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Höhlen der Superlative

Exkursionen mit den Amateurspeläologen von Cluj-Napoca

von Konrad Klein

Speläologen, insbesondere jene von der Amateursorte, sind eigenartige Menschen. Wenn sie nicht gerade irgendwo „unter Tage“ sind, kann man sie bepackt mit Seilen, Kabelleitern und Karbidlampen durch malerische Landschaften eilen sehen, todsicher auf der Suche nach einer Bergöffnung.
Es ist wahrlich nicht jedermanns Sache, sich abzuseilen in schwarze Schlünde, um dann, beim spärlichen Licht der Karbidlampe, noch stundenlang einem Höhlenfluss nachzusteigen oder – was viel schlimmer – schlammverschmierte Gesteinsschläuche zu durchrobben und Lehmrutsche zu passieren. Josef („Pepi“) Viehmann, Forscher am Institut für Höhlenkunde von Cluj-Napoca, treibt das nun seit gut 20 Jahren so. Und er weiß, dass es wahrlich nicht immer eitel Tropfstein ist, was einen dort unten erwartet.
Heute ist Viehmann auch wissenschaftlicher Berater des studentischen Amateurspeläologiekreises „Emil Racoviţă“. Ich begleite ihn oftmals auf seinen Erkundungen.
Die erste Exkursion ging in das wissenschaftliche Reservat der Scărişoara-Eishöhle, der größten dieser Art in Rumänien. Viehmann ist in vielen Höhlen „zu Haus“, doch hier kennt er buchstäblich jedes Steinchen. Viermal jährlich begibt er sich vor Ort, um anhand speziell markierter Höhlenperlen Aufschluss über deren Wachstum sowie auch über das der Eisgebilde zu erhalten. Aufgrund einer Pollenanalyse ist es auch gelungen, das ungefähre Alter des Höhleneises festzustellen: 3700 Jahre.
Eine andere Höhle, deren Erforschung an Viehmanns Namen gebunden ist, befindet sich unfern der Scărişoara-Höhle: die Pojarul-Poliţei-Höhle. Von ihr heißt es fast einstimmig, sie sei die schönste im Land, weswegen sie auch nur für Forschungszwecke geöffnet ist.
Auf kleinstem Raum – sie misst nur 620 Meter Ganglänge – haben sich hier Mondmilchkaskaden, fragile Kalzitexcentriques (Seltene Tropfsteinformen, die entgegen der Schwerkraft zu wachsen scheinen.) und traubenbeerartige Klusteriten, womit die Höhlenwände reich besetzt sind, gebildet.
Weniger Reize fürs Auge bietet die Vântului-(Wind-)Höhle bei Şuncuiuş/Vadu Crişului, an deren Erforschung die Klausenburger Speläologen nunmehr 22 Jahre arbeiten. Bislang wurden hier über 22 Kilometer Ganglänge erkundet; eine Zahl, die sie 1967 zur landesgrößten Höhle (vor der Topolniţa-Höhle) aufrücken ließ. Bemerkenswert in der Windhöhle sind u. a. mehrere Anthoditen (Gipskristalle), die hier in den wunderlichsten Formen an den Wänden sitzen.
Ebenfalls schöne Gipsausblühungen befinden sich in der Tăuşoare-Höhle im Rodnagebirge. Es hat mehrerer Höhlenlager, darunter eines internationalen, bedurft, um dieses beeindruckende Vertikalsystem zu befahren. Heute ist die Tăuşoare-Höhle mit ihrem 425 Meter Höhenunterschied die tiefste in Rumänien. Zudem wurde sie auch berühmt für das Auftreten von Mirabilit, eines Minerals, das bislang nur in einer Höhle Amerikas gefunden wurde.
Leider bestehen schwache Hoffnungen, noch weiterführende Fortsetzungen im geradezu infernalen Lehmlabyrinth der sich überlagernden Gänge zu entdecken.
Den wohl hartnäckigsten Widerstand haben allerdings die Cetăţile Ponorului den Höhlenstürmern geleistet. Noch ist nicht einmal versierten Alpinisten (darunter Emilian Cristea) der Durchbruch beim schon langjährigen Forschungsendpunkt gelungen. Nicht ohne Stolz können die Klausenburger Amateurhöhlenforscher mitteilen, dass sie im August 1978, unter der Leitung von Josef Viehmann, nun auch diesen Punkt erreicht haben. Sie alle wissen jetzt, was fast 2000 Meter Wasserhöhle mit einem reißenden Höhlenfluss bedeuten: Leitern, gespannte Stahlseile, Kriech- und Kletterstellen, Schlauchbootfahrten. Aber niemand bis auf einen wusste, was sie am Ende erwartete: ein Stückchen Kuchen und ein Schluck Champagner – Viehmann war gerade 53 geworden.

Anmerkung: Keine der hier angeführten Höhlen, mit Ausnahme des Großen Eissaals der Scărişoara-Höhle und der Cetăţile Ponorului, wo die ersten 300 Meter leicht zu bewältigen sind (Taschenlampe!), kann ohne spezielle Genehmigung besucht werden.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 79, S. 201 – 208)

Seite Bildunterschrift
 
201 Vor dem Abstieg: Viehmann und die Seinen.
204 Eiskeulengruppe in der Scărişoara-Höhle.
205-o 150 m unter der Erde: die Gipsgalerie in der Tăuşoare-Höhle.
205-u Klusteriten-Galerie in der Pojarul-Poliţei-Höhle.
206 Sinterschmuck in der Windhöhle.
207 An einem Stalaktit überwinternde Fledermaus.
208 Die Cetăţile Ponorului, Rumäniens gewaltigstes Karstphänomen.
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