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Wo einst Gletscher zu Tal flossen

Eiszeit in den Ost- und Südkarpaten

von Alfred C. Schuster

Vor fast 100 Jahren überraschte die Entdeckung die Fachwelt, und eine rege wissenschaftliche Tätigkeit in dieser Richtung brachte Licht in das vereiste Dunkel einer geologisch nicht allzu weiten Vergangenheit. P. Lehmann, L. Mrazec, Gh. Murgoci, Em. de Martonne, Th. Kräutner, O. Phleps waren es, und in den letzten Jahren I. Nedelcu, Gh. Niculescu und Silvia Iancu, die sich eingehend mit dem Problem der Vereisung der rumänischen Karpaten befassten.
Heute wissen wir, dass geringe Höhe, kleinere Gebirgsstöcke und Meteo- und Klimabedingungen eine größere Ausdehnung der Eisdecke nicht möglich machten. Es ist bewiesen, dass größere Massive mit einer Durchschnittshöhe von über 1900 m ü. M. von Eis bedeckt waren, dessen Erosionsspuren mehr oder weniger gut erhalten sind.
Das Eis und seine Schmelzwässer formten die voreiszeitliche Landschaft erheblich um. Es entstanden Gletschertäler und Kare in den voreiszeitlichen Tälern, Steilrinnen und Quelltrichter. Eis und geologische Faktoren ließen Gletschertäler, Kare, Rundlöcher, Stufen, Schwellen und Terrassen, Moränen und Seen entstehen, die in vielen Fällen das derzeitige Antlitz unseres Gebirges prägten.
Die U-Form vieler Täler ist erhalten geblieben und oft gut zu erkennen, vor allem, wenn man von oben hineinsieht, aber die eindeutigsten Zeugen vergangener Vereisung bleiben die Kare.
Formverschiedenheit, Dimension und Vorkommen der Kare spiegeln sich treffend in der rumänischen Toponimie. Oft wurden Gattungsnamen zu Eigennamen: Căldări, zănoage (zănoaga sehr verbreitet), găur (in den Bucegi das Gaura-Tal, im Parâng der Găuri-Kessel), hârtoape, vârtoape (Hârtopul Ursului, Vârtop im Fogarascher Gebirge), găvane, cătunuri, gunduri u.a. lassen kaum vermuten, dass es sich immer um Kare handelt, die wie Horste in die Gebirgsflanken gemeißelt wurden.
Die Gletscherseen sind aus einem glazialen Relief kaum fortzudenken. Sie sind auch in allen einstmals von Eis bedeckten Massiven (außer den Bucegi) anzutreffen.
Die meisten liegen im Retezat (über 80), von denen der Bucura (10,8 ha) der größte, der Tăul Negru der tiefste (25,5 m) und der Tăul Custurii der höchstgelegene ist (2270 m ü. M.).
Im Fogarascher Gebirge sind 70 Seen, von denen der Bâlea-See der größte (4,65 ha), tiefste (11,3 m) und bekannteste ist. Im Parâng sind es über 20, im Zibinsgebirge 2 (Ezerul Mare und Ezerul Mic) und im Mühlbächer Gebirge bloß einer (Şurian-See).
Das Eis der Kare speiste die Gletscher, die als mehr oder weniger lange Eisströme zu Tale flossen. Davon zeugen die leider selten erhaltenen Stirn- oder Endmoränen. Heute wird angenommen, dass in den Karpaten kleine Plateau-Gletscher, Eiskappen, Kargletscher (pyrenäer Typ) und seltener Talgletscher (alpiner Typ) existierten. In welchen der vier alpinen Eiszeiten die Karpaten vom Eis bedeckt waren ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Man nimmt an, dass es die letzten zwei, die Riss- und Würmeiszeit, waren. Davon zeugen übereinanderliegende Kare, im selben Tal auf verschiedenen Höhen gelegene Erosionslinien sowie Endmoränen.

