Auch das Retezat-Vorland hat seine Reize. / Ein Dutzend Ortschaften und viele Sehenswürdigkeiten. / Eine Sommertour für Radfahrer
von Lia Marcu
Es ist nicht jedermanns Sache, hoch hinaus zu wollen. Auch nicht in Sachen Bergwandern.
Nicht jeden verlockt es, den steinernen Riesen auf die Häupter zu steigen. Die Welt rund um
die hohen Berge ist auch ganz schön. Und die Berge selbst kann man schließlich von unten
genauso gut genießen.
Versuchen wir es also mal rund um den Retezat. Was bietet uns sein Vorland? Eine Hügel-
und Berggegend mit saftigen Wiesen und schönen Wäldern, von rauschenden Bächen
durchzogen, dazwischen malerisch gelegene Ortschaften, in denen man sich von der Hast
und dem Lärm des städtischen Alltags erholen kann. Ob man bei Bauern übernachtet, in den
verschiedenen Campings oder sein eigenes Zelt dort aufstellt, wo einem die Welt am
schönsten dünkt – man ist überall inmitten einer beeindruckenden Natur, steht überall
sozusagen unter der Schirmherrschaft des Retezat, der von jeder Seite zwar anders
anzusehen ist, jedoch immer behäbig und majestätisch wirkt.
Was gibt es rund um den Retezat sonst noch zu sehen? Was für Ortschaften,
Sehenswürdigkeiten, Denkmäler, Museen, Ruinen kann man da besichtigen? Ehe ich darauf
eingehe, möchte ich noch einige Feststellungen allgemeiner Natur vorausschicken. Der
Retezat wird von drei großen Wasserläufen begrenzt: Schil, Strei und Râul Mare. Im Norden
liegt das Hatzeger Land, dass ich auch noch zum Retezat-Vorland zählen möchte. Somit
verläuft eine Reise rund um den Retezat schilaufwärts, streiabwärts, durchs Hatzeger Land
und den Râul Mare hinauf. Eine ganz schöne Strecke also, die man am bequemsten mit dem
eigenen Wagen bewältigt. Wir empfehlen sie jedoch besonders Fahrradtouristen, auch des
Reiseerlebnisses wegen. Wer jedoch auf Zug, Autobus und auf Schusters Rappen
angewiesen ist, muss viel mehr Zeit dafür aufbringen. Im Übrigen bleibt es jedem selbst
überlassen, zu entscheiden, ob er die ganze Tour macht oder nur einen Teil.
Und nun geht’s los. Beginnen wir mit der Strecke Petroşani – Câmpul lui Neag, also die
südliche Grenze des Retezat entlang.
Petroşani ist eine relativ junge Ortschaft. Etwa um 1780 siedelten sich hier Hirten aus dem
Hatzeger Land an. Als gegen 1840 im Schiltal Kohle entdeckt wurde, begann die Ortschaft
sich zu einer Industriestadt zu entwickeln dank ihrer günstigen Lage inmitten des
Kohlenreviers. Heute ist das Munizipium Petroşani Hochschulzentrum (Bergbauinstitut), hat
ein Staatstheater, eine Volkskunstschule, ein Bergbaumuseum u. v. a. Die Stadt befindet
sich in ständiger Modernisierung, Vergrößerung und Verjüngung. Zwischen Parâng,
Vâlcaner Bergen und Retezat gelegen, kann man Petroşani auch ein wichtiges
Touristikzentrum nennen.
Ausflüge kann man zur Hütte Lunca Florii (Şureanu-Berge, 857 m, Fahrweg über Petrila) und
zur Rusu-Hütte (Parâng, 1168 m, Fahrweg) machen.
Nach Süden geht’s erst. Da, wo unser Weg dann westwärts abbiegt, ins Tal des Westlichen
Schil, und sich von der Straße DN 66 trennt, die sich schilabwärts windet, liegt das Motel
Gambrinus.
