Călţun – die erste Biwakschachtel im Fogarascher Gebirge – bietet 20 sturmsichere Pritschenplätze
von Ewalt Zweier
Seitdem eine moderne Hochstraße die Fogarascher Berge in über 2000 Meter Höhe
überquert, seitdem Tausende Autos beinahe mühelos am Bâlea-See vorbeifahren und die
Fahrer es sich auch erlauben können, dort oben zu parken, wagen auch viele Touristen (in
der Mehrzahl sind es Noch-nicht-Bergsteiger) größere Ausflüge auf den Gebirgskamm.
Immer mehr wollen vom Bâlea zum Negoi-Gipfel und zurück, an einem Tag, versteht sich.
Die Verlockung ist groß, die Gefahren sind es nicht minder. Jede Unvorsichtigkeit, z.B. ein
Drauflosgehen ohne entsprechende Ausrüstung und Proviant, kann zum Verhängnis werden.
Bei plötzlichem Wetterumschlag – und diese Gebirgskette ist bekannt dafür – muss man
gesund und gewappnet sein. 1974 gab es hier im Hochsommer 15 Bergtote, im Jahr darauf
weitere vier. Die 1973 von der Salvamont-Gruppe Sibiu mit vollem Erfolg durchgeführte
Bergwacht (kein einziges Opfer war in der Saison zu beklagen) soll im Sommer 1976
wiederholt werden.
Inzwischen hat der vom Kreisvolksrat Sibiu eingerichtete, etwa 30 Männer zählende
Bergrettungsdienst eine andere Leistung zugunsten des alpinen Tourismus zu buchen: die
Fertigstellung der ersten Notunterkunft im Fogarascher Gebirge, beim Călţun-See in 2147
Meter Höhe. Wer bei sonnig warmem Wetter an dem recht unansehnlichen
Halbrundgewölbe vorbeikommt, lächelt vielleicht zuerst über diese Art von Behausung.
Gewiss, dies ist kein Berghotel, ja nicht einmal ein Haus, es ist das, was Alpinisten eine
„Biwakschachtel“ nennen, ein halber Zylinder, 6 Meter lang, 4 Meter im Durchmesser, und
bietet Platz für zwanzig Pritschen. Erst der weiß ihren Wert richtig zu schätzen, dem diese
Behausung einmal Schutz geboten hat vor Sturm und Kälte, vor Nacht und Nässe.
Wie schwer ist so eine Biwakschachtel? 2730 Kilogramm. Wie schwierig der Bau? Kein
Kinderspiel, allerdings. Mehr als eine Tonne Sand und Schotter, 440 Kilogramm Zement, der
Rohrrahmen und die Blechtafeln (jede Tafel 16 Kilogramm schwer) sowie anderes
Baumaterial wurden vom Bâlea-See über den Kammweg auf dem Rücken geschleppt, von
Salvamont-Leuten und Touristen in freiwilligem Einsatz. Nach Bauschluss hat man’s
ausgerechnet: 24 Kilogramm Baustofftransport im Durchschnitt pro Mann. 271 Tagewerke
wurden beim Bau geleistet, elfmal gab es Kollektiveinsätze am Wochenende über Samstag –
Sonntag. Die großen und schweren Bauteile konnten wegen der Sicherheit der Träger nicht
über den stellenweise abschüssigen Kammweg auf den Bauplatz gelangen, sie wurden mit
vereinten Kräften auf einem von Salvamont ausgetüftelten Pfad über den Südhang der
Hauptkette herangeschleppt. Die Türe beispielsweise besteht aus einem Stück und wiegt 83
Kilogramm.
Der Kreisvolksrat hatte für Notunterkünfte in den Bergen 50.000 Lei Materialkosten bewilligt.
Einer Gruppe von Professoren und Schülern der IPAS-Schule (heute Fachlyzeum für
Mechanik Nr. 4 Sibiu) gelang es, mit dieser Summe gleich zwei Biwakschachteln zu bauen;
die zweite ist für einen Standort beim Frecker See bestimmt und wartet in Fertigteilen im
Schulhof auf den Abtransport. Das Projekt stammt von Ing. Robert Ungurean und Techniker
Peter Thomae, die Zeichnungen hat Technikerin Renate Nikolaus angefertigt.
