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Es klappert die Mühle am rauschenden Bach…

Ein Spaziergang durch ein Stück Landschaft und Geschichte

von Herbert Hoffmann

Wer entsinnt sich nicht gelegentlich, durch einen unbedeutenden Anlass angeregt, längst vergangener Tage der Kindheit, der Abzählreime und uns heute naiv anmutenden Texte der Lieder und Erzählungen. Und unwillkürlich empfindet man so etwas wie Zeitweh…
Es war mitten auf einer Radtour, irgendwo zwischen Karansebesch und Orschowa, da fiel mir völlig unerwartet das Lied von der Mühle am rauschenden Bach ein, während ich entlang des Temesch der leicht ansteigenden Straße folgte…
Es war dort oben, wo sich das Banat so völlig anders zeigt, als man es zu kennen meint, dort, wo sich die Täler der Tscherna, der Nera und der Karasch immer mehr verengen, der Wald immer näher rückt und der Wanderer, nach vielen Wegstunden durch wildschöne Natur, längst die letzten menschlichen Siedlungen hinter sich wähnt. Plötzlich weitet sich das Tal und gibt den Blick auf ein Stück Welt frei, wie sie nur ein Dichter unter den Malern, ein Ruysdael oder Hobbema zu ersinnen vermag.
Ein unwahrscheinlich blauer Himmel wölbt sich über einem Amphitheater aus Fels, Herbstwald und grünen Wogen und Wiesen, Felder und Gärten, aus denen die steilen Pyramiden der Schindeldächer aufragen. Quer durch das Bild zieht sich das lässig hingelegte, quirlende Band des Wildbachs, und aus dem Dickicht von Weiden und Haselbüschen ertönt ein verhaltenes Geräusch, ein synkopiertes Rauschen oder knirschendes Pochen, als einziges Zeichen menschlicher Gegenwart, das „Klappern“ der Mühle. Sonst nur natürliche Frische, Unberührtheit und patriarchalische Stille…
Hier bilden noch Rückenkorb, Zwerchsack und Packsattel die wichtigsten Beförderungsmittel. Und auch heute noch mahlt man den Roggen und den Mais, denn Weizen gedeiht hier oben nicht, in kleinen, spielzeughaften Wassermühlen vom Ausmaß eines Radbrunnens und mit Mahlsteinen von Suppentellergröße…

Mühlen. Wassermühlen, Mühlen, wie weit zurück liegen doch ihre Anfänge. Irgendein Pfahlbaubewohner zerrieb einen Grassamen zwischen zwei Kieseln. Sein schwarzer Bruder im heißen Afrika benutzte den Stein als Walze, die er auf einer Platte hin- und herrollte. Die Kelten und Römer meißelten sie dann schon aus Porphyr oder Basalt, und noch im Mittelalter begleitete sie, die kegelförmige Handmühle, die Söldnerheere oder die Entdecker der neuen Welt auf ihren Zügen und Fahrten.
Heute noch benutzt sie der Töpfer, wenn er die farbigen Erden zerreibt oder die Smalte (ein Kobaltpigment) zubereitet. Mühle, Handmühle. Der Schritt von der Handmühle zum Mahlmechanismus scheint uns Vertretern einer Menschheit, deren Väter bereits die Luft eroberten, kaum beachtenswert. Und doch welch weiter Weg. Aber gar die Anwendung von Naturkräften, von Wind und Wasser. Nun genügte ein Steinmetz allein schon längst nicht mehr. Da mussten Erfinder, Mechaniker würden wir sie heute nennen, her. Wie viele, völlig neue und komplizierte Fragen: Erfassen der Energiequelle, das bedeutet Mühlkanal. Stauvorrichtung, d. h. Wehr, Beschickung, Rechen zum Auffangen angeschwemmter Fremdkörper. Dann der Antrieb selbst: das Wasserrad, ober- oder unterschlächtig, je nach Gefälle und Wasserverhältnissen, die Übertragung, Wellbaum, Zahnrad, Kammrad, Stockgetriebe… und schließlich der Mahlgang selbst, Läufer und Mahlstein, Rüttelschuh zum Regeln der Mahlgutzufuhr und so weiter. Und das alles vor vielen Hunderten von Jahren, als es weder Drehbank noch Schweißgerät gab. Und wie groß die Erfinder waren, die dieses alles schufen, beweist die Tatsache, dass die Mühle, wie etwa der Pflug, viele viele Jahrhunderte hindurch kaum wesentlich verbessert wurde, in Ost und West die gleiche war und blieb und brav am Bache klapperte…
Das war die Mühle der großen, kräftigen Wasserläufe des Hügellands und der Ebene. Alle Fragen, vom Überfluss der Schneeschmelze bis zur geringen Geschwindigkeit, ließen sich irgendwie lösen. Was jedoch tun, wenn es sozusagen jahraus, jahrein nur wenig Wasser gibt. Doch auch hier fand sich die Lösung, die verlängerte Rinne und… das Löffelrad, das heute noch im bergigen Banat das tägliche Brot mahlt.

