Die Braner Seite der Bucegi
von Simon Schmidt
Kein Gebirge zählt mehr Hütten, Seilbahnen, Skipisten und markierte Wege als die Bucegi,
nirgends in Rumänien begegnet man winters und sommers mehr Wanderern als hier.
Dennoch hat dieses Massiv seine einsamen, vom Touristenstrom kaum entdeckten Stellen.
Zu ihnen gehört zweifelsohne die so genannte Braner Bucegi-Seite.
Dass der Ausflügler sie meidet, hat seinen guten Grund: Als Aufstiegsroute kommt keiner der
bekannten Wege in Frage, da es niemandem einfällt, 7 – 9 Stunden bis zum Omul zu pilgern
und dabei beschwerliche Höhenunterschiede von 1500 – 1800 m zu meistern. Sieht man von
Notunterkünften ab, so gibt es keine einzige Hütte, in der man rasten oder schlafen könnte.
Kehrt man jedoch den Spieß um und steigt die Touristenwege auf der Braner Bucegi-Seite
ab, kommt man nicht nur mit weniger Zeit aus (4 – 6 Stunden), sondern hat Gelegenheit,
ohne viel Mühe sein Ziel zu erreichen und überdies ein Stück Bucegi von überwältigender
Schönheit und seltener Unberührtheit kennen zu lernen.
Die geräumige Padina Hütte (170 Plätze) verlassen wir auf einem breiten, gut sichtbar mit
rotem Punkt markierten Pfad, indem wir zunächst eine kurze Strecke durch Fichtenwald
wandern, gleich danach aber in leichtem Anstieg die Südflanke des Colţii-Berges ersteigen.
Für Minuten haben wir den Eindruck, uns auf der Albele oder dem Iorgovan zu befinden, so
vielfältig geformt und weißgewaschen wie im Retezat sind die Kalkfelsen, die auf Schritt und
Tritt aus grünen Matten herausleuchten.
Allmählich wird der Aufstieg beschwerlich, plötzlich aber weicht der Berg nach rechts und
links aus: Wir sind im Strunga-Sattel, einer der markantesten Stellen der Bucegi. Felsen und
weiches Gras laden zu kurzer Rast ein – seit unserem Aufbruch ist eine Stunde vergangen –
, die aufgehende Sonne im Rücken, bewundern wir den vor uns wie ein riesiger Saurier
hingelagerten Königstein, das Doppelmassiv Iezer-Păpuşa und viele andere Berge.
Der Gratweg auf die Leaota lockt, wir wenden ihm aber den Rücken zu und beginnen den
Abstieg. Beinahe parallel zu der über 2000 m hohen Culmea Strunga und dem Bătrâna-Grat
geht es über ein riesiges Geröllfeld auf der gut sichtbaren Markierung bis zur Poiana Guţan.
Zur Rechten begleiten uns wilde Felsabstürze, deren Basis von undurchdringlichen
Latschenfeldern überwuchert ist, unter uns Jung- und Altschläge, durch welche Forststraßen
den Dörfern Moeciu de Sus, Cheia und Şimon zustreben.
Zwei- oder dreimal überspringen wir kleine Rinnsale. Gegen Ende unserer zweiten
Wanderstunde erreichen wir die Poiana Guţan. Obwohl sehr malerisch gelegen, kommt sie
für eine Rast kaum in Frage.
Für erfahrene Touristen einen Tipp: Suchen Sie auf der Poiana Guţan nach einer
verwaschenen Markierung (rote Farbreste)! Sollten Sie sie finden, kommen Sie bald auf
einen Pfad, der ohne Schwierigkeiten in den Sattel zwischen Bătrâna und Guţan führt, wo
Sie das rote Band zur Omul-Hütte erreichen. Der herrliche Anblick der wilden Felswelt wird
Sie für alle Mühe entschädigen.
Auch auf noch eine Variante sei hingewiesen: Aus der Poiana Guţan führt ein Saumpfad –
unmarkiert – mühelos auf die Forststraße durch das Brângăleasa-Tal über Moeciu de Sus,
Cheia nach Moeciu de Jos. Sollten Sie auf dieser Straße kein Auto treffen, kann es Ihnen
blühen, vier Stunden auf grobem Schotter zu wandern.
Verfolgen wir jedoch den roten Punkt weiter, beginnt bald ein langer, aber schöner Abstieg
über den Plaiul Pleaşa und den Plaiul lui Lom bis nach Şimon. Träfen wir hier auf eine
Fahrgelegenheit, würde die Wegdauer vier Stunden nicht überschreiten; im Gegenfall
müssen wir einen Fußmarsch von einer Stunde auf uns nehmen, bis wir zwischen Moeciu
de Jos und Bran auf die Fernverkehrsstraße Câmpulung – Braşov stoßen und somit auf den
Autobus, der stündlich nach Braşov verkehrt.
