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Hirtenfest in Polovragi

von Albert Schuster

Es war in den Bergen südlich des Lotru-Baches. Sommer für Sommer verbrachte ich dort erlebnisreiche Wochen bei Hirten, Bergbauern und Holzfällern, und manches damit verbundene Ereignis lebt in meiner Erinnerung weiter, aber keines so wie die Nedeia, das Hirtenfest.
Ich weilte schon einige Tage im Gebirge, hauste im Zelt oder in den Sennhütten und stieg gelegentlich in ein Dorf ab, um mich mit Lebensmitteln zu versorgen. So gelangte ich an einem Julitag nach Polovragi, ein durch sein Kloster und seinen Jahrmarkt berühmt gewordenes Dorf am Fuße des Căpăţâna-Gebirges, dort, wo der Olteţ-Bach aus einer zwei Kilometer langen und 400 Meter tiefen Klamm heraustritt und sein Wasser ins Hügelland ergießt. Außer den üblichen Einkäufen beabsichtigte ich, auf dem Jahrmarkt, der an diesem Abend begann, meine Sammlung um einige schöne Stücke oltenischer Töpferkunst und Holzschnitzerei zu bereichern.
Es war abends, ich bummelte zwischen am Boden ausgebreiteten Waren und schwach beleuchteten Buden und sah den Bauern zu, wie sie um einen Kochkessel, Hut oder einen Käsebottich feilschten. Schließlich erstand ich einen Tonkrug, ein Paar geschnitzte Holzlöffel und bewunderte noch so manches Stück und legte die schön verzierten Teller und Tassen schweren Herzens wieder auf ihren Platz zurück.
Der Geruch gebratener Würstchen und der Krach eines in ein Bierfass geschlagenen Pfropfens lenkten meine Schritte an den Wiesenrand, wo sich die Männer am kühlen Trunk labten. In all dem Trubel traf ich einen bekannten Hirten, der mich für den anderen Tag zu einer Nedeia in die Berge einlud.
Nedeia – ein fremd klingendes Wort. Für viele bedeutet es einen Berg im Lotru- oder Căpăţâna-Gebirge, vielleicht auch in den Ostkarpaten, weil mehrere Berge heute diesen Namen führen. In Wirklichkeit aber ist die Nedeia ein Volksfest, das von Hirten und Bergbauern seit vielen Jahrhunderten am 15. Juli oder 8. August abgehalten wird; aber nur in den Karpaten – in der Nähe eines höheren Gipfels oder an den Kreuzungen viel begangener Hirtenwege.
Am nächsten Tag fuhr ich auf einem Lastwagen das Tărâia-Tal hinauf. Vom Ende der Forststraße waren es noch drei Stunden Fußmarsch bis zum Plateau unter der Nedeia- Spitze. Von weitem schon sah ich die vielen Menschen. Pferde standen abseits angekoppelt. Von mehreren Seiten kamen schwer bepackte Pferde und Esel, von Hirten geführt, den Berg herauf. Einige Jungen trugen aus dem nahen Wald getrocknete Fichtenstämme und Reisig heran. Unter den Lasten, die von den Packtieren abgeladen wurden, befanden sich reichlich Speisen und Getränke. In der Mitte des Plateaus war eine Pyramide aus Fichten aufgerichtet. Ein Stück weiter, an einer windgeschützten Stelle, entfachte man ein Feuer, neben dem mehrere geschlachtete Hammel präpariert wurden, um sie am Spieß zu braten.
Bald prasselte die Fichtenpyramide, und schon wetteiferten die ungeduldigsten Tänzer mit den Feuerzungen. Sie tanzten mit solchem Eifer, dass ihnen die nassen Haarsträhnen an der Stirne klebten. Fast alle waren in den traditionellen Volkstrachten gekleidet. Die Burschen trugen einen kleinen runden Hut oder eine Fellmütze, über dem weißen Hemd einen Brustpelz oder einen Wollwams. Die Blusen der Mädchen waren mit schönen Mustern bestickt. Schwarz die Stickereien der Siebenbürgerinnen, rot und blau jene der Oltenerinnen.
Nea Nechit, einer der ältesten Hirten, führte am improvisierten Schanktisch das Wort. Er verkündete laut, dass er keinem einzigen, der auch nur angesäuselt sei, etwas zum Trinken geben werde. Die Jugend solle tanzen und lustig sein... Ab und zu, wenn er nicht gerade Bier und Schnaps ausschenkte oder zwischen zwei erhitzte Streithähne trat, brachte er mir ein Stück Hammelfleisch oder Käse. Auf einer Bierkiste sitzend, erzählte er dann aus seiner Jugend und was für ein Kerl er einmal gewesen sei. Früher, sagte er, war die Nedeia eine Art Mädchenmarkt, zu dem die Eltern mit ihren kaum reif gewordenen Töchtern kamen, um den Schwiegersohn auszusuchen. Nach der Wahl besprachen beide Elternpaare den „Preis“, das heißt, was jeder in die neu zu gründende Wirtschaft mitzugeben hat, wobei Größe des Gehöfts und die Anzahl der Schafe eine wichtige Rolle spielten. Im Herbst wurden dann die Hochzeiten gefeiert. Oft geschah es, dass der junge Mann gleich nach der Hochzeit mit den Schafen in die Donauniederungen zog, um dort mit den Schafen zu überwintern, und erst im Frühjahr wieder heimkehrte. Jetzt sei das alles anders, viel einfacher und leichter. Bahn und Auto machen es möglich, dass auch die Hirten leichter leben, obwohl der Käse auch heutzutage auf dem Eselsrücken zu Tal geführt wird. Noch lange saß ich mit Nea Nechit zusammen, und je höher der Mond stieg, desto tiefsinniger wurden seine „philosophischen“ Betrachtungen.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als ich am anderen Morgen aus dem Zelt kroch. Einige Jungen und Mädchen schliefen noch, in Schafpelze gehüllt, in der Nähe der Hütte. In der Stâna begannen die Frauen mit dem Käsemachen. Auf dem Plateau verstreut grasten die Schafe – das Hüten hatte man den Hunden überlassen...

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 70 – 72)

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72 Auf dem Plateau verstreut grasen die Schafe, das Hüten hat man den Hunden überlassen.
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