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Einladung zu Scorilo

Ein Stück Banater Hochgebirge – neu entdeckt

von Franz Engelmann (Text) und Walther Konschitzky (Fotos)

„Wir wollen unsere Banater kleineren Städte und Dörfer dadurch nicht herabsetzen. Doch sind wir überzeugt, dass Pojana Mörul mehr wert ist als alle anderen.“ Seit mit diesen geradezu überschwänglichen Worten in einem der ersten Reiseführer durch das Banater Bergland für Poiana Mărului – wir gaben oben die Originalschreibart aus dem „Wegweiser“ des Banater Karpatenvereins aus dem Jahre 1895 wieder – als Sommerfrische und Luftkurort geworben wurde, sind schon mehr als achtzig Jahre vergangen. Und ganz im Sinne der zitierten Zeilen – also ohne dem Semenik und seinen „Satelliten“, dem Bersautal, Steierdorf, Orawitza und dem ganzen Banater Karst mit seinen Schluchten und Höhlen den Rang streitig machen zu wollen – muss man sagen, es hat es in sich, dieses kleine Poiana Mărului, rund sechshundertfünfzig Meter hoch mitten in der schönsten Senke des Banater Hochgebirges gelegen, und es ist ebenso schade wie unverständlich, dass es trotz jenen frühen Zeilen aus dem zitierten „Wegweiser“ erst so spät „entdeckt“ wurde.
Pardon, wird nun der Banater Bergfreund einwerfen. Poiana Mărului braucht man doch nicht jetzt erst zu entdecken! Eigentlich hat er schon recht, den „Unentwegten“ war es immer schon ein Begriff, und denen, die die Brieftasche dazu hatten, sich schon in den dreißiger Jahren eine Villa hierher zu stellen, wohl auch, aber sonst...? Eben: Die Straße, die hinaufführte, war ja so gut wie unpassabel, auch wenn nicht gerade ein Frühjahrshochwasser der Bistra Mărului sie ganz weggespült hatte, das Warten auf die Waldbahn war eine Nervenzerreißprobe, und in der „Elektrischen“ – das kleine gelbe Ding sah wirklich wie ein Temesvarer Straßenbahnwagen in Miniatur aus – stank’s entsetzlich, denn die „Elektrische“ fuhr nicht elektrisch, sondern mit einem Benzinmotor, der frei mitten im Fahrgastraum stand. Die über zwanzig Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation zu Fuß zurückzulegen, war aber auch nicht jedermanns Sache...
So kann man also ruhig sagen: Poiana Mărului wurde erst mit der Fertigstellung der Asphaltstraße und dem großen, blitzneuen Hotel „Scorilo“ entdeckt. Beide wurden gerade im vorigen Jahr fertig, und nun kann jeder hin, mit dem eigenen Wagen oder mit dem Bus, der dreimal täglich von Karansebesch herangefahren kommt.
„Scorilo“...? Der Name klingt Ihnen vertraut, das war doch...? Richtig, das soll doch der Vater des großen Dakerkönigs Decebal gewesen sein. Sollte der Name des neuen Touristenhauses...? Ja, er wurde dieser legendären Gestalt entlehnt. Und mit gutem Grund.
Denn um dieses Tal und noch mehr um die Berge ringsum ranken sich Sagen, die weit in die Frühzeit der rumänischen Volkswerdung zurückreichen: Oben auf den Hochflächen des Muntele Mic und des Ţarcu traf sich das tapfere Volk der Daker zu großen Festen, oben auf der ragenden Felskanzel der „Pietrile Scorile“ feierte der König das Opferfest, die Opfertiere wurden in den gähnenden Abgrund gestürzt, der sich zu Füßen der Felsen auftat, während drüben im Osten der Gugu, der Wohnsitz des Dakergottes Zamolxes – der „dakische Olymp“ ist, was auch nicht viele wissen, mit seinen fast zweitausenddreihundert Metern auch der höchste Berg des Banats – im Morgenlicht erstrahlte.
