Narzissenwiesen bedürfen der Schonung
von Constantin Drăgulescu
Homer, Virgil, Ovid besangen sie, wie sie edelsteingleich aus Maiwiesen leuchten; die
Menschen begrüßten sie als Frühlingsboten, Sagen spannen sich um sie. Die schönste ist
die vom altgriechischen jungen Jäger Narkissos, dem sie ihren Namen verdankt. Eines
Tages erblickte er sein Spiegelbild im dunklen Rund eines Quellbrunnens, verharrte gebannt
davor und konnte sich von ihm nicht mehr trennen, bis er ein tiefes, kühles Grab im Brunnen
fand. Damit aber soviel Schönheit nicht verloren gehe, entsprossen seinem Körper viele
leuchtend weiße Blumen auf schlankem, dunkelgrünem Stiel.
Die Wissenschaft allerdings weiß zu berichten, dass sich die Narzisse zu Beginn des
Quartärs aus einer uralten Primärform entwickelte, die im westlichen Mittelmeerraum
heimisch wurde und sich dort neuen Klima- und Reliefbedingungen anpasste. Mit der Zeit
verbreiteten sich die Narzissen aus ihrem Ursprungsgebiet über ganz Südeuropa. Ihr
Vorrücken nach dem Osten des Kontinents aber bewirkte gewisse morphologische
Veränderungen, die auf geänderte ökologische Bedingungen zurückzuführen waren. Das
hatte schließlich die Herausbildung von vier geographischen Arten zur Folge. In Spanien,
Frankreich und Norditalien begegnet man auch heute noch der typischen ursprünglichen
Form, „Narcissus poeticus“. Im Norden Griechenlands, in Albanien, Jugoslawien verbreitete
sich Narcissus radiiflorus, seiner schmalen Blütenblätter wegen auch „angustifolius“ genannt.
In Rumänien, im Osten der Sowjetunion, in Ungarn, Österreich, Nordjugoslawien, in der
Schweiz und im Süden der Bundesrepublik Deutschland fand „Narcissus stellaris“ weite
Verbreitung, die „Stern- oder Studentenblume“, die sich kühlerer Witterung angepasst hat.
Unser Land besitzt eine der dichtesten Narzissenbevölkerungen: 130 Wiesen, über 950
Hektar, nehmen diese Blumen bei uns in wildwachsender Form ein. Die Narzissenwiese von
Dumbrava Vadului im Kreis Braşov belegt mit ihren annähernd 300 Hektar den ersten Platz
in Europa. In Hârşova (Kreis Vaslui) liegt die „Ostgrenze“ des Wachstums dieser Art. Im
Ţarcu-Gebirge klettern die zarten Blumen bis in eine Höhe von 2000 m, was sonst nur noch
in den Alpen der fall ist.
Infolge der verschiedenen Orte, an denen Narzissen wachsen, ist ihr Aussehen sehr
verschieden. Zarten Pflanzen von kaum 25 Zentimeter Höhe, 3 – 4 Millimeter breiten Blättern
und mit Blüten von nur 40 Millimeter Durchmesser begegnet man ebenso wie starken
Exemplaren, 60 Zentimeter lang, mit 6 – 8 Millimeter breitem Blatt und Blüten, deren
Durchmesser 70 – 80 Millimeter beträgt. Ihre Dichte variiert von einigen hundert Exemplaren
je Hektar bis zu 200 Pflanzen auf dem Quadratmeter. Kraft wie Dichte der Pflanzen haben
vielerorts stark abgenommen, und schuld daran ist der Mensch. Auch für den Rückgang der
Verbreitungsflächen. Jährlich fallen bei uns etwa 10 Hektar Narzissenwiesen
Trockenlegungs- und Rodungsarbeiten, der Urbarmachung neuen Geländes zum Opfer. In
Siebenbürgen werden im Jahr Millionen solcher Blumen gepflückt (zur Veranschaulichung
dessen schlage man im „Komm mit“ 1970, S. 34 nach!). Aus diesen Gründen sind in den
letzten Jahren die Narzissenwiesen von Sibiu, Orăştie, Schulerau, Hălchiu, Sâncrai und
Tăuţi-Măgheruş fast verschwunden. Denen von Schässburg, Schönberg, Turţ, Homoroade
droht ein ähnliches Schicksal. Ungünstig wirken sich auch die „Narzissenfeste“ aus, die
alljährlich in Ocland, Vlăhiţa, Gurgiu, Negrileasa und Zerveşti abgehalten werden. Sie bieten
ein Beispiel der Umweltverunreinigung, unter der in diesem Fall die Landschaft zu leiden hat.
Allein in Zerveşti beteiligten sich 1977 über 30.000 Personen an diesem Fest. Kein Wunder,
dass die Wiese binnen zehn Jahren von 1400 Hektar auf 40 schrumpfte. Ähnliches ereignete
sich in Dumbrava Vadului, da die Zehntausenden von Touristen, die sie in jedem Jahr
besuchten, den Boden buchstäblich feststampften.
Aus diesen Gründen hat die Kommission für Naturschutz Touristen den Zugang zu dieser
Stelle untersagt, bis sich die Narzissenbevölkerung der Wiese regeneriert haben wird.
Strenge Schutzmaßnahmen sind auch für die Wiesen in Hârşova (Kreis Vaslui) und Negreşti
(Kreis Argeş) notwendig, wo die Ost- und Südgrenze der Narzissen Europas verläuft.
Schutzbedürftig sind ferner die Wiesen auf dem Capul-Groşi-Berg und in Căpâlniţa, wo
Narzissen eine Fläche von mehr als 100 Hektar bedecken. Pflicht der zuständigen Organe
ist es, für solche Maßnahmen zu sorgen.
Wir aber sollten, wenn wir Narzissen begegnen, nicht gleich die Hand ausstrecken, um sie
zu pflücken. Eine wahre Augenweide sind sie gerade in ihrem natürlichen Rahmen, darum
sollte der Wanderer mit leeren Händen, aber zufrieden in dem Gedanken weiterziehen, dass
auch im nächsten Mai am Fuße der Karpaten, in Waldlichtungen die Boten des Frühlings ihn
begrüßen werden.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 79, S. 194 – 196)
Seite | Bildunterschrift |
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196-l | Zarte Blume, aus dem Blute des Narziss entsprossen. |
196-r | In feuchten Wiesen oft ein Begleiter der Narzisse: die Sibirische Schwertlilie. |