home - Komm mit - 1977 - Platz für alle hat Sovata
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren
drucken

Platz für alle hat Sovata

Beobachtungen am Bärensee und seinen Satelliten

von Ewalt Zweier

Der See in der Form eines ausgebreiteten Bärenfells ist, geologisch betrachtet, sehr jung. Er soll nach einer Schreckensnacht im Jahre 1860 durch Dolinensturz entstanden sein. Dolinen – das sind Karsttrichter im Salzboden. Ein kleiner See verschwand in jener Nacht, drei Bächlein trafen sich, zwei davon sehr salzreich (bis zu 200 Gramm Kochsalz je Liter Wasser), die Bächlein füllten den neuentstandenen Trichter, bis ein neuer See entstand, der an seiner tiefsten Stelle 19 Meter misst. Lacul Ursu, der meist warme und stets salzige Bärensee, ist sagenumwoben und interessant.
Auf der Landkarte Rumäniens zentral gelegen, vom Hauptverkehr jedoch recht abgelegen, ist dieser See im Sommer Sammelpunkt für Tausende Urlauber und Tagesausflügler aus der nahen und ferneren Umgebung. Seine Anziehungskraft beruht auf Heliothermie und verbürgter Heilwirkung des Wassers (82 Gramm Kochsalz pro Liter). Mit seinem Gesamtinhalt von über 200.000 Kubikmeter Wasser, einer Oberfläche von fast vier Hektar, der größten Länge auf der Nord-Süd-Achse von 334 Metern und der größten Breite von 210 Metern bietet der See vielen Besuchern Platz. Selbst in der Hochsaison herrscht nicht gerade ein solches Menschengewimmel wie in der „Suhle“ von Bad Felix bei Oradea, obwohl der zum Naturdenkmal erklärte Bärensee durch eine Bojenkette halbiert wurde und die eine Hälfte, weil der Forschung vorbehalten, für Badegäste tabu ist.
Täglich wird die in verschiedenen Tiefen gemessene Wassertemperatur beim Eingang zum Freibad mit Kreide angeschrieben. Sie schwankt zwischen 16 und 28 Grad, je nach dem Stand der Bewölkung, erreicht aber in 2 – 5 Meter Tiefe 30 – 40 Grad Celsius. Auf großen Tafeln an der Kasse wird in vier Sprachen – rumänisch, ungarisch, deutsch, französisch – ausführlich erklärt, wie das mit der Heliothermie ist und warum der See von 13 bis 15 Uhr still ruhen muss, und natürlich auch die ganze Nacht.
Es ist angenehm beim Bärensee. Zum Schluss gewöhnt man sich auch an die allzu häufigen Pfiffe des strengen Aufsichtspersonals, das die Demarkationslinie mit Argusaugen überwacht und schon ab 12,30 Uhr mit dem Evakuieren des Freibads beginnt.
Die Badebedingungen sind vorzüglich, von den Umkleideräumen bis zum Schilfmatten- und Holzfloßverleih, von den Erfrischungsgetränken, dem Kondibetrieb bis zur allgemeinen Sauberkeit und Ordnung. Attraktion in einer dem Publikum zugänglichen Bucht – man weiß nicht, ob es nun eine Vorder- oder Hinterpforte des „Bärenfells“ ist – auf den Baumstümpfen am Ufer bzw. in Ufernähe haben sich manche im Modellieren versucht und eine ganze Galerie gelungener Köpfe und anderer Plastiken aus Lehm geformt. Ein kunstbeflissenes siebenjähriges Mädchen wollte immer nur hin schwimmen zu den „Projekten“, wie sie die Gebilde spontan nannte, und, im warmen Wasser hockend, weitermodellieren.
Wenngleich es da noch den kühlen, schattigen Aluniş-See, den Lacul Negru (Schwarzer See), wegen Faulschlamm so benannt, den von einer Algendecke überzogenen Lacul Verde (Grüner See), den kleinen, von Eisenoxid rotbraun gefärbten Lacul Roşu und noch den kleineren Süßwassersee Lacul Dulce gibt – alle außer dem Grünen See zum Baden geeignet –, so verdankt der Kurort Sovata im Kreis Mureş sein Entstehen, sein Bekanntwerden und seine nun wieder sehr rasche und moderne Entwicklung dem Bärensee.
Möglicherweise ist der Neuankömmling nicht gleich begeistert. Die Anfahrt ist nicht in jedem Falle verlockend: vier Stunden mit der Eisenbahn von Blaj bis Sovata gebummelt, mit fast einstündigem Aufenthalt im Chemieort Târnăveni, wo die CFR auf den Schichtwechsel der Pendler Rücksicht nimmt; gar nahezu sieben (!) Stunden mit der Schmalspurbahn von Tg. Mureş – lassen Sie sich nicht auf dieses Abenteuer ein, außer Sie sind mit Geduld gepanzert und bummeln gerne –, besser schon, wenn nicht mit dem eigenen Wagen oder dem des hilfsbereiten Freundes, mit dem Autobus von Tg. Mureş, von Schäßburg oder von Odorheiul Secuiesc her. Es gibt auch konvenable (zusagende) Schnell-Fernbusse ohne Umsteigen aus bzw. nach Baia Mare und Piatra Neamţ.