Weiter führt unser Weg durch die Bergarbeitersiedlung Vulcan (13 km). Vor etwa 100 Jahren
war hier noch das Verwaltungszentrum dieses Gebiets. Bis zur zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts, als infolge des Abbaus der Schiltaler Kohle der heutige Weg, am Schil
entlang, gebaut wurde, führte ein uralter und vielbenützter Weg von Vulcan über den
Vâlcan-Pass (1621 m) nach Tg.-Jiu – seinerzeit die einzige Verbindung zwischen Siebenbürgen und
Oltenien in diesem Teil des Landes. Und ebenfalls von Vulcan gab es
Postkutschenverbindung nach Hatzeg auf einem direkten Weg über den Dealul Babii. Nun
werden diese Wege nur noch von Hirten und Einheimischen benutzt.
Paroşeni (15,5 km). Die hiesige Thermozentrale liefert den Bergwerken und den
Industrieeinheiten des ganzen Schiltals den Strom und verbraucht dabei nur minderwertige
Kohle. Sie ist selbstverständlich auch ans Landesverbundnetz angeschlossen.
In Lupeni (18 km) befindet sich die größte Kohlengrube des Schiltals. In diesem wichtigen
Kohlenbergbauzentrum gibt’s u. a. eine Kohlenaufbereitung, eine Sauerstoff-Fabrik, eine
Kunstseidenspinnerei und die neuen Wohnsiedlungen der Bergleute.
Ausflüge kann man sowohl von Lupeni als auch von Vulcan in die Vâlcaner Berge machen.
Die Hütten Straja (1445 m) und Vâlcan (1419 m) sind Stützpunkte für weitere Vorstöße in
diese Berge.
Uricani (26 km). Bergarbeitersiedlung.
Câmpul lui Neag (34 km). Eine Ortschaft, die vor einem halben Jahrtausend schon existiert
hat, aber möglicherweise viel älter ist. Hier findet man noch Bauernhöfe in typischer
bodenständiger Bauweise.
Ausflüge: Zur Hütte Câmpul lui Neag (850 m), am Rande der Ortschaft gelegen, oder zum
Stausee Valea de Peşti, wo sich auch ein Motel befindet. Câmpul lui Neag ist aber
vorwiegend Ausgangspunkt für Ausflüge in den Retezat. Ein Fahrweg führt bis unterhalb der
Buta-Hütte. Vom Ende des Wegs steigt man noch etwa eine Dreiviertelstunde bis zur Hütte
(1580 m). Sehenswert ist auch die Buta-Klamm, am Fußpfad zur Buta-Hütte, bei Gura Butei
(etwa 7 km flussaufwärts) gelegen.
In Câmpul lui Neag ist vorläufig Schluss mit dem Asphaltweg. Aber man kann noch weiter
fahren, auf einem Forstweg in Richtung Schil-Quellen, zwischen Kalk-Retezat und Oslea
hindurch. Nach 16,5 km kommen wir in Câmpuşel (1180 m) an, von wo man den Retezat
oder den Oslea besteigen kann.
Und nun fahren wir am Ostrand des Retezat entlang: von Petroşani nach Hatzeg.
Bei den Dörfern Peştera Bolii und Cetatea Bolii kommen wir an den Ruinen zweier
Wachtürme vorbei, beide aus dem Mittelalter. In der Nähe liegt die Höhle Peştera Bolii, und
zwar beim Zusammenfluss der Jupâneasa und des Schil.
Merişor (16 km). Der Merişor-Pass (756 m) ist die Wasserscheide zwischen Schil und Strei.
Die Ortschaft ist eine typische Bergsiedlung mit verstreut liegenden Gehöften. Von hier kann
man zum Dealul Babii (944 m) steigen, über den seinerzeit der schon erwähnte
Postkutschenweg von Vulcan nach Hatzeg führte. Außerdem sind hier sehenswert der
Wasserfall Stânca Comărnicelului und zwei Grotten.