Als Ausgangsbasis wählt man am besten die Omul-Hütte. Wir verlassen sie in Richtung
NNW, um schließlich nach W auf die Muchia Hornurilor abzubiegen, die uns nacheinander
an den berühmten Mălăieştier Kaminen vorbeiführt. Bei einem Wegweiser, dem immensen
Gletscherkessel zu unserer Linken zugekehrt – er wird von den Abstürzen des Doamnei- und
des Scara-Berges gebildet und trägt sonderbarerweise den Namen Căţun –, werfen wir
einen letzten Blick in das Mălăieştier Tal, spielzeughaft die Hütte, zum Greifen nahe das
„Kirchlein“, kinderleicht die Kamine, wie kann diese Perspektive nur so täuschen? Das rote
Kreuz aber führt zu keiner dieser „Kraftproben“ hin, es mahnt abzusteigen, steil, doch
vollkommen ungefährlich, bis auf den Grund des Căţun-Kessels.
Unsere Markierung quert seine untere Hälfte, manchmal wuchert das grün so dicht, dass wir
den Steg kaum ausmachen, schließlich kommen wir aber an den Rand der „Fruntea
Căţunaşului“ (Gaura-Rachel), und die Landschaft verändert sich schlagartig: Die Grasmatten
weichen schroffem Fels.
Der Weg führt uns zunächst über schmale Bänder von der Gaura-Rachel weg, kehrt aber
dann durch einen Felskamin wiederum in die ursprüngliche Richtung zurück. Wir klettern
vorsichtig abwärts. Plötzlich weisen die Wegzeichen nach rechts, wir kommen erneut auf
Grasbänder. Die Herrlichkeit dauert aber nicht allzu lange. Wiederum heißt es klettern, einen
steilen Riss hinunter, es geht aber besser, als man denkt. Damit ist auch der schwierigste
Teil unseres Abstiegs zu Ende, sanft abfallende Matten nehmen uns auf, der Gaura-Bach
beginnt zu murmeln. Wir schalten eine kurze Rast ein und sehen uns um.
Was unser Auge erblickt, ist so zauberhaft schön, dass es schwer fällt, von all den Wänden,
Runsen und Spitzen, die uns umgeben, loszukommen. Links, unter uns – wir stehen mit dem
Rücken zur Wegrichtung – die wichtigen Abstürze des Gaura-Berges, auslaufend in weiße
Geröllfelder, anschließend der Scara-Berg mit seinen unzähligen, von Wind und Regen
abgerundeten Konglomerattürmen; vor uns die Fruntea Căţunaşului, so steil, dass es uns
unglaublich vorkommt, sie abgestiegen zu sein. Es gibt wenig Stellen im Bucegi, die es mit
diesem Fleckchen aufnehmen können.
Ein Blick auf die Uhr: Seit dem Aufbruch von der Omul-Hütte sind genau zwei Stunden
verstrichen. Wir beginnen abzusteigen, zunächst den Gaura-Bach entlang, überqueren ihn,
steigen in entgegengesetzter Richtung auf – unter uns tost und brandet ein Wasserfall
(Moara Dracului) – und kommen den Guţan-Abstürzen immer näher, schließlich aber wendet
der Weg abfallend in scharfer Kehre und bringt uns erneut in die eigentliche Richtung.
Für Bergliebhaber ein Vorschlag: Behalten Sie die ursprüngliche Wegrichtung bei, stoßen
Sie, ständig absteigend, nach einer guten halben Stunde auf die Forststraße, die nach
Şimon und Bran führt. Der Weg ist kürzer, aber weniger interessant.
Verfolgen wir aber das rote Kreuz weiter, gilt es, nach rechts abzusteigen und den Aufstieg
auf den dicht bewaldeten Gagu Noaghi zu beginnen. In unmittelbarer Nähe des Kamms –
täuschen wir uns wirklich nicht? – eine Jagdhütte, natürlich mit dazugehörender Quelle. Die
dritte Wegstunde geht damit zu Ende.
Was folgt, ist problemloser Abstieg durch dichte Fichtenbestände und später durch
Buchenwald. Das Poarta-Tal nimmt uns auf, die ersten „Case“ (Holzhäuser für den
Sommeraufenthalt) tauchen auf, wir erreichen Bran-Poarta und nach einstündigem Marsch
auf der Dorfstraße das Zentrum von Bran. Bei unserem gemächlichen Trott hat der Weg
knappe sechs Stunden gedauert.
Als Ausgangsbasis unseres dritten Weges kann ebenfalls die Omul-Hütte dienen, wobei wir
anfangs denselben Weg wie ins Gaura-Tal verfolgen. Diesmal aber lassen wir den
Wegweiser mit dem roten Kreuz links und jenen, der uns den Weg durch den Mălăieştier-
Kamin weist, rechts liegen und beginnen den etwas beschwerlichen Aufstieg auf die Scara
(gelbes Dreieck). Eine Stunde etwa nach dem Aufbruch erreichen wir sein Plateau und
erblicken einen Wegweiser, der die Gabelung Ţigăneşti – Ciubotea anzeigt. Sehr treffend
haben die Hirten diese Stelle „Podul Spintecăturilor“ benannt.
