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Wenn der Enzian blüht

Aus der Welt der Karpatenpflanzen / Kleiner Wegweiser für den botanisch interessierten Wanderer

von Erika Schneider

Im bunten Mosaik der Karpatenflora, in der Vielfalt aller ihrer Farben und Formen sind auch die Enziane als kleine Bausteine der Landschaft eingeschlossen. Die einjährigen Pflänzchen oder ausdauernden Kräuter sind als Frühlingsboten, Kinder des Sommers oder Herbstnachzügler an Waldrändern, auf Bergwiesen und Felsbändern, unter Geröllhalden und auf steinigen Alpenmatten anzutreffen. Zart und klein ins Gras geduckt, kaum gesehen und bekannt, leuchtend blau und auffällig, oder groß, mächtig und stolz entfalten sie sich immer wieder in ihrer ganzen Schönheit. Neunzehn Arten sind es, die im Bereich unserer Karpaten seltener oder häufiger vorkommen.

Gentiane, Intzken, Gelber Enzian

Seine Bekanntschaft mit dem Menschen geht in ferne Jahrhunderte zurück. Im Altertum gruben Griechen und Römer die oft armdicke, bis meterlange Wurzel der Pflanze aus und entzogen ihr Bitterstoffe, die zur Bekämpfung von Magen- und Leberkrankheiten verwendet wurden. Im 1. Jahrhundert u. Z. beschrieb Dioskorides unter dem Namen „Gentiane“ eine Pflanze, deren Merkmale denen des Gelben Enzians entsprachen. Er benannte sie zu Ehren des illyrischen Königs Gentios (gest. 167 v. u. Z.), der die Pflanze zur Bekämpfung der Pest verwendete. So verdanken alle Enziane ihren Namen dem großen, heute seltenen Gelben Enzian.
Als „Intzken“ (sächsisch) wird der Gelbe Enzian von dem siebenbürgischen Botaniker Peter Sigerus 1789 erwähnt und seine Eigenschaften als „magenstärkend, dem Vieh nützlich, im Fieber, Podagra; bitter, ohne zu erhitzen zur Reinigung von Geschwüren“ verzeichnet, ebenso sein Vorkommen „auf dem Schulergebirge“ bekanntgegeben. Aber nicht nur dort kommt er vor, sondern auch in anderen Teilen der Burzenländer Berge, ebenso in der Maramureş, im Rodnaer und Giurgeu-Gebirge und im Bucegi. Ganz selten ist die Pflanze im Fogarascher- und Lotru-Gebirge und im Retezat.
Seine Heilkraft wurde ihm zum Verhängnis. Der zu große Sammeleifer des Menschen bedrohte seine Existenz. Die 40 – 140 cm hohe Pflanze wächst auf steinigen, humusreichen Böden der subalpinen Matten und Felsbänder, nunmehr noch an unzugänglichen Stellen. Die Rettung kam durch den gesetzlichen Schutz und den Ersatz des Gelben Enzians als Heilmittel durch den weit verbreiteten Punktierten Enzian, der die gleichen Bitterstoffe enthält.

Der „Hahnenkamm“

Ein guter Bekannter winkt von Waldrändern, aus Holzschlägen, von Wald- und Sumpfwiesen, aus den Hochstaudenfluren der Gebirgstäler und den Grünerlenbüschen der subalpinen Zone. Es ist der bei uns weit verbreitete Schwalbenwurzblättrige Enzian (Gentiana asclepiadea), auch einfach Schwalbenwurzenzian genannt. Die schöne Telekie, Gemswurz u. a. begleiten ihn und steigen, wie er, auch ins Hügelland hinab, wo sie an schattigen, kühlen Stellen die Waldsäume zieren.
Die große, staudenartige Pflanze mit den paarweise angeordneten Blättern und den Blüten, die auf den langen, hängenden Stängeln oft kammartig in die Höhe stehen, trugen ihm auch die sehr treffende, volkstümliche rumänische Bezeichnung „creasta cocoşului“ („Hahnenkamm“) ein.