Crivadia (19 km). Auch hier gibt’s eine Höhle. Und einen kreisrunden Wachturm, zu dem es
sich lohnt aufzusteigen, der schönen Aussicht wegen. Sein Alter ist noch nicht mit Sicherheit
bekannt. Einige Forscher vermuten, er stamme noch aus der Zeit der Daker, andere sind der
Meinung, er sei jüngeren Datums und habe auch als Zollstation eine Rolle gespielt.
Baru Mare (22 km). Diese Ortschaft bestand bereits in der Feudalzeit. Hier kann man eine
Wehrkirche aus dem 15. Jh. besichtigen. Eine interessante Höhle ist die Peştera de la Tecuri
(920 m), in drei Stunden Fußmarsch zu erreichen. Ab Baru Mare verläuft unser Weg den
Strei entlang.
Livadia (26 km). Am Rande der Ortschaft fand man Ruinen aus der Römerzeit. Von hier kann
man die Höhlen von Ohaba Ponor besichtigen.
Pui (29 km). Hier beginnt ein Fahrweg zur Baleia-Hütte (1410 m) am Ostrand des Retezat.
(Zugang zum Karstkomplex Ponorici – Ciclovina im Şureanu-Gebirge. F. K.)
In Ohaba de sub Piatră (38 km) zweigt ein weiterer Fahrweg in Richtung Retezat ab. Bis
Sălaşul de Sus ist Asphalt. Hier finden wir die Ruinen einer Festung aus dem 13. – 14. Jh.
Von hier ab ist der Weg in Arbeit. Bis Nucşoara kann man schlecht und recht fahren. Aber
von einer Fortsetzung der Reise bis Poiana Cârnic, wo der Aufstieg zur meistbesuchten
Retezat-Hütte, Pietrile (1480 m), anfängt, ist Pkw-Besitzern vorläufig entschieden abzuraten.
Radfahrer können die Reise ungestört fortsetzen. (Heute ist die Straße bis Nucşoara
asphaltiert, und bis zur Cârnic-Hütte führt eine gut befahrbare Forststraße. F. K.)
Nach Ohaba verlassen wir das Strei-Tal und kommen bei Sântamaria-Orlea (45 km) ins Tal
des Râul Mare. Bereits 1363 wird diese Ortschaft dokumentarisch erwähnt. Sehenswert ist
hier die Kirche im romanischen Stil, die aber auch gotische Elemente aufweist und aus der
zweiten Hälfte des 13. Jh. stammt. In nächster Nähe liegt das ehemalige Schloss der Familie
Kendeffy (Cânde), Knesen, deren Domänen sich seinerzeit über dieses ganze Gebiet
erstreckten. Im 16. Jh. erbaut, entstand daraus 1782 ein Barockschloss. Heute ist es ein
Motel, und im 17 ha großen Park steht u. a. ein Camping.
Auch von hier führt ein Weg in Richtung Retezat, und zwar im Tal des Râul Mare
flussaufwärts.
Hatzeg (49 km). Im 12. Jh. war diese Ortschaft bereits Zentrum eines Knesats. Heute ist
Hatzeg ein hübsches Städtchen, besitzt einige Industrieeinheiten und ist dank seiner Lage
zwischen Retezat und Poiana-Rusca-Gebirge ein wichtiges Touristikzentrum. Am Rande der
Ortschaft liegt die Herberge Bucura.
Rund um Hatzeg gibt es allerhand zu besichtigen. Da wären auf dem Orlea-Berg die Ruinen
eines mittelalterlichen Schlosses, das im 15. Jh. der Familie Cânde gehört hat, und im
Slivuţ-Wald die Wisent-Reservation, wo aber auch Hirsche und Rehe grasen.
16 km von Hatzeg entfernt liegt Densuş, wo eine der interessantesten Kirchen des Landes
steht. Sie stammt aus dem 13./14. Jh. und wurde u. a. aus Steinen und ganzen
Bauelementen ehemaliger Gebäude von Sarmizegetusa errichtet. Der Turm stützt sich auf
vier römische Grabsteine, deren Inschriften zum Teil noch lesbar sind. Die Innenmalereien
stammen von einem Meister Ştefan und wurden 1443 ausgeführt.
