Zu Besuch in Rumänien
von Hartmut Gössel – Wenigenlupnitz-Eisenach
Im Laufe der Woche hatten wir uns von Sinaia aus bereits eingehend mit dem Bucegimassiv
vertraut gemacht. Der Caraiman (2325 m) war bereits bestiegen und auch dem Plateau mit
den kuriosen Felsgebilden Babele und Sphinx hatten wir schon unsere Aufwartung gemacht.
Am Sonnabend nun wollten wir den 2507 m hohen Omul bezwingen. Der Omul gilt allgemein
als recht leicht zu bewältigender Berg.
Schnell war das Plateau mit seinen einladenden Schutzhütten überquert, das Wetter war uns
gesonnen, und dadurch vergingen die viereinhalb Stunden Anmarsch wie im Fluge. Plötzlich
jedoch war der bequeme Spazierweg zu Ende. Hinter einem riesigen Talkessel, über dem
sich imposant die sogenannte Galerie erhebt türmte sich der Omul auf. Der leichte Weg
wandelte sich in sein Gegenteil. Große Schneefelder, in die allerdings Omul-Wanderer einen
breiten Weg getreten hatten, ließen alle die, die glaubten, den Omul in Straßenschuhen
bezwingen zu können, umkehren. Bald hatten wir die Schneefelder überwunden, und nach
einem steilen Anstieg waren wir oben. Man bekommt als Flachländer schon Respekt vor
seiner Leistung, wenn man die riesigen Felsgebilde aus der Gipfelperspektive bewundern
kann. Der Abstieg erfolgte durchs Mălăieşti-Tal, was unsere Gipfeltour zum Abenteuer
gestaltete.
Ein markierter Weg war zwar da, doch lag über einem Teil von ihm ein riesiges Schneefeld.
Wir beschlossen, es zu überqueren, denn es war ja nicht das erste an diesem Tag. Auf
markiertem Wege ging es weiter abwärts, doch schon bald versperrte uns ein noch viel
größeres und steiles Schneefeld den Weg. Was tun? Zunächst machten wir eine Pause.
Plötzlich tauchten drei Männer auf. Wir begrüßten uns und mittels Englisch und Händen und
Gesten verstanden wir uns ganz gut. Vor den Schneefeldern warnten sie uns eindringlich.
Wir entschlossen uns, mit ihnen gemeinsam abzusteigen.
Dobre, der älteste der drei, er war 52 Jahre alt, wurde unser Bergführer. Sicher führte er uns
über Grasbänder und Felsrippen immer tiefer. Wurde eine Stelle zu gefährlich, dann gebot er
Rast zu machen. Zusammen mit Vasile, dem jüngsten der drei, sondierte er gründlich den
Weg, während Ionel bei uns blieb. Meter um Meter ging es tiefer. Wir umkletterten
Felsvorsprünge, durchstiegen einen kleinen Kamin, vollbrachten also Leistungen, von denen
wir nie zu träumen gewagt hätten. Ohne jede Hektik und Panik – alles unter der sicheren
Leitung unseres Bergführers Dobre.
Einmal wurde es dann besonders brenzlig. Dreißig Minuten verbrachten wir auf einem etwa
einen Meter breiten Felsvorsprung, unter dem sich ein gähnender Abgrund auftat. Ruhig
kletterte Dobre vor, kam nach einiger Zeit zurück und stieg mit uns ab. Erst holte er meine
Frau und dann mich herunter (dass wir ihm dabei auf Kopf, Schultern und Oberschenkel
traten, sei nur nebenbei erwähnt).
Nach zweieinhalb Stunden hatten wir die Wand durchstiegen. Spontan umarmten wir uns
alle – und es geniert mich nicht zu sagen, dass uns hierbei Freudentränen in den Augen
standen. Nun hatten wir Zeit, die gewaltige Schönheit des Mălăieşti-Tales zu bewundern.
Unsere neuen Freunde luden uns in die Mălăieşti-Schutzhütte zu Schafskäse und Bier ein.
Von da aus marschierten wir über den Diham (1322 m), der uns einen wunderschönen Blick
auf den gewaltigen Bucşoi-Gipfel gestattete, nach Predeal. Hier verabschiedeten wir uns von
Dobre, Ionel und Vasile – von unseren hilfsbereiten Bergfreunden, ohne die wir diese Tour
bestimmt nicht geschafft hätten.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 79, S. 187 – 188)
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187 | Noch eine Stunde bis zum Omul. |