Eine Empfehlung für Wanderer, die das Einsame lieben
von Lia Gross
Als ich den ersten Ausflug in diese Berge machte, waren wir eine zahlreiche, heitere
Gesellschaft, die wohl Augen für das Schöne ringsum hatte, aber nicht viel auf den Weg
achtete. Wir vertrauten voll und ganz unserem Anführer, dem Mann mit dem sechsten Sinn,
der uns von der Hütte „Piscul Câinelui“ (rund 30 Minuten Aufstieg von Sinaia) direkt bergauf
führte, durch unwegsamen Wald zuerst, dann, jenseits der Baumgrenze, den Kamm entlang
über die Gipfel Baiu Mare und Baiu Mic und schließlich einen Bergfuß hinab, der in Zamora
herauskam.
Dieser Ausflug liegt schon viele Jahre zurück, aber ich erinnere mich immer wieder gerne
daran, nicht nur, wenn mir die damals geschossenen Fotos in die Finger kommen. Sooft ich
seither in den Bucegi weilte und jenseits des Prahova-Tals diese sanft gewellten,
grasbewachsenen mächtigen Hänge und Bergrücken sah, denen die letzten Sonnenstrahlen
das Aussehen von leicht verknitterten Samt verliehen, zog es mich hin. Dort, wo die
Landschaft großatmig ist, die Ausblicke einzigartig sind und die Pfade leicht, wo die Sonne
länger verweilt und die Einsamkeit so groß ist, dass man kaum einem Hirten begegnet und
nur selten anderen Touristen, dort lässt es sich gut wandern, dort kann man die Ruhe
genießen und die Natur in ihrer ganzen Ursprünglichkeit.
Wie sollte ich es anstellen, wieder hinzukommen? Ohne wegkundigen Anführer wäre es
wenn auch nicht unmöglich, so doch ein Risiko gewesen. Und meine Weggenossen waren
zwar wander-, aber nicht abenteuerlustig. Eines Tages war es dann doch soweit: Ein
Touristik-Zirkel, dessen Ausfahrten ich mich ab und zu anschloss, organisierte einen Ausflug
in die Baiu-Berge. Der Anmarsch erfolgte durch die Valea Rea, der Aufstieg wieder ohne
Weg und Steg, steile Hänge sozusagen in der „Diretissima“ hinauf. Ein Weg, der, da er nicht
durch Wald führt, ohne Orientierungsschwierigkeiten wiederholt werden könnte, was jedoch
seiner Steilheit wegen gar nicht verlockend ist. Einmal am Kamm, genossen wir erst mal
gründlich das 360-Grad-Panorama. Dann folgten wir dem Hirtenpfad, der am Kamm entlang
führt, nach Norden. Und plötzlich stießen wir auf eine Markierung. Das hatte ich in diesem so
wenig begangenen Massiv nicht erwartet! Sie ist relativ neu und deshalb auch nicht bekannt.
Pioniere und Schüler haben im Rahmen der Aktion „Sturm auf die Karpaten“ damit eine
Verbindung zwischen dem Prahova- und dem Doftana-Tal hergestellt (rotes Kreuz: Buşteni –
Cantonul Zamora – Doftana-Tal). Dieser Markierung folgten wir nun bergab und kamen beim
Forsthaus Zamora auf eine Straße, der wir bis Buşteni folgten. Nun hatte ich den Schlüssel
zu den Baiu-Bergen endlich gefunden! Und benützte ihn bald wieder.