Am 19. Juni 1974 hatte man das Baumaterial nicht ganz bis zum Bâlea-See transportieren
können, weil Schneeverwehungen am Vortag die Straße blockiert hatten. Eine Woche nach
dem Baubeginn zerriss ein Sturm die Zelte der Bauleute, die in ihrem Erholungsurlaub
heraufgekommen waren, dichter Nebel hüllte sie ein, man musste einige tage lang
unterbrechen. Doch dann legten sich die Männer tüchtig ins Zeug: Ing. Egin Scheiner und
der Schüler Iulian Teveş waren die Hauptbeteiligten, Adolf Meitzer, Ion Grigore, Hans
Göttfert, Wilhelm Kroner, Ion Serbănoiu, Rüdiger Tischler, Dr. Nicolae Ivan, Gheorghe
Cotârlea, Ioan Alexandru Constantinescu, Reinhold Gutt und andere haben so oft und so gut
sie konnten, mitgeholfen. Und über dem Ganzen wachte einer, der heute nicht mehr ist: der
unvergessliche Gründer und langjährige Leiter des Bergrettungsdienstes von Sibiu, Toma
Boerescu (1912 – 1975). Er war Hüttenwart und wiederholte Male Landesmeister im Klettern
und im Skisport gewesen, vor allem aber ein Pionier des alpinen Tourismus. Viele seiner
Pläne auf diesem Gebiet sind verwirklicht worden. So auch die Notunterkunft beim Călţun-
See. Im Sommer/Herbst 1975 wurden dann aus Braşov zwei ähnliche Biwakschachteln in
die Berge transportiert und eine unter dem Gipfel des Berivoiu Mare bereits aufgestellt; die
zweite folgt in der Nähe des Moldoveanu, des bisher wegen fehlender Schutzhütte schwer
zugänglichen höchsten Gipfels Rumäniens.
Toma Boerescu, vielen als „Nea Toma“ oder einfach „Bătrânu“ (der Alte) bekannt, hat durch
sein gewinnendes Wesen die Menschen für gemeinnützliches Schaffen begeistern können.
Selbst als ihm ein Bein amputiert werden musste, hat er noch von seinem Krankenlager über
jeden Helfer und jeden Transport für die Aktion Călţun genau Buch geführt. Als
unverwüstlicher Optimist hat er lange gehofft, wieder mitmachen und noch einmal mit
Beinprothese in den Bergen Ski fahren zu können.
Nun steht die Notunterkunft „Toma Boerescu“ seit September '75 sturmfest am Kältepol der
Fogarascher Berge den Touristen zur Verfügung. Im Sommer '76 soll ihre Schwester beim
Frecker See aufgestellt werden. Ein Hubschrauber wird notwendig sein, um das Material
dafür hoch zu hieven. Dem an Intensität zunehmenden Gebirgstourismus wird damit ebenso
gedient sein wie mit der Wiedereinführung der von Toma Boerescu aufgebauten Bergwacht.
Jeder Teilhaber dieser schönen und erzieherisch wertvollen Betätigung, jeder Tourist, der
den Zauber einer Kammwanderung in den Fogarascher Bergen kostet und als Erlebnis auf
seinen Lebensweg mitnimmt, soll Bescheid wissen über die Leistung dieser selbstlos
denkenden und handelnden Menschen. Es sind ehrenamtliche Mitglieder des
Bergrettungsdienstes Salvamont, Mitglieder des Wanderklubs „Freunde der Berge“ in Sibiu,
Menschen, die Freizeit, Fachwissen und praktisches Können hergeben für die Erschließung
der Schönheiten unserer heimatlichen Bergwelt. Durch ihr Werk wird überwiegend echter
Bergtourismus gefördert und nicht der leider auch naturverächterische Handelstourismus.
Auch hier zeigt sich, dass opferbereite Liebe zu den Bergen, zur Heimat stärker sein kann
als ein ungesunder Geist der Bequemlichkeit, überzeugungskräftiger als kleinliche
Komfortjägerei.
Die Notunterkunft ist ungefähr auf halber Strecke zwischen den Hütten Bâlea-See und Negoi in 2147 Meter Höhe gelegen, 60 Meter östlich vom Călţun-See und vom markierten Hauptweg, auf einer Anhöhe im Schutze des 2522 Meter hohen Călţun-Gipfels (Lespezile). Ein Pfeil mit doppelseitiger Indikationstafel in vier Sprachen, auch bei Nebel nicht zu verfehlen, weist die Touristen auf die Biwakschachtel hin.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 76, S. 225 – 233)
Seite | Bildunterschrift |
---|---|
226 | Blick auf Călţun-See und –Spitze. Rechts der Einstieg in die Strunga Doamnei. Der Pfeil deutet auf den Platz der Notunterkunft beim Călţun-See. |
227 | Toma Boerescu (1912 – 1975), er war der Gründer und Leiter der Salvamont- Gruppe Sibiu. |
228-o | Transport der Blechtafeln. Auch Dr. Nicolae Ivan, der Arzt des Bergrettungsdienstes, hat Tafeln geschleppt. |
228-u | So wurde die Notunterkunft zusammengestellt. |
229 | „Maurer“ am Werk. |
230 | Călţun-See mit Biwakschachtel. Im Hintergrund: Arpaşul Mare, Buda, Muşeteica- Grat. |
231 | Beim Wegweiser. im Hintergrund die fertige Notunterkunft. |
232 | Winteraufstieg in die Fogarascher. |
233 | Călţun-See und Lăiţelul-Spitze. |