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Auf Hirtenpfaden zum Lala-See

Ein Ausflug in das Rodna-Naturschutzgebiet

von Walter Kargel

Das Rodna-Gebirge liegt im Süden der nördlichen Gruppe der Ostkarpaten. Das Gebiet hat einen Umfang von 180 km und bedeckt 1300 km². Die tief eingeschnittenen Täler der Flüsse Vişău und Goldene Bistritz mit dem Prislop-Pass (1413 m) im Norden bilden eine Abgrenzung gegen das Maramureş-Gebirge; der Şetref-Pass (817 m) und das Sălăuţa-Tal trennen das Rodna-Gebirge vom westlich gelegenen Ţibleş-Gebirge; im Süden bildet des Someşul-Mare-Tal die Grenze gegen das niedere Bârgău-Gebirge; im Osten wird der Rodna-Hauptkamm durch den „zahmeren“ Suhard-Kamm bis Vatra Dornei fortgesetzt; ein weiter Sattel mit dem Rotunda-Pass (1284 m) trennt Rodna und Suhard. Über die genannten drei Pässe führen uralte Gebirgsstraßen und Pfade als Verbindungswege zwischen den drei angrenzenden Gebieten: die Moldau im Osten, das Nassoder Land im Süden und die Maramureş im Norden.

Per Eisenbahn und Auto

Im Norden führt die Nationalstraße DN 18, größtenteils asphaltiert, von Vatra Dornei über Iacobeni, Cârlibaba, den Prislop-Pass, Borşa und Moisei ins Maramureş-Land. Ab Borşa wird die Straße von einer Eisenbahnlinie begleitet. Im Westen stellt die Nationalstraße DN 17 C Salva – Romuli – Dealul Stefăniţei – Moisei und die Eisenbahnlinie Salva – Vişeu die Verbindung zwischen dem Bistritzer Gebiet und der Maramureş über den Şetref-Pass her. Im Süden führt eine Asphaltstraße und eine Eisenbahnlinie das Someşul-Mare-Tal von Salva über Nassod, Ilva Mică, Sângeorz Băi, Maieru-Anieş bis Rodna (Bahnhof Rodna Veche) empor. Die Asphaltstraße wird durch eine holprige Gebirgsstraße fortgesetzt, die ab Rodna über Şanţ, Valea Mare und den Rotunda-Pass die Verbindung zur DN 18 bei Rotunda herstellt. Der Straßenabschnitt Rodna – Rotunda ist jedoch eher für Sportfahrer geeignet.

Großzügigstes Wanderunternehmen

Die 68 km lange Rodna-Hauptkammüberschreitung vom Şetref-Pass zum Rotunda-Pass ist eine der großzügigsten Wanderunternehmungen der ganzen Karpaten. Das Rodna-Gebirge wird in drei Abschnitte unterteilt: Bătrâna im Westen, Pietrosul Rodnei mit dem gleichnamigen Gipfel, dem höchsten des Massivs (2303 m, höchste Erhebung der Ostkarpaten) in der Mitte und Kuhhorn (Inăul, 2280 m) im Osten.
Das Gebiet um den Pietrosul Rodnei sowie das Gebiet im Norden des Kuhhorns mit den beiden Tälern Bâla und Lala sind Naturschutzgebiete. Das Bâla-Lala-Naturschutzgebiet birgt den größten der Rodnaseen: Lala Mare (5637 qm). Der See liegt 1815 m hoch auf der zweiten Terrasse des Lala-Tales. Eine Stufe höher liegt sein kleinerer Bruder Lala Mică 1920 m hoch. Das Wasser der Lala-Quellen, das die beiden Seen speist, durchfließt das 10 km lange Lala-Tal und mündet in die Goldene Bistritz oberhalb von Cârlibaba.
Parallel dazu verläuft das gleichfalls 10 km lange Bâla-Tal. Beide Täler sind besonders für ihre Latschenbestände, von einzelnen Zirbelkiefern begleitet, geschätzt. Begrenzt werden die beiden Täler durch Gebirgskämme, die vom Kuhhorn-Massiv abzweigen: Tomnatecul, zwischen Putreda- und Bâla-Tal, Piciorul Pleşcuţii zwischen Bâla- und Lala-Tal, Prelucile Gagii zwischen Lala-Tal und den rechten Quelltälern des Someşul Mare.
Gebirgspfade führen über die drei Kämme sowie durch das Lala-Tal zum Kuhhorn, so der Hirtenpfad von Bârjaba im Tal der Goldenen Bistritz zum Tomnatec-Gipfel (2051 m) am Hauptkamm, der Hirtenpfad von Gura Lalei über Munceluţu (1728 m) und Piciorul Pleşcuţei ins obere Lala-Tal (beide nicht markiert) und schließlich der Weg vom Rotunda-Pass über Prelucile Gagii und das Kleine Kuhhorn (Inăuţ) zum Großen Kuhhorn (Markierung: rotes Band, Abschnitt der Hauptkammwanderung, zum Teil mit Geländewagen befahrbar). Eine Variante zweigt von diesem Weg zum Lala-See ab (Markierung: roter Punkt), um über den Kleinen Lala-See wieder den Hauptkamm im Sattel zwischen Kleinem und Großem Kuhhorn (Şaua Inăuţului 2050 m) zu erreichen.