Eine leichte Enttäuschung mag auch die zentrale Fußgängerzone bedeuten, wo man sich nämlich in einem ausgeprägt alten Kurort befindet, die Villen noch eintönig grün gestrichen – erst seit kurzem wird auf Hellblau geschaltet –, die charakteristischen Türmchen als Dachreiter obenauf, das alte Klubhaus mit knarrenden Dielen und engem Treppenaufgang, den ziemlich kleinen Schach- und Billardzimmern, in denen sich besonders bei Regenwetter viel Volk versammelt, das ebenfalls volksbelebte „Korso“ mit den gemächlich dahinschlendernden Kurgästen. Langweile? Nein, denn es gibt doch allerlei Unterhaltung außer dem Üblichen, wie Kino, Fernsehen, Bibliothek (ziemlich viel Literatur in deutscher Sprache!) und den verschiedenen Gaststätten.
Wer Zeit und Lust hat, den Ort für sich zu entdecken, der wird sich dann nicht mehr wundern, wieso die Leute für Sovata schwärmen und nicht nur auf ärztliche Empfehlung oft und gerne in Sovata Urlaub machen. Die nächste Umgebung ist landschaftlich eine Pracht. Das erkennt man auf dem Waldweg „Tivoli“, einer idyllisch gelegenen Gaststätte mit Grinzing- Atmosphäre, oder in der Herberge „Stâna din Vale“, in deren Nähe sich auch ein großer Zeltplatz wie auf einer Märchenwiese ausbreitet. Empfehlenswert bei entsprechendem Wetter ein Zwei- bis Dreistundenausflug zum „Schit“, einem auf einsamer Höhe erbauten, wohl 200jährigen Kirchlein. Die Aussicht von dort in Richtung Praid und das Quellgebiet der Kleinen Kokel ist ein Genuss. Dicht am Bärensee malerisch gelegen: das neue Renommierlokal „Casino“ mit guter Küche und tadelloser Bedienung. In geschützter Lage, modern und komfortabel sind die Bungalows, von in- und ausländischen Touristen sehr begehrt. Sovata hat jetzt schon 160 Plätze in solch schmucken und praktischen Häuschen.
Was aber den Sprung nach vorne, den Anschluss an neuzeitlichen europäischen Kurtourismus bezeichnet, das sind vor allem die neuen Hotels: diskret zurückgezogen „Căprioara“, alles überragend „Sovata“ und ein Meisterstück moderner Architektur im hohen Buchenwald „Aluniş“. Zu den fast 600 neuen Hotelplätzen, im Sommer 76 überwiegend von Kurgästen aus Finnland, der BRD, den USA und Ungarn beansprucht, kommen weitere 500 hinzu, in den beiden im Bau befindlichen Hotels nämlich, die mit „Aluniş“ und „Sovata“ und so auch mit dem modernen Kurzentrum durch ober- und unterirdische Gänge verbunden sind. Dies im Hinblick auf intensiven Dauerbetrieb, der den Hotelgästen bei jedem Wetter eine unproblematische Kommunikation mit dem Kurpavillon sichert.
Wie wir von Francisc Nagy, dem stellvertretenden Direktor des OJT-Unternehmens Sovata, erfahren, verfügte der Kurort im Herbst 1976 über 3340 staatlich verwaltete Unterkunftsplätze, davon 2585 in Villen mit verschiedenem Komfort, zum Großteil renoviert und aufpoliert auf Klasse A und 1, sowie 2550 Plätze in Gaststätten. An Tennis-, Federball- und Kinderspielplätzen wurde auch gedacht.
Die Dienstleistungen des Touristenamtes OJT sind auch in Sovata auf der Höhe. Besonders die preiswerten, von ausgebildeten und vor allem freundlichen Reiseleitern betreuten Autocar-Ausflüge nach Târgu Mureş, über Gheorghieni nach Lacul Roşu und Bicaz, nach Schäßburg oder via Miercurea Ciuc nach Tuşnad. Dort sagt einem Károly Bicsak, der OJT- Direktor des Kreises Harghita, ein Enthusiast in seinem Beruf: „Unerschöpflich ist die Perlenkette der Gesundbrunnen im inneren Karpatenbogen. Neben Sovata wird Praid mit seinen besonders heilkräftigen Quellen eine große Zukunft haben, dann Borsec, Bad Harghita, Tuşnad, Malnaş, Bodoc, Covasna, Vâlcele usw. In den letzten Jahren haben sich einige Kurorte schön herausgeputzt, aber die Möglichkeiten sind noch riesengroß.“ Ohne Zweifel: Der Bärensee, Sovata, das Gurghiu-Gebirge, die nähere und weitere Umgebung sind eine Urlaubsreise wert. Und viele werden nach dem ersten Urlaub hier gleich Abonnenten.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 77, S. 172 – 176)

Seite Bildunterschrift
 
174 Hotel „Aluniş“ – im Buchenwald verborgen, eines der modernen und schön gelegenen Gebäude des Kurortes Sovata.
175 In solchen Bungalows ist gut urlauben.
nach oben nach oben