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Alle Gletschertäler oder Kare hier anzuführen, ist nicht Sinn dieser kleinen Einführung in die Eiszeit. Trotzdem wollen wir auf einige aufmerksam machen.
Im nördlichsten Teil des Landes, dem Maramureşer Gebirge, unter dem Grenzgipfel Pop Ivan (2026 m ü. M.), dem Farcău (1961 m ü. M.) und Mihailec (945 m ü. M.) sowie der Tororoga-Spitze (1939 m ü. M.) sind schöne Kare und kurze Gletschertäler mit kleinen, schon fast ganz ausgefüllten Seen anzutreffen. Im Sattel zwischen Farcău- und Mihailec-Spitze liegt in einer Mulde einer der zwei Passseen der Karpaten. Der andere, eher ein Tümpel, liegt in der Şaua Plaiului Mic (Culmea Păpuşii) im Retezat, an der Wegkreuzung Buta-Hütte – Bucura See und Piatra Iorgovanului – Drăgşan-Kamm – Custura. Diese Seen verdanken ihre Entstehung dem Überfließen des Eises über einen Bergrücken in zwei oder mehrere Richtungen. Dieses Phänomen, als Transfluenz bekannt, hat in der Eiszeit auch in der Portiţa Călţunului (Fogarascher Gebirge) und der Faţa Meiji (Rodna-Gebirge) stattgefunden.
Im Rodna-Gebirge sind in allen nach Norden und Osten orientierten Tälern Gletscherspuren erhalten. Auf der Südseite sind bloß ein paar Kare zu erkennen, und diese stehen stark im Schatten der Nordkare. Eiszungen flossen bis fast 1200 m ü. M. hinunter, an Seen sind außer dem Lala-See nur noch ein paar kleine Wasserlachen geblieben.
Von der Omul-Spitze (2507 m ü. M. – Bucegi-Gebirge) flossen Eiszungen in alle Richtungen, davon zeugen Kare und U-Täler, Schotterablagerungen und Moränen. Im gefächerten System der Ialomiţa, in der Valea Morarului und Cerbului, in der Valea Gaura und Urlătoarea sind auch noch Kare erhalten, die dank ihrem geologischen Aufbau sehr verschieden sind.
Eigenartig war der Mălăieşti-Ţigăneşti-Gletscher. Im oberen Teil überdeckte eine einzige breite Eismasse beide Täler und den Trennungsgrat, bloß im untersten Teil ragte der Grat zwischen beiden Tälern, so wie wir ihn heute kennen, aus dem Fels gemeißelt. Heute fehlen die Gletscherseen, und nur im Ţigăneşti-Tal verrät feuchter Schlammboden in einer Mulde, in der sich Schmelz- und Regenwasser sammelt, dass die steilen Felswände sich hier einst in einem Gletschersee spiegelten.
Das Fogarascher Gebirge verdankt seinen ausgesprochenen alpinen Charakter neben Höhe und geologischen Faktoren vor allem dem Eis, das zwischen dem Frecker (Avrig-) See und der Curmătura Zârnei gründliche Arbeit geleistet hat. Täler, Kare, Moränen, Rundlöcher, Terrassen, Schwellen, Stufen und nicht zuletzt Seen sind deutlich zu erkennen. Dieses Massiv war neben dem Retezat-Godeanu am stärksten vereist. Kare und Täler auf der Südseite bildeten verzweigte Systeme, deren Eiszungen 6 – 8 km zu Tal flossen (Buda- und Capra-Gletscher) und erst bei rund 1200 m ü. M. zu Wildbächen wurden.
Lotru-, Zibin- und Mühlbacher Gebirge waren nur schwach vergletschert. Eine der drei Eiskappen überdeckte die Gipfel Piatra Albă, Cristeşti und Stefleşti, und von hier flossen vier Eiszungen nach Süden in die Piatra-Albă-, Groapa-Steaja-, Haneş- und Balindru-Kare. Die größte Eiskappe bedeckte den Cindrel und die Frumoasa-Spitze. Der Ezerul Mare und Mic, jeweils in ein Kar hinter eine Moräne gebettet, sind die am besten erhaltenen Zeugen dieses kleinen Plateaugletschers.
Das Retezat-, Godeanu- und Ţarcu-Gebirge bildeten eine vereiste Einheit. Hier lagen Tal- und Hängegletscher wie im Fogarascher und Rodna-Gebirge neben- und übereinander. Der Bucura-Gletscher war der größte der rumänischen Karpaten (7 – 8 km lang). Die stark ausgeprägte Borăscu-Erosionsfläche im Godeanu-Massiv, an deren Rand die Kare steil abbrechen, verleiht diesem Teil der Karpaten einen besonderen Reiz, und oft entbrannten zwischen Kennern Streitgespräche, welches Massiv wohl das schönste sei.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 75, S. 114 –117)

Seite Bildunterschrift
 
116 Wo die Fogarascher am wildesten sind: Abschnitt Ciortea – Mâzgavu.
117 Der östliche Ciortea-Zacken. Im Hintergrund die Ausläufer des Mâzgavu.
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