Alpenrosen, Wacholder und Latschen begleiten uns durch die „Faţa Frumoasă“, eine
Berglehne, die wir längere Zeit queren müssen. Bald jedoch wird die Landschaft herber,
Felszacken und Abstürze rücken ins Blickfeld, wir beginnen zügig den Abstieg ins Ciubotea-
Tal.
Zunächst durchsteigen wir den oberen Kessel, dann immer steiler hinunter, den mittleren.
Der Sattel, der sie trennt, kann zu einer Schnaufpause genützt werden.
Die Südflanke der Ciubotea, überwältigend schroff, begleitet uns auf dem letzten schwierigen
Wegstück. Ein kurzer Aufstieg noch in die Poiana Ciubotea, dann beginnt der Weg, immer
besser sichtbar, ins Poarta-Tal abzusteigen. Die „Urlătoarea Clincii“, ein Wildbach, der sich
von weitem durch sein Getöse ankündigt, wird überquert, der Weg wird bekannt, wir
befinden uns im Poarta-Tal. In fünf Stunden haben wir das Ganze geschafft.
Obwohl bergtechnisch nicht problematischer als die drei vorigen Routen, erfordert dieser
Weg etwas mehr Kraftaufwand, weil diesmal zwei schwierigere Aufstiege zu bewältigen sind.
Gleich hinter der Mălăieşti-Hütte (1997 abgebrannt) beginnen wir, auf gelbem Band, durch
übermannshohe Latschen die steile Lehne des Mălăieştier Zuges zu erklimmen, der die
Padina Crucii (das Ţigăneştier Tal trägt diesen Namen) vom Mălăieştier Tal trennt. Das
dauert dreißig bis vierzig Minuten. Bei dem Wegweiser auf dem Grat rasten wir. Vor uns die
ausgedehnte, vegetationsarme Padina Crucii mit dem kahlen Ţigăneşti; rechts der
auslaufende Velican, links die touristisch unbegehbaren Ţigăneştier Kamine, über ihnen
thronend der Scara-Gipfel (2421 m). In unserem Rücken, dunkel drohend, die 800 Meter
abstürzende Westseite des Bucşoi mit dem meist wolkenverhangenen 2492 m hohen Gipfel
(zweithöchste Erhebung der Bucegi).
Absteigend queren wir die Westflanke des Mălăieştier Zuges und erreichen den kleinen
Ţigăneştier See. Nun gilt es, die steile Ostflanke des Ţigăneşti zu erklettern, die Markierung
lässt uns aber vom Weg nicht abkommen. Auf dem Grat verschnaufen wir, denn seit
unserem Aufbruch sind bereits zwei Stunden verstrichen.
Von dieser Stelle ist die Rundsicht noch erhabener: man überblickt einen großen Teil des
Burzenlandes, die gesamte Ostseite des Königsteins, das Iezer-Păpuşa-Massiv, die ersten
Ausläufer der Fogarascher. Bran und die es umgebenden Dörfer Cheia, Poarta, Sohodol,
Şimon und Moeciu sind greifbar nahe.
Der Abstieg über die Westflanke des Ţigăneşti (wir wechseln auf rotes Band) erfordert große
Aufmerksamkeit. Gewitterregen, Schneeschmelzen und Lawinen haben nämlich oftmals
ganze Wegstücke weggerissen, so dass wir vorsichtig nach unten oder oben ausweichen
müssen.
Nach etwa einer Stunde erreichen wir den Clincea-Rücken mit seinen vielen interessanten
Felsgebilden, jedes einzelne fotografierenswert.
Die Krummholzzone nimmt uns auf, und nachdem wir den Clincea-Rücken noch eine Weile
verfolgen, erreichen wir die Poiana Zănoaga und schließlich die Poiana Pănicerului. Der
Weg biegt ab, dem Bachbett der Valea Seacă zu, das wir aber bald verlassen, um nach
leichtem Aufstieg die Muchia Buricii zu erreichen. Der Weg, für Pferdegespanne schon
befahrbar, windet sich nun gemächlich zu Tal, die ersten Häuser tauchen auf. Wir erreichen
das Zentrum von Bran Poarta und in einer weiteren halben Stunde die Bushaltestelle. Auch
diesmal sind wir mit 5 Stunden angekommen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 76, S. 127 – 134)
Seite | Bildunterschrift |
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129 | Kartenskizze |
130 | Blick von der Braner Seite auf die Strunga. |
132 | Die „fotogenen“ Felsgebilde am Clincea-Rücken. |
133 | Die Bucegi von Şimon aus gesehen. |