Über Großes und Kleines Kuhhorn

Durch das Bâla-Tal und zu den beiden kleinen Karseen, die unter dem Kuhhorn-Gipfel eingebettet lagern, führt laut Touristenkarte kein Pfad. Dafür führt durch das Lala-Tal ein mit blauem Punkt bezeichneter Pfad von Gura Lalei (1015 m) zu den beiden Lala-Seen und dem Inăuţ-Sattel. Im oberen Abschnitt des Weges laufen die beiden Markierungen roter und blauer Punkt gemeinsam.
Vom Kuhhorn-Gipfel kann man bei gutem Wetter die Hauptkammwanderung zum Şetref- Pass (Markierung: rotes Band, Zeitaufwand: drei Tage) fortsetzen oder auch weiter dem blauen Punkt folgend über den Beneşul-Kamm nach Rodna im Someşul-Mare-Tal absteigen (4 Stunden).
Ein weiterer Abstiegsweg führt vom Kleinen Kuhhorn über den letzten hohen, felsigen Rodna-Gipfel im Osten, Vârful Roşu (2115 m) und weiter südwärts nach Şanţ (Rodna Nouă) im Someşul-Mare-Tal (nicht markiert). Vom Rotunda-Pass führt ein Weg über den Suhard- Kamm in südöstliche Richtung nach Vatra Dornei. Ein Wegweiser am Rotunda-Pass gibt 3 ½ Stunden bis zum Omul-Gipfel (1932 m) und vier Stunden bis zur Schutzhütte Suhard an.

Erlebnisse am Lala

Unser rot-blaues Zelt steht im Gras unweit der Reste eines Weltkrieg-Stahlbetonbunkers. Über eine abenteuerliche Fahrstraße, eine schmale Allee durch dichten Nadelwald, erreichten wir von Cârlibaba aus ansteigend die Passhöhe. Den ganzen Nachmittag hatten wir abwechselnd heftige Regenschauer und Sonne. Jetzt blinken die Sterne und vom Feuer stieben die Funken. Morgen soll es losgehen: Rodna-Hauptkamm in Ost-West-Richtung.
Am Feuer werden Erinnerungen wach. Wir kamen damals vom Şetref-Pass (817 m) im Westen. Sonne. Die Mäher am „Cosălău“ (Bergwiese). Die Sennhütte mit dem Dutzend abgestellter Kuhschellen. Der Schafpfad mit den Bärenspuren. Die verlassenen Almen (es war September). Das heranziehende Gewitter. Die Flucht vom Kamm hinab zur Schafhütte. Die Gewitternacht. Der kristallklare Morgen. Der Nebel, der uns den Abstecher zum Pietrosul Rodnei vereitelte. Der lange, saubere, Trittspuren aufweisende Kammweg im Sonnenschein: Buhăescu, Puzdrele, Galaţi-Sattel, Gărgălău-Sattel. Die Seen im Buhăescu-Kar. Der abgebrannte Latschenwald, dessen gebleichte Äste das seltsame Bild eines Elefantenfriedhofes wachriefen. Der Abstieg zu den „Casele Gărgălăului“, wo wir statt einer gastfreundlichen Hütte einen verlassenen Kuhstall vorfanden. Der eisige Wind am Abend, der winterlich kalte, sonnige Morgen, die mit Eiszapfen verzierte Quelle. Das Herumtasten im dichten Nebel bei ungenauer Markierung rings um den felsigen Kuhhorn-Gipfel. Die beiden Karseen Lala Mică und Lala Mare. Der Abstieg über den Ausläufer Prelucile Gagii zum rotunda-Pass – ein entspannender Abschluss nach dem in drei Wandertagen zurückgelegten Kammweg. Auf den Prelucile Gagii herrschte damals großer Betrieb: Latschensprösslinge wurden geerntet. Ein tief eingegrabener Treckerweg durchschnitt in mehreren Varianten die Bergwiesen, ein großes Arbeitshaus stand eine Wegstunde vom Lala-See entfernt. Als wir in den Abendstunden den Rotunda-Pass erreichten, stand da eine gelbe Tafel: „Bâla-Lala- Naturschutzgebiet, 1000 ha, Gemeinde Cârlibaba, Kreis Suceava. Weiden, Feuer, Ausbeuten und Jagd verboten!“ Der Text auf der gelben Tafel ist heute nicht mehr zu entziffern, doch ein Kuhhirt, der hoch zu Ross vorbeizieht, erzählt uns, dass das Arbeitshaus abgebrannt ist und das Latschenernten nicht mehr praktiziert wird. Nur der Treckerweg zieht wie eine tiefe Narbe über den Berg.