Da stehen sie auf ihren hohen Stelzen aus Eichenpfählen oder auf wuchtigen Steinsockeln, grau und knorrig die Wände und silbrig glänzend das Schuppenwerk der Schindeln. Unten, zwischen Farnwedeln und Brennnesseln, umfunkelt von Myriaden feiner Tropfen, der surrende Quirl des Löffelrads spinnt den Faden der Zeit, seit…ja, wohl wie viel Jahrhunderten?
Einer der schönsten Vertreter dieses Mahlmechanismus findet sich im Deutschen Museum München und zeigt die einfache und doch so vielsagende Beschriftung „Rumänische Löffelradmühle“. Und das will für einen von schwieligen Bauernhänden geschaffenen Gegenstand was heißen. So scheint’s aufs Erste. Bedenkt man jedoch, dass es sich um den anonymen Vorgänger der Peltonturbine der Moderne handelt, ändert man vielleicht die Haltung diesem kleinen Meisterwerk gegenüber, das lediglich aufgrund empirisch erworbener Kenntnisse der Mechanik und Technologie zustande kam.
Je höher man steigt, umso enger werden die Täler, die Wasserläufe immer schmäler und die Mühlen winziger und winziger. Dort, wo schließlich vom Bach nur noch ein silbriger Faden übrig geblieben ist, dessen Tätigkeit sich auf Plätschern und Murmeln zu beschränken scheint, stellt man mit erstaunen fest, dass sogar dieses bescheidene Rinnsaal noch als „Wasserkraft“ fähig ist, Mühlen zu treiben. Wie das möglich ist? Nun, dieser Winkel ist schon derart voller Wunder, was die Natur und ihre Geschöpfe anbetrifft, dass es eigentlich niemand überraschen sollte, wenn zu all den bisherigen noch ein technisches hinzukommt, das sich uns hier zwischen Moospolstern und Kalksteinbrocken zeigt. Als der Mensch nämlich feststellte, dass aus dem Wenig nun schon sozusagen Nichts geworden war, verwandelte er die steile Fallrinne in ein geschlossenes Fallrohr, dessen unteres Ende er noch verengte und so den einfachen Fall des Wassers in komprimierten Druck umwandelte, der, richtig auf entsprechend kleine Turbinenpaletten auftreffend, selbst einen Mahlstein zu drehen vermag. Doch da die Mahlgänge immer kleiner werden, muss die Anzahl der Mühlen entsprechend anwachsen. Und Rudăria, mit seinen neun Schwalbennestern gleich in den Felswänden hängenden Exemplaren fällt neben anderen Ortschaften wie Sviniţa mit 23 und Plugova, Cornereva u. a. mit noch mehr gar nicht ins Gewicht.
Natürlich leistet ein solches Mühlchen nicht allzu viel, und um einen Sack Roggen oder Mais in Mehl zu verwandeln, muss man schon Geduld haben und warten können beziehungsweise über die nötige Zeit und entsprechende Nerven verfügen. Doch all das gibt es hier oben, wo das Chronometer sozusagen beim Stand der Sonnenuhr stehen blieb und die Zeit in Mondphasen oder in ihrem Verhältnis zum Almauf- und –abtrieb gemessen wird. Wo die Tore der Ortseingänge Abend für Abend richtig verschlossen werden und die Einheimischen die stoische Ruhe von Tibetanern zu besitzen scheinen. Und da so etwas an Langsamkeit auch der beste Müller nicht überleben und sich schleunigst auf die legendäre Wanderschaft begeben würde, die ja allgemein als des Müllers Lust bezeichnet wird, überwacht jeder Bauer sein Mahlgut selbst, wie es aus dem Rüttelschuh zwischen die beiden Mahlsteine rieselt.
Doch gibt es beileibe nicht nur diese kleinen oder die mittelgroßen Exemplare, sondern vielmehr auch beachtlich große Vertreter mit drei und vier Mahlgängen. Zwar fehlt es ihnen an Eleganz und Silhouette und sie stehen da wie richtige Nilpferde, auf klobigen kurzen Piloten im schlammigen Ufersand der Nera oder am Topolog oder dem Jaleş in der Oltenia, so richtig Mammuts an Größe und Leistung, decken sie doch spielend den Bedarf eines Dorfes, ja eines ganzen Tales. Allerdings ist auch der Wasserlauf längst ein ganz anderer geworden. Er hat die Phase der romantischen Quelle oder des gernegroßen Wildbachs längst hinter sich gelassen, der während der Schneeschmelze tobt und randaliert wie eine Horde zechfroher Paukbrüder und im Hochsommer eher einem Wadi aus Karl Mays „Durch die Wüste“ ähnelt. Er ist inzwischen zu einem behäbigen und gediegenen Fluss angewachsen, aus dem man ohne weiteres einen Mühlkanal ableiten kann, an dessen Ufer die Mühle nun, vor allen möglichen Fährnissen wohl verwahrt, ihren emsigen Rhythmus pocht, inmitten von Korbweiden, Erlen und Silberpappeln. Bedient von einem Müller, der seiner Mühle weder an Behäbigkeit noch an Gediegenheit nachsteht. Die Mühle steht hier nach Schenke und Rockenstube ja gleich an dritter Stelle. Hier versammelt sich schließlich alt und jung von nah und fern und tauscht Neuigkeiten aus. Rundum stehen Wagen und Karren. Es wird geschmaust und gezecht und manch Schnickschnack getrieben, um die Zeit zu verkürzen. Denn wer zuerst kommt, mahlt zuerst, und alle übrigen müssen brav warten, bis an sie die Reihe kommt. So spielen die einen Karten, die anderen begutachten ein neu erworbenes Pferd oder besprechen die letzten Marktpreise. Unterhalb der Mühle aber im seichten Uferwasser tummeln sich schnatternde Enten, grunzende Ferkel und quiekende Gören, kunterbunt durcheinander, wie auf einem Genrebild Adriaens van Ostade. Mitten drin aber klappert die Mühle am rauschenden Bach, klipp, klapp…

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm mit 76, S. 82 – 86)

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