Ein blauer Schimmer über den Bergwiesen

Wenn in den Bergen der Frühling einzieht und die jungen Grassprosse die Wiesen in einen saftig grünen Teppich verwandeln, öffnen sich oft schon Anfang Mai die großen Kelche des „Stengellosen Enzians“. Ganz stengellos ist er nicht, doch steht er auf niedrigen Stängeln und lässt den blauen, samtenen Kelch in seiner ganzen Pracht leuchten. Seine Blätter sind rosettenartig angeordnet und bei aufmerksamem Betrachten ist es nicht schwer festzustellen, dass den blauen Kelchen verschieden geformte Blätter angehören und dass es sich eigentlich um zwei verschiedene Enzianarten handelt.
Der Keulenenzian (Gentiana kochiana) mit seinen länglich eiförmigen Blättern ist im ganzen Karpatengebiet verbreitet und reicht von den Bergwiesen bis in die alpine Stufe hinauf. Der Großblütige Enzian (Gentiana clusii), dessen Name genauso auch dem Keulenenzian mit seinen ebenso großen Blüten angehören könnte, hat schmale, zugespitzte Blätter und ist an Kalkuntergrund gebunden.
Später, vom Juni bis zum Herbst, schmückt die Bergwiesen auch der bei uns weit verbreitete Karpatenenzian (Gentiana praecox v. carpatica). Die fliederfarbenen Blüten mit den feinen Fransen im Kelch und dem verzweigten Stängel, der eine Höhe von 40 – 45 cm erreichen kann, ist aus dem Bild unserer Bergwiesen nicht wegzudenken.

Nur in unseren Karpaten zu Hause

Der Phloxblättrige Enzian (Gentiana phlogifolia), von J. Römer als eine „interessante Siebenbürgerin“ bezeichnet, ist eine den Karpaten eigene, endemische Pflanze. Seine Hauptverbreitung liegt in den Kalkmassiven der Ostkarpaten (Ceahlău, Hăghimaşul Mare, Hăghimaşul Mic), den Burzenländer Gebirgen und dem Bucegi, wo er mit seinen dunkelgrünen Blättern und den tiefblauen Kronen die steinigen Matten und Felsbänder der Kalkklippen ziert. Im Norden reicht seine Verbreitung bis zum Kuhhorn im Rodnaer Gebirge und in den Südkarpaten kommt er vereinzelt auch im Fogarascher Gebirge, im Bâlea-Kessel und auf dem Arpaş vor. In seiner Gesellschaft wächst auch das Felsengipskraut, die Siebenbürgische Esparsette, der Himmelsherold u. a.
Außer dem Kreuzblättrigen Enzian (Gentiana cruciata), der bei uns vorwiegend im Hügelland und auch in der unteren Bergregion verbreitet ist, sind die Verwandten des Phloxblättrigen Enzians vor allem in Zentralasien und Sibirien zu Hause.

