von Dr. Corina Nicolescu
Zwischen dem mittleren Becken der Marosch und den Quellen des Strei-Flusses liegt ein ausgedehntes Tal, das zu den an dakisch-römischen und feudal-rumänischen Hinterlassenschaften reichsten Zonen Siebenbürgens gehört. In großen Zügen entspricht diese Gegend geographisch dem alten Einzelfürstentum von Hatzeg, eine jener „terrae valachicae“, die in ungarischen Urkunden erscheinen. Heute bildet es dank all der Sehenswürdigkeiten aus alter und neuerer Zeit, die es zu bieten hat, einen besonderen Anziehungspunkt für Touristen.
Fährt man, von Arad kommend, durchs Marosch-Tal, empfiehlt sich ein wenn auch nur auf
Stunden berechneter Aufenthalt in Deva, einer malerischen und gastfreundlichen Stadt, in
180 Meter Höhe, am Rande des Poiana-Rusca-Gebirges gelegen, genau an der Kreuzung
der Wege, die den Westen mit dem Süden Siebenbürgens und weiter mit Oltenien
verbinden. Schon im XIII. Jahrhundert war die Stadt das wichtigste Verwaltungs- und
Militärzentrum des Gebiets.
Auf der 184 Meter über der Stadt aufragenden felsigen und bewaldeten Anhöhe wurde um
1250 eine Königsburg erbaut. Sie gehörte zu der Burgkette, die einige Jahre nach dem
Tatarensturm 1241 errichtet worden ist. Von dieser einsamen Höhe aus beherrschte die
Burg Deva das ganze Hatzeg-Land und einen großen Teil des Marosch-Tales.
Von der Burg aus erschließt sich dem Beschauer ein weiter Ausblick auf die Landschaft der
Umgebung und die Ruinen, die auch jetzt noch über der Marosch-Straße zu wachen
scheinen. Den schäumenden und gischtenden Strei entlang führt die Landstraße dann nach
Südwesten, bis, 21 Kilometer von Deva entfernt, die Rauchfahnen aus den Hochöfen von
Kalan sichtbar werden. Zur Römerzeit bestand dort ein Thermalbad. In der Neuzeit, 1853,
wurde dann eine kleine Fabrik gegründet, die Gusseisen und gusseiserne Waren erzeugte.
Als Rohstoff diente Eisenerz aus Teliuc und Ocna de Fier. Seit 1952 wurde die
Industriesiedlung ständig vergrößert und nahm allmählich städtischen Charakter an. Das
Neubauviertel dehnt sich jetzt über den Berg aus, auf dem das Dorf Strei-Sângiorgiu liegt,
das einmal zum Herrschaftsgebiet der rumänischen Fürstenfamilie Cândea gehörte, an die
noch viele erhaltene Baudenkmäler im Strei-Tal erinnern.
Bei der Einfahrt in Kalan, etwa einen Kilometer vom Bahnhof entfernt, erhebt sich einsam auf
einer kleinen Anhöhe am Rande des Friedhofs die Kirche von Strei, eines der ältesten und
bedeutendsten rumänischen Baudenkmäler Siebenbürgens. Die Bauernhäuser ringsum, die
Pflaumen- und Apfelpflanzungen entziehen sie den Blicken, so dass man aus der Eisenbahn
nur den pyramidenförmigen Turmknauf an der Westfassade erblickt. Von der Landstraße
führt ein Fußpfad zum Friedhof, der in unmittelbarer Nähe der Häuser liegt; die Kirche taucht
überraschend auf: Über einem rechteckigen Grundriss erhebt sich der massige, niedere
Unterbau, der etwas eingetiefte, ebenfalls rechteckige Altarraum, gleichsam überwältigt von
dem wuchtigen, drei Stockwerke hohen steinernen Turm an der Westseite, der über der
Eingangspforte aufragt.
Das erste, was dem Besucher auffällt, ist der verwendete Baustoff – Fliesen, Grabstelen,
Bruchstücke von Altären mit lateinischen Inschriften, alte Ziegel usw., lauter Reste alter
römischer Bauten, die es in der Umgebung einst gab und die die Ortsansässigen im
Mittelalter wieder verwendeten. Die Kirche von Strei gehört durch ihren schlichten Baustil
und einige Besonderheiten ihrer Malerei in romanischem Stil zu den frühesten rumänischen
Baudenkmälern von der Wende des XIII. zum XIV. Jahrhundert. Der wuchtige Turm auf der
Westseite diente sicherlich in erster Linie als Wachtturm und erhebt sich über einem aus
grob gehauenen Steinblöcken gefügten Eingang, der einen gebrochenen Bogen bildet. Im
Giebelfeld des Eingangs befindet sich eine schöne Wandmalerei. Der rechte dunkle
Innenraum der Kirche wurde in späterer Zeit durch Hinzufügung einer gemauerten Stirnwand
entstellt, das Kirchenschiff trug früher sicherlich ein halbzylinderförmiges Bogengewölbe.
