war einfach und funktional. Doch draußen?

Der Aufenthalt

Draußen herrschte noch der Winter und ließ sein Werk von der Sonne bescheinen. Herrliche Skihänge hatte er geschaffen. Der See war fest zugefroren, nur eine ovale ebene Fläche verriet seinen Standort. Endlos zogen sich die weiten, leicht gewellten Flächen dahin, abgegrenzt nur am oberen Horizont von einem klarblauen Himmel und unten von dunklen Streifen der Tannenwälder im Tal. Am herrlichsten jedoch war die Aussicht. Schon vor der Hüttentür oder etwas höher, vom hang über dem See, bot sich einem in nordöstlicher Richtung ein einmalig verblüffendes Bild: dunkelgrau am Morgen oder messingfarben gegen Abend, einer Messerschneide gleich, die Westwand des Königsteins. Gleich rechts daneben, die behäbigen weißen Formen des Leaota-Massivs. Darüber ein Wolkenstreifen, daraus sich, gleich einer Gralsburg, die steinerne Festung des Bucegi erhob. Dahinter der Schuler, der Hohenstein und sogar der Ciucaş. Alles so klar und deutlich vor unseren Augen ausgebreitet, als ob wir auf einer Aussichtswarte ständen, die diesem einmaligen Blickwinkel zugedacht sei. Erstieg man die Spitze des Iezeru Mare (2463 m), so bot sich den westwärts gerichteten Blicken eine endlose Aneinanderreihung leicht abfallender Höhenzüge: die Südausläufer des Fogarascher Gebirges größtenteils von Schnee bedeckt.

Die Abfahrt

Sie erfolgte über die westliche Hauptmauer des Amphitheaters, den sich lang hinziehenden Höhenzug der Văcarea, der fast bis zur Voina-Hütte reicht. Die flache, als Weideland wohl geschätzte Văcarea ist eine ideale Loipe für Skifahrer und fällt so sanft ab, dass man während des Fahrens Zeit hat, die volle Größe des gesamten Massivs, dieses mächtigen Felshufeisens, zu genießen. Zurück bleibt der weite Kessel mit der gastlichen Unterkunft (Stockbetten in 2 Räumen für 60 Personen sowie Küchenraum), darüber der Iezeru Mare mit seinem Nachbarn, dem Vârfu Roşu (2469 m), hinter dem sich die Flanke Oticu-Mezea- Căţunu bis zu den Fogaraschern hinüberzieht und den Verbindungsweg schafft; dann der Kamm der Bătrâna und die massige Păpuşa breit hingelagert. Dazwischen die Ausläufer hinunter ins Tal: der Fuß des Iezeru Mare, der Plaiu lui Pătru, der Grădişteanu. Und wenn man Glück hat, kann man so wie wir zum Abschluss, das Massiv von seiner wetterwendischen Seite kennenlernen. Während wir im Sonnenschein abfuhren, stürmte es auf der Păpuşa; plötzlich zog sich hinter uns ein drohendes Wolkenmeer zusammen, Windböen brachten Schnee und Nebel, und kurz darauf war alles wieder weggeweht. Über dem Tal des Râu Târgului aber spannte sich ein mächtiger Regenbogen. Bei der Sennhütte am Fuße der Văcarea hielt bereits der Frühling seinen Einzug. Auf den Almwiesen blühten schon Krokus und Schneeglöckchen. Unser Winterabenteuer war zu Ende.

Das Massiv Iezer-Păpuşa erhebt sich im Südosten des Fogarascher Gebirges und gleicht diesem im großen Ganzen was Relief, geologischer Aufbau, Klima usw. anbelangt. Vom Königstein mutet es wie ein mächtiges Amphitheater mit massiven Strebepfeilern an, außen umspült von den Wasserläufen des Râu Doamnei und der Dâmboviţa, während innen ein Fächer von Bergbächen den südwärts abfließenden Râu Târgului bildet, der dem alten Câmpulung zueilt. Wegen seiner Abgeschiedenheit und dem langen Anmarsch ist das Massiv sommers touristisch keineswegs überlaufen (es ist gut markiert, besitzt aber außer Senn- und Forsthütten nur eine einzige Unterkunft). Im Winter, liegt es vollkommen einsam in seinem erhabenen Weiß, obwohl seine flachen Höhenzüge (zwischen 2200 – 2400 m hoch gelegen) und steilen Abhänge ideale Skibahnen und Loipen für Skifahrer abgeben.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 66 – 69)

Seite Bildunterschrift
 
68 Kartenskizze
69 Ski-Rastpause. Blick auf das herrliche Panorama des Iezer.
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