home - Komm mit - 1976 - Aus der Bummelbahn gesehen
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren
drucken

Aus der Bummelbahn gesehen

Auch eine Eisenbahnfahrt vermittelt unvergessliche Reiseerlebnisse

von Lia Gross

„Eine Bahnfahrt, die ist lehrreich, / eine Bahnfahrt, die ist schön... / denn da kann man unsre Berge / aus dem Bummelzuge sehn.“ Obwohl nur wenige unserer Eisenbahnzüge Bummelbahnen sind und obwohl die rumänische Landschaft viel mehr als nur Berge zu bieten hat, ist an obigem (vom Original „leicht“ abweichenden) Versen doch etwas dran. Landschaft im Allgemeinen ist für den, der etwas dafür übrig hat, schön, richtig einladend; Berglandschaft schöner, weil vielfältiger, abwechslungsreicher, beeindruckender. Und wie könnte man sie besser genießen als per pedes? Nun, das geht, wenn man nicht allzu weit gelangen will. Hat man aber weitere Strecken im Ausflugs- oder Urlaubsprogramm, ist man gezwungen, ein Fahrzeug zu benützen. Und das wäre außer dem Auto am besten die alte gute Eisenbahn.
Leider ist es heutzutage so, dass jeder Reisende, selbst der Urlauber, schnell ans Ziel gelangen will. Autos und Züge können ihm nicht schnell genug fahren, wenn’s geht, fliegt man. Tempo! Zeit sparen!
Wie falsch ist doch solch eine Einstellung! Das Arbeitstempo müssen wir zu Hause lassen, wenn wir den Urlaub so recht genießen, wenn wir richtig ausspannen wollen. Am besten beginnt man damit schon bei der Anreise. Geht der Weg durch eine schöne Gegend, lassen wir sie in aller Gemütlichkeit auf uns einwirken! Warum nicht auch im Bummelzug?
Nehmen wir mal zum Beispiel das Arieş-Tal und seine Mocăniţă (Der Betrieb der Schmalspurbahn „Die Bergbäuerin“ wurde 1997 eingestellt). Für 94 Kilometer braucht sie sage und schreibe 4 ½ Stunden. Ist das verlorene Zeit? O nein! Was man während dieser Frist zu sehen kriegt, könnte man aus einem Eilzug – den es hier, Gott sei Dank, gar nicht gibt – oder aus einem sausenden Auto nur „im Laufschritt“ mitnehmen, man hätte nicht die nötige Zeit, alles – mal rechts, mal links, mal näher, mal in weiter Ferne – zu erfassen, die schöne Gegend mit Muße zu betrachten. Eine Fahrt mit der Mocăniţă von Turda bis Câmpeni (eventuell auch noch mit Unterbrechungen und Abstechern zu den touristischen Objektiven dieser Zone) ist die richtige Ouvertüre zu einer fahrt ins Motzenland, in die an Erlebnissen so reichen Westkarpaten.
Andere Bahnlinien durchschneiden unsere Karpaten, wo sie am höchsten sind, so die Linie Bukarest – Braşov, die das Prahova- und das Tömöschtal entlangführt und an der Wasserscheide – bei Predeal – mehr als 1000 Meter Höhe erreicht. Die Szenerie des Prahovatals dürfte allgemein bekannt sein und kann trotz Großartigkeit des Panoramas wohl nur noch solche Reisende beeindrucken, die diese Strecke zum ersten Mal befahren. Dass auch die anderen Reisenden zwischen Sinaia und Tömösch gerne zum Fenster hinausschauen, ist – besonders an klaren Tagen – weiter nicht verwunderlich.
