home - Komm mit - 1977 - Die „schlaue Bärin“
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Die „schlaue Bärin“

von A. Conrad

Es war im August, als ich im Ursu-Massiv, unterwegs zu einer Stână, in ein fürchterliches Gewitter geriet. Nachdem ich völlig durchnässt und frierend wie ein Hund die Hütte erreicht hatte, setzte ich mich ans Feuer, hüllte mich in eine trockene Decke und trank heiße Schafmilch.
Nachdem meine Sachen getrocknet waren (sie rochen, wie schon so oft, nach Rauch, Stână und Schaf), trat ich vor die Hütte, um die Nachgewitterstimmung zu fotografieren. Die Hirten fütterten ihre Hunde. Die Schafe begannen den Hang hinaufzusteigen. Da hörten wir in der Nähe Äste brechen und sahen die Schafe erschrocken loslaufen. Dann stürmte, keine zwanzig Meter von uns entfernt, ein ziemlich großer Bär mit dunkelbraunem ins Schwarze spielendem Fell quer über den Hang hinter einem Schaf her. Einer der Hirten rief laut „Ursu!“ – „Der Bär“. Dieser blieb stehen, sah uns an und rannte erst wieder los, als Hirten und Hunde, die auf ihn zustürzten, nur noch einige Meter entfernt waren. Nach ergebnisloser Jagd kehrten alle zur Stâna zurück. Da sagte einer der Hirten: „Das kann nur die ‚schlaue Bärin’ gewesen sein. Bei Tag hat sie bisher noch nie jemand gesehen, und nun kommt sie uns schon bis an die Hütte. Nicht einmal die Hunde fürchtet sie mehr...“
Wir gingen hinein, bereiteten das Abendbrot vor, und der Hirt fuhr in seinem Bericht fort: „Schon seit dem Frühjahr ist dieses Biest der Schrecken aller Hirten im Umkreis von zehn Kilometern. Sie hat zwei Junge und, was sehr selten vorkommt, diese Jungbären sind nicht gleich alt. Den Spuren nach ist der eine aus dem Frühjahr, während der andere ein bis zwei Jahre älter sein dürfte. In der ersten Zeit raubte sich die Bärin jede Nacht ein Schaf, auch von hier. Erst als man noch mehr Hunde aus dem Dorf holte, nachts die Schafe im Kral eingesperrt hielt und an jeder Ecke ein Feuer brannte, ist die Bärenfamilie vorübergehend abgewandert.“
Als ich fragte, warum man die Bärin „die Schlaue“ nannte, erzählte er weiter: „In einer Nacht, zwei oder drei Wochen, nachdem die Bärin abgezogen war, erschien sie wieder. Aber nicht bei der Herde, die gut 150 Meter weiter übernachtete, sondern bei der Hütte. Sie machte sich im Stall zu schaffen, wo Kühe und Kälber eingesperrt waren. Die Hunde spürten sie gleich auf und es begann die Verfolgung. Die Bärin lief in den Wald. Keine 50 Meter weiter blieben die Köter plötzlich stehen und bellten eine dichte Tannengruppe an. Sie gebärdeten sich wie verrückt. Da rief der Hirte, der bei den Schafen geblieben war ,Usru! Ursu!’ Alles stürmte hin, aber es war schon zu spät. Die Bärin hatte sich einer der größten Schafe aus der Herde geholt, und dieses Mal konnte es ihr niemand abjagen. Am Morgen danach gingen die Hirten zu dem Tannendickicht, um nachzusehen, warum die Hunde hier gebellt hatten. Sie fanden Kratzspuren an der Rinde der Tannen und wussten nun, dass die Bärin das größere Junge dort versteckt hatte, um die Verfolger irre zu führen und sich in Ruhe ein Schaf zu holen.“
Die Hirten meinten, so etwas haben sie noch nie erlebt. Nicht einmal der alte Senn, der seit 61 Jahren jeden Sommer bei einer Sennhütte war. „Nur großer Hunger“, meinte der Alte, „triebe ein Muttertier zu einem solchen Risiko.“
An den nächsten Tagen, zeigte sich die „schlaue Bärin“ nicht mehr. Wahrscheinlich hatte sie abermals ihr Revier gewechselt oder war ins Tal hinabgestiegen, wo die Himbeeren gerade reif waren.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 77, S. 170 – 171)

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