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Auf der Ciucaş-Spitze – was nun?

Kleiner Tipp für sitzmüde Autofahrer

von Simon Schmidt

Manchem scheint die höchste Erhebung des Krähensteins (Ciucaş) – 1959 m – Endstation seines Ausflugs. Nach einem Rundblick auf das Buzăuer Land mit seinen stattlichen Ortschaften Vama-Buzăului, Sita Buzăului und Intorsura Buzăului, verweilen die Augen noch einmal abschied nehmend auf Plaiul Domnesc und Colţii Natrii (1583 m), bevor man sich endgültig zu den beiden markierten Abstiegen in den Tigăile-Sattel oder zur Ciucaş-Hütte entschließt. Zwar lockt ein schmaler Schafsteg weiter auf den Kamm, nordwestwärts – darf man sich aber auf ihn verlassen? Führt er nicht zwischen Schluchten und Schründe, irgendwohin in die Irre?
Probieren geht über studieren. Stimmt! Im Gebirge und bei solchen Höhen aber nur unter einer Bedingung: Gutes Wetter!
Setzen wir voraus, es ist da, und verfolgen wir etwa zehn Minuten den knapp unterhalb des Grates erspähten Pfad. Leider aber ist er nur allzu schnell zu Ende, und wir blicken ratlos auf abstürzendes Konglomerat. Nach vorne gibt es kein Weiter; nach rechts – kaum Chancen auf irgendwelche vernünftige Ankunft; links aber, links unter uns… gar nicht so ohne diese grasbewachsene Schutthalde, die in eine erdige Rachel mündet! Wir steigen vorsichtig ab, Profil krallt sich fest in silbriges Gras, alles geht weitaus leichter als wir dachten. In nur fünf Minuten stehen wir am Eingang der Rachel, die sich, näher besehen, gar nicht so ungastlich erweist.
Um das Schuhwerk zu schonen, halten wir gut nach links, wo kräftiges Grün wuchert, und nachdem wir perfekt Fuß fassen, schwingen wir uns sogar übermütig aus dem Kamin heraus und steigen auf einer grasbewachsenen Felsrippe, die seine linke Seite bildet, problemlos abwärts, dem ausgedehnten Delghiu-Tal zu.
Doch halt! Müssen wir tatsächlich hier hinunter, um nachher, eine halbe Stunde lang vielleicht, wiederum beschwerlich aufzusteigen? Wir bleiben stehen und sehen uns gründlich um. Zeit dazu ist genug, seit unserer Abzweigung vergingen ja erst vierzig Minuten. Wir erwägen: Zurück in den Kamin? Die gleiche Abstiegschance bietet ja auch die Rippe. Aber links, wiederum links (südwestwärts) in die parallel verlaufende Runse hinunter und dann auf die nächste Rippe hinauf. Sollte sich von dort keine Querungsmöglichkeit bieten? Ein schmales Felstor, leider ebenfalls erdig, das direkt auf die Grasrippe hinaufführt, wäre es nicht ein perfekter Quergang?
Zwanzig, dreißig Schritte Abstieg, kräftige Klimmzüge an den griff- und trittsicheren Kaminwändchen, wir haben sie, die zweite Grasrippe, leider aber drängt auch sie dem Delghiu-Tal zu.
Endgültig aufgeben? Plötzlich entdecken wir, nur zwanzig Meter weit, unterhalb einer kleinen Felsnadel, wiederum unseren Schafsteg, der in weitem Bogen, die westlichsten Ausläufer der Tigăile Mari berührend, gemächlich dem Tesla-Grat zustrebt. Wir steigen vorsichtig aufwärts, der Fels wird schroffer, die Sohlen finden umso besseren Halt. Zwei, drei vorsichtige Seitenschritte, unter der Felsnadel können wir ausruhen und verschnaufen.
Was folgt, ist ein erfrischender Spaziergang durch Alpenrosen-, Wacholder- und Preiselbeerfelder. Mühelos erreichen wir den Teslakamm (in manchen Karten auch als Curmătura Teslei bezeichnet), von wo sich uns ein herrlicher Rundblick auf die von Wind und Wetter gerundeten Abstürze der Tigăie Mari, das Delghiu- und Babarunca-Tal bietet. Knappe fünfzig Meter unter uns machen wir den mit rotem Kreuz markierten Weg nach Babarunca beziehungsweise zur Ciucaş-Hütte aus.
Für Fotofreunde noch ein Tipp: Die Sonne leuchtet uns auf dieser Tour die Felsen der Cetatea Tigăilor perfekt aus, seltenes Glück also, unbekannte Krähensteinlandschaften schwarz-weiß oder in Farbe festzuhalten.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm mit 76, S. 60 - 64)

Seite Bildunterschrift
 
61 Kartenskizze: Gesamtansicht des Krähensteins
62 Ciucaş: das Doppelgesicht
63 Ciucaş: der „Altfrauenrat“
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