Wenn sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt hat, erkennt man allmählich auf der Wand
der Apsis die Umrisse einer Reihe von Aposteln, genau und energisch gezogen wie die
Miniaturen mittelalterlichen Buchschmucks in Dunkelbraun und Weiß vor einem azurblauen
Hintergrund. Die Namen der Apostel erscheinen hier in kirchenslawischer Schrift und Form,
wie das in Kirchenbauten jener Zeit südlich und östlich der Karpaten häufig anzutreffen ist.
Dank einer vor kurzem vorgenommenen Säuberung der Wände traten weitere
Wandmalereien hervor, bekannte biblische Szenen, so dass sich unsere Kenntnis von dieser
romanischen Periode der rumänischen Kirchenfresken um neue Einzelheiten bereicherte.
Diese bescheidene Kirche, vielleicht eine ehemalige Schlosskapelle rumänischer Fürsten,
deren Herrschaftsgebiete hier lagen, hinterlässt einen tiefen Eindruck von Wucht und den
Zeiten trotzender Dauer. Zum Teil ist dieser Eindruck aber auch der Spontaneität und
überraschenden Freiheit zu verdanken, mit denen der namenlose Künstler die Gestalten der
Apostel besonders schwungvoll in den Konturen schuf. Ihrem Stil nach gehört die Malerei
von Strei zu der romanischen Schule, die für Mitteleuropa noch spät, bis ins XIII. – XIV.
Jahrhundert, kennzeichnend war.
Jenseits der Brücke, etwa fünf Kilometer vom Industriezentrum Kalan entfernt und von den
Neubauten der letzten Jahre halb versteckt, liegt eine Stiftung der Familie Cândea, die durch
ihre Proportionen, den Grundriss und die Gewölbeart unmittelbar an die Kirche von Strei
erinnert. Die Wandmalerei der Kirche wurde, wie eine Inschrift aus dem Jahre 1743 in
kyrillischer Schrift und rumänischer Sprache bezeugt, vom Malermeister Sandor Gheorghe
aus Fogarasch instand gesetzt und hat daher viel von ihrem altertümlichen Stil und ihrem
ursprünglichen Zauber eingebüßt. Bewahrt haben sich vor allem die alten ikonographischen
Themen. Die Gestalten der Stifter, Jupan Laţco, gefolgt von seiner Gattin Nistora auf der
einen Seite, und Jupan Kendreş mit seinem Sohn Vlaicu auf der anderen, sind in derselben
rituellen Haltung dargestellt, der wir in den Kirchen der Walachei begegnen. Eine
altslawonische Inschrift nennt auch das Datum: 1408. Trotz den sichtbaren Spuren einer
späteren Übermalung bewahren die Bildnisse der Fürsten aus dem Geschlecht der Cândea
dank den Linien der Augen und des Gesichtsovals, den Handbewegungen und ihrer ganzen
Haltung eine besonders vornehme Feierlichkeit. Über Jahrhunderte hinweg erinnern sie an
die Welt der rumänischen Adeligen, die noch im XIII. und XIV. Jahrhundert an der Spitze
jener „terrae valachicae“ standen, die überall, von der Maramureş bis Oltenien, erwähnt
werden.
Von hier aus führt die Straße durch ein Hügelland, vom Strei durchzogen, dessen Tal sich
stellenweise verengt, bis sie zur ehemaligen Hauptstadt des Gebiets von Hatzeg gelangt. 3 –
4 Kilometer von dieser Stadt entfernt, in Sântă Mariă-Orlea, in unmittelbarer Nähe der
Landstraße, erhebt sich die Kirche der Familie Cândea und auf der anderen Seite der Straße
befindet sich ein heute in Ruinen liegendes Gasthaus aus dem XVII. Jahrhundert, also recht
jungen Datums.
In architektonischer Hinsicht ist auch diese Kirche in romanischem Stil gehalten, jedoch
größer und prunkvoller. Einige altslawonische Inschriften auf dem Altar und Fragmente von
Apostelporträten weisen ikonographische Ähnlichkeiten mit der Kirche von Strei auf. Das
Schiff bewahrt eine der schönsten Wandmalereien byzantinischen Stils, die es auf
siebenbürgischem Boden gibt. Die Freske entstand zu Beginn des XIV. Jahrhunderts.