Im Hatzeger Land finden wir auf Schritt und Tritt Spuren aus der Römerzeit, so u. a. in
Peşteana, Breazova, Toteşti und Tuştea. Das nimmt auch weiter nicht wunder, denn nur 18
km von Hatzeg entfernt liegt Sarmizegetusa, das alte Ulpia Traiana, Hauptstadt der
römischen Provinz Dazien. Ausgrabungen förderten einen Teil der alten Provinzhauptstadt
zutage, so u. a. Fragmente der Stadtmauer, Tempel, das Amphitheater, das Forum, das
Palais der Augustaler. Das 1924 auf Initiative des Geschichtsforschers Constantin Daicoviciu
gegründete Museum von Sarmizegetusa beherbergt Funde aus jener Zeit. Neben dem
Amphitheater, am Rande der Ortschaft, ist ein Camping.
5 km von Sarmizegetusa entfernt liegt Clopotiva am Râul Mare. Von hier machen wir einen
Abstecher in die Ortschaft Râu de Mori, wo ein Forstweg entlang des Râuşoru weit ins
Retezat-Massiv hineinführt. Dem folgen wir nur bis Suseni, denn hier gibt’s was zu
besichtigen. Schon von weitem sieht man auf einer Felsnase, das Tal beherrschend, die
Ruinen einer Burg. Eine kurze Kletterpartie bringt uns zum alten Gemäuer, von wo man eine
schöne Aussicht genießen kann. Es ist die Fluchtburg der Knesenfamilie Cânde, die Burg
Colţ. Sie stammt aus dem 14. Jh., und es wird behauptet, Jules Verne habe die Handlung
seines Romans „Ein Schloss in den Karpaten“ hierher verlegt. Unten im Tal sind noch die
Ruinen der Colţ-Kirche zu sehen. Sie stammt ebenfalls aus dem 14. Jh. Und wurde aus
unbehauenem Stein gefügt.
Nun geht’s zurück nach Clopotiva und hinein ins Tal des Râul Mare. Nach einer engen
Durchfahrt folgen ausgedehnte Wiesen und verstreute Holzhäuschen – so genannte sălaşe,
wo die Schnitter zur Zeit der Heumahd wohnen. Später verengt sich das Tal. Nach etwa 20
km gelangen wir zur Hütte Gura Zlata (775 m). Auch von hier kann man eine Retezat-Wanderung
beginnen, oder aber – mit Bewilligung von seiten der Akademie der SRR,
Kommission für Naturdenkmäler – die wissenschaftliche Reservation im Zlătuia-Tal
besichtigen, deren Mittelpunkt das Forschungslaboratorium beim Gemene-See ist.
Vorläufig ist hier Endstation für eine Reise rund um den Retezat, denn flussaufwärts von
Gura Zlata wird ein Staudamm gebaut. Noch ist dort Baustelle, aber wenn der Damm mal
steht und das Wasser des Râul Mare einen Stausee speist, der tief in sämtliche Täler
hineinreicht, wird man an Gura Apei vorbei ins Lăpuşnic-Tal fahren können bis Gura Bucurii.
Gäbe es einen Tunnel von Gura Bucurii bis Gura Buţii, käme man in Câmpul lui Neag heraus
– womit der Kreis geschlossen wäre.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 84 – 92)
Seite | Bildunterschrift |
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85 | Densuş – die Kirche, die so ganz anders ist als alle anderen. |
87 | Kartenskizze |
88 | Hoch über dem Tal des Râuşor thronte einst eine stolze Burg, die Burg Colţ der Grafen Cânde. Nun ist das alte Gemäuer von üppigem Grün fast überwuchert. |
89 | Die Ruinen des Amphitheaters von Sarmizegetusa aus der Vogelschau. |
91 | Bei Câmpul lui Neag am Fuße des Retezat. |
92 | Hart ist das Leben in den Bergen, rau die Natur. Von schweren Stürmen gebeugte Bäume trifft man immer wieder in höheren Regionen. So auch dieser Baum, der dennoch überlebte. |