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Mit der Trockenfliege auf Rotgetupfte

von Ferdinand Koch

Wieder hatte man uns für einige Tage in das Jagdhaus „Valea lui Ivan“ eingeladen, doch diesmal nicht, um auf das in den Wäldern der Umgebung reichlich vorhandene Hoch- und Niederwild zu pirschen, sondern um am Oberlauf der Dâmboviţa mit der künstlichen Fliege auf Salmoniden zu angeln, was nach Kennern der Materie „das letzte Abenteuer des 20. Jahrhunderts“ sein soll – für zünftige Sportfischer, versteht sich.

Dies mit dem „letzten Abenteuer“ sollte man – wie so manches andere, was das Angeln betrifft – nicht allzu genau nehmen, doch mit Recht wird in der Fachliteratur für Sportfischer, die 1653 von Izaak Walton mit „The complet angler“ begründet wurde, das Überlisten eines lachsartigen Fisches mit der Trocken- oder Nassfliege als die „Hohe Schule“ des Angelsports bezeichnet, nicht zuletzt auch deshalb, weil man, wenn überhaupt, erst nach langjähriger Übung alle Kniffe heraus hat, wie das mit viel Geduld um den Angelhaken gewundene Phantasiegebilde aus dem Flaum bunter Vogelfedern dem Fisch angeboten werden muss, um erfolgreich zu sein.
Und da die Salmoniden, vor allem die Bachforellen, hohe Ansprüche an die Wasserqualität, besonders an den Sauerstoffgehalt stellen und zur Bildung ertragreicher Bestände naturbelassene Bäche oder Flüsse mit reichlichem Uferbewuchs – zum Schutz vor zuviel Sonneneinstrahlung, aber auch als Nahrungsspender (Fliegen und Insekten, die von den Bäumen oder Sträuchern ins Wasser fallen) – brauchen, ist an den meisten Salmonidengewässern nur das Wattangeln praktizierbar, das in scharfströmenden Bächen oder Flüssen hohe physische und psychische Anforderungen an den Flugangler stellt, denn das behutsame Vortasten über glitschige Steine will ebenso gekonnt sein wie das zielsichere und saubere Werfen des Köders, während der plötzliche Anbiss eines Fisches perfektes Reaktionsvermögen erfordert.
Gewiss, kein Gewässer gleicht dem andern und in unserem Land gibt es viel bessere Salmonidenstrecken als der Oberlauf der Dâmboviţa aber nirgendwo ein landschaftlich reizvolleres Gebiet als das Tal zwischen dem souverän seine Umwelt beherrschenden Königstein und dem stark zergliederten Iezer-Gebirge.
Von dieser Herrlichkeit ist leider nicht viel zu sehen, als wir am frühen Morgen vom Jagdhaus aufbrechen. Über dem Tal liegt dichter Nebel, nur der in weiter Ferne wuchtig emporragende Păpuşa-Gipfel (2391 Meter) ist klar erkennbar, da ihn die ersten Strahlen der noch tief stehenden und daher für uns unsichtbaren Sonne leicht vergolden. Wir gehen kräftig ausholend durch das taunasse Gras nordwärts und erreichen bald einen schmalen und ausgefahrenen Karrenweg, der in den Wald furcht und sich in sanften Kurven durch das Holz schlängelt. Nach einer halben Stunde verlassen wir den Karrenweg und arbeiten uns mühsam einen Hang hinauf, durch lichtes Altholz mit viel Fels und einigem Windbruch drin. Unser Begleiter, der seit vielen Jahren Jagdaufseher in diesem Revier und folglich mit dem Gelände vertraut ist, bleibt plötzlich stehen und sagt, mit der Hand auf eine einsam stehende Fichte zeigend, „das ist ein Balzbaum“ – was in der Umgangssprache übersetzt nichts anderes bedeutet, als das zur Balzzeit der Auerhahn auf diesem Baum steht, was ihm freilich meist zum Verhängnis wird, denn während er mit einem rhythmischen telac-telac seine Balzarie einleitet, um eine gefiederte Dame seines Standes zu betören, steht bereits hinter einer Deckung der Waidmann mit der schussbereiten Waffe, nur noch darauf wartend, dass der liebestolle Sänger zum vierten Teil seines Liedes ansetzt, denn während des „Schleifens“ streckt der Hahn den Kopf nach oben, fächert die Stoßfedern, senkt die Schwingen und ist etwa drei Sekunden lang so gut wie taub – jetzt, und nur jetzt kann er vom Jäger „angesprungen“ und gestreckt werden. Dieses Drama vollzieht sich alljährlich in den Monaten April/Mai – jetzt, Ende Juli, steht der Balzbaum verlassen da, sich durch nichts von anderen Bäumen unterscheidend, nur die viele Losung auf dem Boden verrät, dass sich im Frühjahr Auergeflügel auf diese Fichte einschwingt.
