von Hans Liebhardt
Zuallererst etwas über die Großmächtigkeit der Brooser Berge, denn damit hat man es zu
tun, vor allem nach der Berghütte und dem Camping Costeşti, beide im letzten breiten
Sammeltal am Fluss gelegen. Hier hört der Asphalt auf, es geht auf der Forststraße weiter,
immer den Wasserlauf entlang, das ist auch verständlich, man kann sich diese Flüsse oder
auch Bäche als Zugang zur Burg denken. In heutigen Maßen wären es von Orăştie bis zum
dakischen Sarmizegetusa dreißig Kilometer, wer weiß, wie man diese Strecke zur Zeit
Dezebals gemessen hat, vielleicht sagte man: eine Tagesreise, aber damals gab es noch
kein Orăştie, und Sarmizegetusa war das A und O.
Bevor wir den Fluss mit dem Trabantchen überqueren, sagt uns ein Mensch vom
Straßenbau, dass man jetzt nicht unbedingt mit der Schmalspurbahn fahren muss, sondern
dass der Forstweg bis hinauf fertig ist, man kann auf dem Forstweg bis in die Nähe der Burg
gelangen. Wir stellen dann auf eigene Erfahrung fest, dass dies den Aufstieg auf der linken
Seite bedeutet, noch vor einem Jahr war die Bergbahn der einzige Zugang.
Vom Bächlein bis auf den Bergkegel ist eine Distanz von 500 Metern zu bewältigen, man
steigt streckenweise auf Stiegen hinauf, die aus kleinen Brettern hergestellt wurden, alles
macht den Eindruck, als stünde man am Anfang einer Entdeckung. Merkwürdig scheint mir
nur eins: Als ich unten, vom Straßenrand aus, die ungewohnte Landschaft betrachtete,
wusste ich, dass sich ganz oben, hinter jenen hohen Buchen, die Burg befinden müsse.
Der Wasserreichtum der Brooser Berge ist einem schon die ganze Zeit über aufgefallen, die
Bächlein rinnen in ihren ausgewaschenen Mulden von allen Berghängen herab, wie aber
wurde dieser eine Bergkegel inmitten aller anderen ausgewählt, so dass er von jedem
Zugang abgesondert liegt und auch reichlich verfügt über das Quellwasser?
Wir betreten die Burg durch das Westtor, wandern dann rundherum um die Mauern, nur so
kann man einen Eindruck erhalten von der Größe der Anlage, in heutigen Begriffen wäre es
wie eine Stadt auf dem Berge. Die riesigen Buchen muss man sich wegdenken, denn um die
Jahrtausendwende hatten Bäume hier kaum etwas zu suchen, die Mauern und die 16 Meter
hohen Türme von Sarmizegetusa waren weithin sichtbar – ganz in Weiß.
Die Anlage mit den Sanktuaren wurde bisher als einzige fast vollständig freigelegt,
merkwürdigerweise macht diese Plattform den Eindruck, als habe sie sich in einem Vorhof
der Burg befunden, sie liegt jedenfalls links von der Auffahrtstraße, die aus Steinplatten
bestand, sie kam von der rechten Seite, und man kann ein Stück davon sehen.
Die Quelle sprudelt auch heute noch, wir trinken also zuallererst einen Schluck von diesem
dakischen Wasser.
Die Sanktuare – etwa zehn Einrichtungen – wurden schon oft beschrieben, als Formen der
zeitlichen und räumlichen Einteilung. Sie sind geblieben als eine Schule der Phantasie, als
ein Mahnmal gegen das Alltägliche, man steht vor diesen bearbeiteten Felskreisen wie vor
einer ersten Bedeutung.
Jüngere Burschen beginnen gleich zu zählen, man gelangt zu faszinierenden Entdeckungen
über die Einteilung des Jahres oder die Ermessung des Firmaments. Ich bin zum ersten Mal
daraufgekommen, dass die Mengenlehre eine sehr anschauliche Wissenschaft sein kann,
dieses Rechnen mit Formen und Figuren. Man gibt auch zu, dass die Abstraktion unserer
arabischen Ziffern einen ungeheuren Sprung im menschlichen Denken ausgemacht haben
muss, aber zur Erfassung der Geheimnisse von Sarmizegetusa ist diese Rechnungsart nicht
geeignet. Ich will nur soviel festhalten, dass damals alles eine Einheit war – die
Wissenschaft, die Weltbetrachtung, die Zukunftsdeutung, eine Ordnung von kosmischer
Einfachheit in diesen Brooser Bergen. Man muss versuchen dakisch zu denken und das
Ergebnis dann in unsere Ausdrucksformen zu übersetzen.
Auf der Heimfahrt schieben sich Nebelbänke zwischen die Gebirgszüge – Nebel, das ist
immer ein schönes Bild für den Vorhang der Geschichte.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 46 – 47)