Andere Legenden, die übrigens noch auf ihren historischen Hintergrund geprüft werden müssten, wollen wissen, dass sich eine Schar trotziger Daker nach der Schlacht von Tapae hierher zurückgezogen hätte, erbitterten Widerstand leistete und dass sich in der natürlichen Felsenburg zwischen Banat, Siebenbürgen und Oltenien noch lange Zeit ein Stück freier Dakererde erhalten hätte, mitten in der römischen Provinz.
Und wenn man gleich bei der Ankunft des Busses die Frauen sieht, die hier die Frucht, die dem weiter unten gelegenen Dorf Mărul, dem Bach, der das Tal durchbraust, und nicht zuletzt dem kleinen, werdenden Kurort den Namen gab, den rotbackigen, saftigen Apfel nämlich, anbieten, genau wie es wohl schon ihre Mütter und Großmütter getan haben, und dazu die herb-schöne Originaltracht zeigen, nicht etwa ein auf Touristenrummel zurecht geschneidertes „Folklorekostüm“, dann ist man fast geneigt zu glauben, dass hier tatsächlich die Tradition auch auf zwei Jahrtausende zurückreichen könnte.
Dennoch dürften wohl Legenden, Volkstrachten und Äpfel allein nicht für jedermann ausreichend sein, um nun Poiana Mărului auch für sich zu entdecken. Was aber bietet es sonst noch? Also zuerst ein wunderbar angenehmes Mikroklima bei mittlerer Höhenlage, wie gesagt rund 650 Meter über dem Meer, da die Senke durch die ringsum aufragenden Bergriesen – mit knapp über oder unter zweitausend Meter verdienen sie wohl schon diesen Namen, auch wenn sie kaum spektakuläre Felswände zeigen – vor rauen Winden geschützt ist, so dass es weder überheiße Sommer noch frostklirrende Winter gibt, also ein Luftkurort für alle Jahreszeiten. (Wir waren im Herbst da, und vielleicht können Ihnen die Fotos etwas von der flammenden Farbenpracht des Bergwaldes vermitteln.) Gelegenheiten zu endlosen, mühelosen Spaziergängen, wobei es ganz gleich ist, welchen Weg Sie von der Hoteltür einschlagen, die Wiesenhänge empor oder den Bach entlang, und wobei die Rehe, die Sie treffen, fast ebenso zahm und zutraulich sind wie die bunt gescheckten Kühe, die aufsichtslos auf den Almen grasen. (Mit etwas Glück treffen Sie vielleicht auch einen Hirsch, Eichhörnchen aber hüpfen Ihnen bestimmt über den Weg.) Und dazu das „Scorilo“ selbst: Vierhundert Betten in erstklassigen Zimmern, etwa zweihundert weitere in größeren und kleineren Villen verschiedenen Komfortgrades (sie wurden, eben als wir dort waren, alle überholt und dürften jetzt schon wieder aufnahmebereit sein), dazu ein großes Restaurant, kühle Bar mit heißer Musik, Schwimmbad und Sauna und – wenn Sie Glück haben – stehen auch Forellen auf der Speisekarte (wenn nicht, dann dürften Sie in der großen Forellenzüchterei, nur wenige hundert Schritte bachaufwärts, bestimmt welche bekommen).
Und wie kommt man nach Poiana Mărului? Nun, nichts einfacher als das: Von Karansebesch (auf der E 94, hundert Kilometer von Temesvar) biegt man auf die Fernverkehrsstraße nach Hatzeg ab, und gleich hinter den ragenden Schloten der Stahl- und Walzwerke von Oţelul Roşu, beim Sägewerk von Zăvoi, biegt die Straße nach rechts ab, und nach 41 Kilometern halten Sie auf dem großen Parkplatz direkt vor dem Hotel, das sich, Terrasse über Terrasse, den Hang hinaufzieht.