Schweigend setzen wir unseren Weg fort, kreuzen eine warme Schwarzwildfährte mit reinen Trittsiegeln und erreichen bald einen kahlen Buckel, auf dem wir eine Rast einlegen. Im fahlen Morgenlicht können wir mit dem Fernglas ein Hirschrudel ausmachen, das, häufig verhoffend, im leichten Troll in eine Dickung einzieht. „Kirchgang“ nennt der Jäger das morgendliche Einziehen des Hirsches vom Feld zu Holz. Es war ein starkes Rudel, und mehrere Hirsche hatten prächtigen Aufsatz. Der Jagdaufseher versichert uns, dass es in diesem Revier viele goldverdächtige „Könige der Wälder“ gibt.
Da uns noch ein langer und beschwerlicher Weg bevorsteht, drängen wir zum Aufbruch, denn in den Morgenstunden steigen angeblich Forellen besonders gut, und dann wollen wir am Bach sein. Hangabwärts kommen wir recht flott voran, der Mischwald, durch den wir gehen, lockert immer mehr auf und frei wird allmählich der Blick tief ins Tal hinein, in dem das Tageslicht die letzten Nebelschwaden verdrängt. Noch ein paar Schritte, und vor uns liegt ein kleiner Kahlschlag, durch den ein vergraster, stellenweise mit niederem Fichtenanflug bereits wieder bestockter Weg führt, der von üppig wuchernden Himbeerstauden gesäumt wird und einst durch Holzabfuhr entstanden sein mag. Auf diesem Weg geht’s hinab ins Tal, und je näher wir dem Bach kommen, umso vorsichtiger setzen wir unsere Schritte, denn Forellen sind äußerst misstrauisch und daher leicht zu vergrämen. Aber ein Eichelhäher, der im nahen Randholz stand, hat uns eräugt, schimpft und streicht ab.
Jede Deckung nutzend, schieben wir uns sachte bis auf einige Meter ans Ufer vor, bauen leise das Angelgerät zusammen, und mit einem Doppelzug-Wurf wird eine „Hechelfliege“ auf große Distanz sachte hinter einen in der Strömung liegenden Felsbrocken gesetzt. Nun heißt es, die künstliche Fliege scharf beobachten und sich in Geduld üben. In der Ferne erklingt der Jagdruf des Falken, hinter uns im Holz lärmen die Vögel, nur am Liegepunkt des Köders tut sich nichts, der ersehnte Ring auf dem Wasser, das sichere Zeichen für den Anbiss eines Fisches, lässt auf sich warten. Also Hechelfliege wieder einholen, Rute anheben, Schussschnur nach unten ziehen, Rute rückwärts schwingen und dabei die linke Hand mit der Schussschnur nach oben führen, Rute zügig vorwärts schwingen und zugleich die Schussschnur freigeben – wieder geht ein Doppelzugwurf hinaus, diesmal in eine andere Richtung. Bei dieser Wurftechnik, die leichter zu beschreiben als auszuführen ist, werden nahezu alle Muskeln beansprucht, und nach einem Angeltag weiß man bestimmt, was man getan hat.
Da auch der dritte und vierte Wurf keinen Erfolg zeitigen, wird zunächst die künstliche Fliege ausgetauscht, dann der Standort gewechselt. Nach dem zehnten Wurf gerät die Zuversicht, heute mit einer Forelle heimzukehren, bereits stark ins Wanken, dennoch geben wir nicht auf und beschließen, uns auf das Wattangeln umzustellen, denn flussaufwärts, dort, wo der Wald bis hart ans Wasser reicht, könnten die Rotgetupften unter den überhängenden Bäumen stehen und auf Anflugnahrung lauern.
Fische bekommen wir auch hier keine zu sehen, doch das entmutigt uns nicht im geringsten, denn Angler sind gewohnt, die bei diesem Sport nun einmal unausbleiblichen Enttäuschungen mit stoischer Gelassenheit hinzunehmen und schließlich sind wir ja nicht allein der Beute wegen hergekommen (Fische kann man schließlich preiswerter im Laden erstehen!), sondern um unserer stillen Leidenschaft nachzugehen und uns inmitten einer (noch) bewahrten Natur zu entspannen. Und da wir nach der pausenlosen Bewegung in der würzigen Luft einen wahren Heißhunger haben, werden die Angelruten beiseite gelegt, der Proviant ausgepackt, kräftig zugelangt und dabei der Einsatzplan für den Spätnachmittag besprochen, denn nach dem Essen wollen wir uns in den Schatten legen und mal richtig ausschlafen.