Selbst der Laie erkennt mit Leichtigkeit die wesentlichen Unterschiede zwischen den zwei
Wandmalereien, die verschiedene Schulen und künstlerische Auffassungen verraten. In Strei
haben wir großflächige Figuren vor uns, die durch eine gewisse graphische Linienführung
gekennzeichnet sind; hier hingegen sind die Gestalten statuenhaft modelliert; der reiche
Faltenwurf der Gewänder lässt die Anmut der Bewegungen und die Linien der Glieder
ahnen, genau wie es in der byzantinischen Malerei jener Zeit der Fall ist. Zusammen mit dem
Ensemble der Sf.-Nicolae-Schlosskirche von Curtea de Argeş ist die Wandmalerei von Sântă
Mariă-Orlea sicherlich das schönste Beispiel byzantinischer Fresken in unserem Land.
Ebenfalls von Hatzeg aus gelangen wir auf der Landstraße, die nach Karansebesch führt, in
18 Kilometer Entfernung nach Sarmizegetusa. Die wohlerhaltenen Reste aus der Römerzeit
erinnern an „Dacia Traianae“, das römische Dazien und seine Hauptstadt an derselben
Stelle, zu Ehren des Kaisers, des Eroberers Daziens, Ulpia Traianae oder Augusti
Sarmizegetusa genannt, wo der Vertreter des Kaisers, legatus Augusti, residierte. Heute
befindet sich dort nur eine kleine Ortschaft, berühmt für ihre römischen Hinterlassenschaften,
die vom einstigen Amphitheater und von den Ruinen des Augustaliertempels, der Kultstätte
der Kaiserverehrung, beherrscht werden. Die Ortschaft ist auch noch aus einem anderen
Grund für Touristen wichtig: Von hier kann man nämlich ins Retezat-Gebirge wandern.
Die Römerstadt dehnte sich innerhalb quadratischer Befestigungswerke, von Gräben
umgeben, auf mehreren Hunderten Quadratmetern aus. Freigelegt wurden bis heute das
Amphitheater, das Forum, der erwähnte Tempels des Kaiserkults, wo die Priester dieses
Kults, Aedes Augustalium, das Ritual versahen, und die Ruinen des Nemesis-Tempels, der
Göttin der Vergeltung. Im Norden der Stadt wurden zahlreiche römische Nekropolen
(Begräbnisstätten) entdeckt, aus denen eine Reihe von Sarkophagen und Grabstellen mit
Skulpturenreliefs stammen, die heute im Lokalmuseum wie in anderen Museen des Landes
zu sehen sind.
Je mehr wir uns dem imposanten Retezat-Massiv nähern, desto steiniger und schwieriger
werden die Wege. Wir kommen durch das malerische Dorf Clopotiva, dessen Geschichte
seit dem XIV. Jahrhundert bekannt ist, durch den Weiler Suseni, durch das immer engere Tal
des Râuşor bis zu einem Engpass, von dem aus der alte Weg ausging, der einst das
Hatzeger Land mit der Schil-Senke im Karpaten-Vorland verband. Zwei alte Bauwerke
wachen über diesen Pass: Am rechten Bachufer liegt auf einem einsamen, felsigen
Bergsporn die noch immer beeindruckende Ruine der Colţea-Kirche des Dorfes Râu de Mori
und eine halbe Wegstunde weiter nördlich von der Kirche auf einer 726 Meter hohen
Felswand die Colţea-Burg. Die Fragmente von Wandmalereien im Inneren der Ruinen und
zum Teil auch an den Außenwänden beweisen, dass es sich um bedeutende Werke handelt,
die stilistisch mit den Kirchenfresken im Süden der Karpaten verwandt sind. Urkundlich
belegt ist, dass auch diese Gegend noch zum Herrschaftsgebiet des Geschlechts der
Cândea gehörte; Kirche und Burg wurden auf Geheiß eines gewissen Colţea errichtet,
dessen Name sich erhalten hat und der höchstwahrscheinlich dieser Familie angehörte. Für
Bergsteiger und Freunde von Waldwanderungen beginnt hier ein schmaler Weg zu den
Bergpfaden, die zum großen Retezat-Massiv ansteigen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 76, S. 118 – 126)
Seite | Bildunterschrift |
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119 | Kartenskizze |
121 | Westfront der Kirche in Strei. 13. – 14. Jahrhundert |
122 | Stifterbildnis (Nistora) – Wandmalerei aus dem Kirchenschiff (naos) in Streiu Sângiorgiu. Anfang 15. Jahrhundert |
123 | Westfassade der Kirche in Sântă Măria Orlea. 13. Jahrhundert |
124 | Porträt der Kaiserin Helena in byzantinischem Kostüm. Detail der „Kreuzaufrichtung“ – Fresko von der Nordwand des Kirchenschiffes in Sântă Măria Orlea. Anfang 14. Jh. |
125 | Ruine der Kirche in Râu de Mori. 14. – 15. Jahrhundert |