Allerdings – ratsamer ist es beinahe, den Wagen zu Hause stehenzulassen, denn er könnte nur allzu leicht zum „lästigen Gepäck“ werden, wenn die Berge ringsum Sie etwa zu längeren Touren locken, wobei dann etwa der Heimweg über ganz andere Routen erfolgen könnte. Und übrigens: Wenn Sie auf das Auto verzichten, können Sie gleich den Muntele Mic mit entdecken. Wie, wenden Sie ein, schon wieder „entdecken“? Der Muntele Mic ist doch wirklich bekannt, was also...? Nun, Sie dürfen ihn trotzdem entdecken – von einer anderen Seite her. Man steigt nämlich heute nicht mehr von Borlova aus direkt auf, sondern benutzt die neueste Drahtseilbahn des Banater Berglands, die zu den längsten des Landes zählt und bezüglich des bewältigten Höhenunterschieds unumstritten den Landesrekord hält.
Technische Daten als Beleg gefällig? Bitte: Über 45 stählerne Maste ziehen sich Stahlkabel nicht weniger als 3492 Meter lang hin und tragen Sie dabei gleich 799 Meter in die Höhe. Und noch was: Sie schweben jetzt direkt über die „Valea Soarelui“, das „Sonnental“, in das höchstgelegene Wintersportzentrum des Banater Berglands. Und sieben Berghütten mit den anheimelnden Namen wie „Bela Vista“, „Bădişor“ oder „Dor de Munte“ werden Sie in einem ihrer 267 Betten ebenso gastlich aufnehmen wie „Scorilo“ unten im Tal.
Wie aber kommt man zur Drahtseilbahn? Nun, zunächst auf dem „klassischen“ Weg, der Asphaltstraße bis Borlova. Aber jetzt führt das Asphaltband bereits weiter, und 23 Kilometer von Karansebesch erreichen Sie in der „Valea Craiului“ die Talstation des großen Sessellifts. Und wenn Sie „oben“ übernachtet haben, geht es auf dem wohlmarkierten Weg (blaues Band) in drei bis dreieinhalb Stunden hinunter nach Poiana Mărului – vorbei an dem sagenumwitterten Scorilo-Felsen. (Hinauf gelangt man leicht vom markierten Weg aus, das Hinunterblicken in den Abgrund möchte ich nur Schwindelfreien geraten haben.)
Und nun sind Sie – überhaupt wenn Sie vielleicht vom Muntele Mic auch noch einen Tagesabstecher auf den Ţarcu mit seiner Wetterwarte (2190 Meter, Markierung rotes Band, Wegdauer hin und zurück 6 – 7 Stunden) gemacht haben – genügend trainiert und gerüstet, um von Poiana Mărului über Nedeia (1937 Meter), Mătania (2160 Meter) und den „Stutensattel“ (Şaua Iepii, 1721 Meter) zur Schutzhütte Gura Apei zu wandern, von wo dann bereits der Aufstieg auf den Retezat beginnt. Na sehen Sie, deshalb zum Beispiel lohnt es sich, Poiana Mărului ohne Auto zu entdecken. Zu vermerken wäre noch: Zur Talstation der Drahtseilbahn in der Valea Craiului fahren natürlich von Karansebesch aus auch regelmäßig Autobusse.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 78, S. 16 – 25)

Seite Bildunterschrift
 
17 Mittägliches Idyll vor der Hotelterrasse.
18 Vom Hang gleich oberhalb des „Scorilo“-Komplexes: endlose Fernsicht.
20-o Erholsame Landschaft
20-u An der Bistra Mărului
21-o Herbstliche Kontraste
21-u Wanderweg zum Muntele Mic
22 Auch das gibt’s in Poiana Mărului: alte Bergbauernsalasche zwei Schritte vom modernen Hotel.
24 Touristenstädtchen Muntele Mic.
25 Von grün wird er erst rot, der Muntele Mic, ehe er weiß wird.
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