Als wir aufwachen, steht die Sonne bereits tief im Westen, doch was uns zur Eile antreibt, ist nicht so sehr die Besorgnis wegen der bald hereinbrechenden Dunkelheit, als vielmehr die sich von Norden her drohend heranschiebenden regenschwangeren Wolken. Eilig scheinen es auch die Vögel zu haben, die aufgeregt von Baum zu Baum flattern, ebenso die vielen Insekten, die mehr oder minder laut summend umherschwirren oder über dem Wasser tanzen und dabei die Fische zum Steigen bewegen. Die kleineren Forellen poltern beim Sprung nach Anflugnahrung förmlich aus dem Wasser, was weithin vernehmbar ist, die besseren Exemplare sind vorsichtiger und begnügen sich mit einem leisen „Nippen“, was sich durch unauffällig auf dem Wasser zerfließende Ringe kundtut. Um deren Standort auszumachen, greifen wir zum Fernglas, da das richtige Ansprechen eines Fisches eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des Fluganglers ist, doch muss man sich Zeit lassen, denn die Forelle steht bevorzugt in Grundnähe und schießt nur dann wie eine Rakete zur Wasseroberfläche empor, wenn etwas für sie Genießbares von der Strömung angetrieben wird. Den besten Standort haben wir neben der bemoosten Felsnase ausgemacht, die weit in den Bach hineinragt und dicht hinter dem alten Wehr liegt, das man noch zu der Zeit errichtet hat, als hier Holz geflößt wurde. Während wir noch überlegen, wie diese schwierige Angelstelle am besten anzugehen ist, tritt aus der Dickung auf dem gegenüberliegenden Hügel vertraut ein prächtiger Bock mit starken Sechserstangen zwischen den Lauschern auf die Lichtung, nascht von den zartgrünen Blättern am Waldrand, wirft gelegentlich auf und äugt zu uns herüber, lässt sich aber beim Äsen nicht weiter stören, zieht jedoch langsam einer Fichtenschonung zu.
Wir erheben uns, überschauen noch einmal die traumschöne Landschaft, deren Farbenpracht erst im matten Licht der Abendsonne so richtig zur Geltung kommt, ergreifen das Angelgerät, gehen zum Bach und versuchen schon beim ersten Wurf die „Maifliege“ genau dort auf das Wasser zu setzen, wo kurz vorher ein Fisch gestiegen war. Der Anbiss erfolgt so vehement, dass ich beinahe den Anschlag verpatze, und als daraufhin die Forelle einen etwa meterhohen Luftsprung macht, um den lästigen Haken abzuschütteln, vergesse ich zunächst vor lauter Staunen, die Schnur stramm zu ziehen, um die Rotgetupfte, die durch schnelle Fluchten zu entkommen sucht, fachgerecht zu drillen. Sie wiegt zwar nur knapp ein Kilogramm, doch nachdem sie waidgerecht getötet und in der Angeltasche verstaut ist, wische ich mir zuerst einmal den Schweiß von der Stirn, bevor ich meinen Kunstköder erneut auswerfe.
Die Fische beißen nicht gerade wie toll, doch als wir bei anbrechender Dunkelheit unsere Sachen zusammenpacken, hat jeder von uns die zulässigen zehn Salmoniden in der Tragtasche und obschon keine mehr als eineinhalb Kilogramm auf die Waage bringt, sind wir mit dem Ergebnis dieses Angeltags zufrieden, denn es war guter Sport an einem herrlichen Gewässer, und jeden Fisch, den wir heimtragen, haben wir ehrlich verdient.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 27 – 35)

Seite Bildunterschrift
 
28 Auch ohne Beute ist das Angeln hier ein Erlebnis.
29 Der Vladu-Bach vor seiner Einmündung in die Dâmboviţă.
31 Das Jagdhaus „Valea lui Ivan“. Im Hintergrund der Königstein.
32-l Mit viel Ausdauer und einem guten Teleobjektiv gelingt auch ein solches Foto.
32-r In den Forsten zwischen Königstein und Iezer-Gebirge gibt es viele Braunbären.
33 Auch mit der Spinnangel kommt man gelegentlich auf seine Rechnung.

(Anmerkung: Bevor man in einen Karpatenfluss seine Angel taucht sollte die Rechtslage geklärt werden, z. B. bei den Forstverwaltungen. Die Gewässer in Rumänien sind entweder im Besitz des Staates, von Fischereivereinen oder Privatpersonen. In jedem Fall ist eine entsprechende Angelgenehmigung bei den entsprechenden Eigentümern einzuholen. F. K.)

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