Eine kleine Gruppe zogen wir eines regnerischen Tages den Zamora-Fuß bergauf und oben
nordwärts; wir knüpften sozusagen an den vorigen Ausflug an. Über Berg und Tal (genauer:
über Gipfel und Sättel), bei Regen und Sonnenschein gelangten wir ans Ende dieser Berge,
da, wo sie zum Azuga-Tal abfallen. Zu unseren Füßen lag tief unten Azuga wie ein
Städtchen aus der Spielzeugschachtel. Wo aber war der Weg dort hinab? Leider fanden wir
ihn trotz längerem Suchen nicht. Da es inzwischen ziemlich spät geworden war und
außerdem in der Ferne Donner grollte, hatten wir nicht mehr Zeit, viel zu überlegen. Wir
mussten runter – egal wo, egal wie! Na ja, es wurde dann auch ein dementsprechender
Abstieg: durch dick und dünn, durch Brennnessel-, Himbeer- und Brombeergestrüpp und
durch jungen dichten Wald; die Füße versanken in nasser Erde und dichtem Unkraut. Das
letzte Stück gingen wir in einem Bachbett, es spielte schon keine Rolle mehr. Als wir endlich
unten waren, sahen wir berückend aus: verbrannt, zerkratzt, schmutzig... Ein Glück, dass
das Azuga-Wasser in nächster Nähe vorbei floss. Bei untergehender Sonne wuschen wir
uns und unser Schuhzeug sauber, kühlten die arme geschundene Haut, zogen – sofern
vorhanden – reine Sachen an und brachten uns in einen mehr oder weniger zivilisierten
Zustand, da wir ja wieder unter Menschen mussten.
Im Jahr darauf ging ich wieder denselben Weg. Diesmal waren wir, da weder in Zeitnot noch
auf der Flucht vor Unwetter, fest entschlossen, so lange zu suchen, bis wir einen Pfad
finden, der uns hinunterführt. Und siehe da, noch ehe die Suche richtig losging, tat sich
sozusagen vor unserer Nase eine breite Allee durch den Wald auf. Ich musste lachen in
Erinnerung an die verzweifelte Suche seinerzeit, denn genau an dieser Stelle war ich auch
damals vorbeigegangen, hatte jedoch nur die Spur von einem Weg gesehen, der zu meiner
größten Verwunderung plötzlich aufhörte. Ich hatte nämlich in falscher Richtung gesucht, in
Fortsetzung der Spur, und nicht bemerkt, dass es links im Wald weiterging. Allerdings muss
ich als mildernden Umstand noch hinzufügen, dass damals Sommer war, alle Bäume
belaubt, der Eingang in den Wald von einem dichten Blättervorhang verdeckt. Nun war es
Frühjahr und der Weg lag offen vor uns, zwischen kahlen Bäumen gut sichtbar, breit und
einladend.
Dieser Pfad brachte uns schnell und problemlos ins Tal, aber nicht ins Azuga-, sondern,
parallel zu diesem verlaufend, ins Prahova-Tal, auf die Nationalstraße, genau bei der
Einfahrt ins Städtchen, knappe 15 Minuten vom Bahnhof Azuga entfernt.
Ich bin nun schon etliche Male in diesen schönen Bergen gewesen, zu allen Jahreszeiten,
sogar im Winter, als uns oben dichter Nebel empfing und ein scharfer Wind versuchte, uns
vom Kamm zu blasen. Bei gutem Wetter kann man hier wunderschöne Skiwanderungen
unternehmen. Die sanften Hänge locken, ihnen weiter und weiter zu folgen.
Noch kann ich nicht behaupten, die Berge zwischen Prahova, Doftana und Azuga wie die
sprichwörtliche Westentasche zu kennen, aber immerhin kenne ich sie gut genug, um sie
auch anderen Wanderfreudigen wärmstens zu empfehlen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 73 – 76)
Seite | Bildunterschrift |
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73 | Die Baiu-Berge vom Morar-Kamm aus gesehen. Buckel reiht sich an Buckel, dazwischen dunkle Täler. |
75 | Hotel Alpin (Cota 1400) in den Bucegi und dahinter, jenseits des Prahova-Tals, ein Teil der Baiu-Berge. |
76 | Wer durch diese schöne Bergwelt wandert, wird angenehm überrascht sein: verhältnismäßig leichte Wanderwege, und überall schöne Aussicht. |