Bedeutend beeindruckender, weil enger die Täler, wilder die Landschaft, gewagter die Streckenführung sind die Fahrten durch das Alttal und noch mehr durch das Schiltal, wo im Abschnitt Bumbeşti – Livezeni an die 40 Tunnels und weit über 100 Brücken und Viadukte auf nur 30 Kilometer Strecke kommen. Die Steigung ist groß, die Windungen sind eng, so dass selbst Eilzüge hier nur in besserem Schneckentempo vorwärts keuchen. Da die Bahnlinie in beträchtlicher Höhe über der Talsohle verläuft, hat man das ungute Gefühl, auf einem schmalen Bergband zu balancieren, unter sich den Abgrund. Die Ausblicke jedoch, die sich einem auf dieser Strecke – einer der ersten Jugendbaustellen unseres Landes – , die 1948 fertig gestellt wurde, bieten, sind großartig, von wilder Schönheit, und lassen einen bald alles andere vergessen.
Unwillkürlich fliegen die Gedanken zu einem anderen Bahnabschnitt, ebenfalls Bauprojekt der Jugend, ebenfalls in unwegsamen Gelände, desgleichen eine bitter nötige Verbindung herstellend, ebenso meisterhaft ausgeführt, von jugendlichem Enthusiasmus und patriotischem Elan zeugend: die Strecke Salva – Vişău.
Die neueste Bahnlinie, wert befahren zu werden, ist die entlang der Donau zwischen Turnu Severin und Orschowa. Sie ist eigentlich nicht neu, nur neu verlegt, etwas höher in das bergige Ufer des großen Stausees. Es schreibt sich leicht: neu verlegt. Was jedoch an Arbeit, an Kampf mit dem Berg dahinter steckt, können nur die Erbauer selbst ermessen. 35 Prozent Kunstbauten (Tunnels, Viadukte) waren nötig, um diese Bahnlinie wiedererstehen zu lassen. Dennoch gilt die Aufmerksamkeit der Reisenden keinesfalls dem Berg, sondern hauptsächlich dem Ausblick auf den Donau-Stausee, auf die neue Landschaft im alten Land. Hie und da – bei einer Biegung – ein neugieriger Blick vorwärts, ein staunender Blick auf Tunnel, die wie Galerien aussehen, da sie gegen die Seeseite offen sind, nur von Säulen gestützt.
Zum krönenden Abschluss ein gut gemeinter Tipp: eine Fahrt mit der „rumänischen Semmeringbahn“ – eine Reise mit dem Bummelzug von Orawitza nach Anina. Sie werden es nicht bereuen! Es ist die älteste Bergbahn des Landes und, obwohl 1863 eröffnet, noch immer einzig in ihrer Art. Eine für damals außergewöhnliche technische Leistung lässt uns heute noch staunen. Obwohl die Entfernung zwischen Orawitza und Anina in der Luftlinie nicht mehr als 15 – 16 Kilometer beträgt, misst die Bahnstrecke 34 Kilometer. 14 Tunnels und 10 Viadukte (der größte, der Jitin-Viadukt, ist 37 Meter hoch und 131 Meter lang), zahlreiche enge Kurven sowie der Höhenunterschied von 338 Meter bringen es mit sich, dass die Fahrzeit fast drei Stunden beträgt, aber wer merkt das schon!
Da wäre noch eine Kleinigkeit: Parallel zu den meisten Eisenbahnlinien verläuft auch eine Autostraße, so dass überzeugte Autofahrer ungefähr dasselbe erleben und erblicken können wie die im Zug Reisenden. Die Strecke Orawitza – Anina jedoch ist ausschließlich eine Eisenbahnstrecke, wer sie erleben will – und sie ist ein Erlebnis! – muss den Zug benützen. Dass damit die Zahl unserer durch schöne und noch schönere Gegenden führenden Eisenbahnlinien bei weitem nicht erschöpft ist, mag wohl jedem einleuchten. Dieser Artikel will nur als Anregung aufgefasst sein, entdecken kann jeder auf eigene Faust.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 76, S. 106 – 110)

Seite Bildunterschrift
 
107 Rechts vom Alt die Landstraße, links die Bahnlinie. So schlängeln sich die Wege, immer den Fluss entlang, durch Berg- und Hügelland.
108 Tunnel und Brücken wechseln im Schiltal in dichter Folge einander ab.
109 Im Alttal: die Eisenbahnlinie bei der „Trajanstafel“ (Masa lui Traian).
nach oben nach oben