Auf Sonne folgt viel Regen

Am Morgen beginnt der Aufstieg. Der vom vielen Regen aufgeweichte Weg quert eine Kuhalm und einen weiten, morastigen Sattel – Şaue Prelucii. Unten auf den sonnigen Hängen eine Schafherde. Weiter oben weiden junge Pferde, ihre eleganten Profile heben sich gegen den blauen Himmel ab. Der breite, gut ausgebaute Weg steigt gemächlich an. Die Stelle, wo vor einigen Jahren das Haus stand, ist kaum noch auszumachen. Um die vor uns aufragenden Gipfel Vârful Roşu, Kleines und Großes Kuhhorn ziehen Wolken. Der Treckerweg weicht vom Prelucile-Gagii-Kamm nach links ab. Eine Markierungsstange weist uns den Kammweg durch Latschen. Bald darauf, in einem Sattel, gabelt sich der Weg: geradeaus empor der Kammweg (rotes Band) direkt zum Kleinen und Großen Kuhhorn; rechts absteigend, hinab ins Lala-Tal. Diesen wählen wir. Der Weg schlängelt zwischen Latschen und Zirbelkiefern, blühenden Alpenrosen. Wir stoßen auf den Talweg (blauer Punkt) und erreichen den Großen Lala-See, dessen charakteristischer fünfeckiger Wasserspiegel zwischen Latschen eingebettet liegt. Die dem Weg zugekehrte Seite ist frei von Latschen, ein morastiger Grund mit lustig im Wind fächelndem Wollgras. Nach einer kurzen Rast setzen wir unseren Weg fort, ein Abstieg über die 100 m hohe Steilstufe, die das untere vom oberen Kar trennt. Schon ist der Kleine-Lala-See in Sicht, als plötzlich Regen einsetzt. Wir verkriechen uns unter dem Biwaksack und warten ab. Es wird spät, uns bleibt nichts anderes übrig, als in einer kurzen Regenpause das Zelt aufzustellen. Am Seeufer stehen weitere zwei Zelte, es sind Prager, sie haben ein Feuer aus Latschen angezündet und zaubern aus einer Pfanne immer neue Teigklöße. An ihrem Feuer kochen wir auch unser Teewasser.
Als es Morgen immer noch regnet, beschließen wir abzusteigen. Der Berg steckt tief in den Wolken, und dieser Regen begleitet uns fast bis zum Rotunda-Pass (1284 m).

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 80, S. 276 – 281)

Seite Bildunterschrift
 
277 Kartenskizze
278 Kartenskizze
281 Wenig besucht: die Seen im östlichen Teil der Fogarascher. Im Hintergrund der Muşetescu-Kamm.
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