Die kleinsten Enziane

Über der Waldgrenze, in der subalpinen Zone, meist aber auf den steinigen Matten der Hochgebirge, blühen eine Reihe kleiner, zarter Pflänzchen, die Wind und Wetter standhalten und dem rauen Hochgebirgsklima angepasst sind. Es ist bekannt, dass die meisten von ihnen auf Temperaturschwankungen sehr empfindlich sind. Schon die kleinste Temperatursenkung führt zum Blütenschluss. Der kleine, einjährige Schlauch- oder Bauchige Enzian (Gentiana utriculosa), dessen leuchtend blaue Blütenkelche sich bei 15,5 ° C öffnen, reagiert sogar auf Änderungen von 0,25 – 0,30 ° C. Der Frühlingsenzian (Gentiana verna) öffnet seine Blüten bei 10,5 ° C und schließt sie bei einer Temperaturschwankung von nur 1 ° C. Das kleine Pflänzchen, ein Frühlingsbote, auf Kalk- und Urgestein verbreitet, blüht bei besonders milder Witterung sogar schon im Winter.
Zu den kleinsten Enzianarten gehört auch der etwas seltene Rundblättrige Enzian (Gentiana orbicularis), der in der alpinen Zone auf Kalkfelsen, z.B. auf dem Corongiş im Rodnaer Gebirge, im Bucegi, auf dem Schuler und Königstein und auf kristallinem Kalk im Fogarascher Gebirge zu Hause ist. Die kleinsten Blütenkelche gehören dem Schnee-Enzian (Gentiana nivalis) an, der in allen Kalkmassiven der Karpaten z.B. auf dem Rarău, in der Hăghimaş-Gruppe, auf dem Ciucaş, Bucegi, stellenweise im Fogarascher Gebirge, im Kleinen Retezat – Piatra Iorgovanului, zu finden ist. Bloß vom Zarten Enzian (Gentiana tenella) kann er an Zierlichkeit übertroffen werden. Es gehört schon besonders großes Glück dazu, dieses kleine, seltene Pflänzchen auf dem Kuhhorn und dem Corongiş, im Ciucaş- Gebirge, auf dem Königstein, im Bucegi, im Fogarascher Gebirge oder Ţarcu-Godeanu anzutreffen.
Der Bulgarische Enzian (Gentiana bulgarica), sein Name deutet auf seine Heimat, seine Hauptverbreitung hin, ist zu den Seltenheiten der Südkarpaten zu rechnen, wo er im Bucegi- Gebirge und auf dem Königstein, ebenso im Baiu-Gebirge, auf den alpinen Matten hie und da vorkommt.
Auf steinigen Hängen der Hochgebirge, wo der kalte Wind über die Kanten und Felsbänder fegt, zwischen Wurmflechte, Krummsegge und Niedrigem Schwingel, steht ein niedriges Pflänzchen mit zartem gelbem, außen dunkel blau-grün geädertem Kelch. Es ist der Kälteliebende Enzian (Gentiana frigida), der in Höhenlagen von über 2000 m vorkommt. Bis zur Spitze des Negoi und Arpaş im Fogarascher Gebirge, der Păpuşa und Peleaga im Retezat klettert er hinauf, auch duckt er sich zwischen die Polstergewächse des Kuhhorn und Bucegi. Seine Heimat liegt in den Karpaten und den Alpen.
Gefranster und Lungen-Enzian sind manchem botanisch interessierten Wanderer auch gute Bekannte. Er trifft sie besonders beim Durchstreifen des Hügellandes. Die Mehrheit der Enziane ist jedoch in den Bergen zu Hause, vom freundlichen Buchenwald und den rauschenden Bächen bis zu den höchsten, wolkenumsponnenen Gipfeln.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 75, S. 130 – 136)

Seite Bildunterschrift
 
132 Ins Gras geduckt blüht bei Zărneşti, auf dem Weg zum Königstein der kleine, blaue Frühlingsenzian zusammen mit Wundklee.
133
  1. Schwalbenwurzenzian (Gentiana asclepiadea);
  2. Phloxblättriger Enzian (Gentiana phlogifolia);
  3. Gelber Enzian (Gentiana lutea);
  4. Kälteliebender Enzian (Gentiana frigida);
  5. Karpatenenzian (Gentiana praecox v. carpatica).
134
  1. Schlauchenzian (Gentiana utriculosa);
  2. Frühlingsenzian (Gentiana verna);
  3. Rundblättriger Enzian (Gentiana orbicularis);
  4. Schnee-Enzian (Gentiana nivalis);
  5. Zarter Enzian (Gentiana tenella);
  6. Bulgarischer Enzian (Gentiana bulgarica);
  7. Keulenenzian (Gentiana kochiana);
  8. Großblütiger Enzian (Gentiana clusii)
135 Punktierter Enzian (Gentiana punctata)
136 Die Piatra Iorgovanului im Kleinen Retezat birgt viele interessante, pflanzengeographisch bedeutende Arten. Hier finden sich auch viele kalkliebende Enziane. Im Bild Piatra Iorgovanului vom Stănulete aus gesehen.

Aquarelle, Zeichnungen und Dia von Erika Schneider

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