Bihor-Vlădeasa-Hauptkamm
Erinnerungen an eine Apuseni-Tour
Geschildert und bebildert von Walter Kargel
Da ich Hochgebirge und Klettern vorziehe, war ich nur ein einziges Mal im Westgebirge
(Apuseni), und aus diesem Grund will ich keinen Führer schreiben, sondern nur erzählen,
wie wir es gemacht haben, denn es hat sich wirklich gelohnt.
Alle Kletterer sehnen sich mal nach einem langen, problemlosen Wanderweg durch
möglichst unberührte Natur, und da ich vom Westgebirge nur eine vage Vorstellung hatte,
nahm ich erst mal den Führer von Bleahu und Bordea zur Hand. Nachdem ich ihn
aufmerksam studiert hatte, stellte ich mir folgende Route zum Ziel: Nord-Süd-Wanderung am
Hauptkamm und längerer Aufenthalt in Padiş, um die dortigen Sehenswürdigkeiten zu
besuchen.
Es war August, wir waren zu zweit, wollten im Zelt schlafen und hatten den größten Teil der
Verpflegung im Rucksack. Mit einem Lokalzug verließen wir Cluj-Napoca in Richtung
Oradea. Zwei Stunden später stiegen wir in Bologa aus und fanden sofort einen Kleinbus,
der uns auf einer holprigen Straße über sonnige Wiesen südwärts unserem Tagesziel näher
brachte. Unsere Wanderung begann erst richtig, als der Kleinbus am Eingang eines
Nebentales hielt. Ein Wegweiser verkündete: „Rogojel 8 km“. Es war unheimlich heiß, als wir
unsere Rucksäcke schulterten und taleinwärts wanderten. Nach einer Stunde erreichten wir
eine Holzmühle. (Mit der Zeit erfuhren wir, dass Holz die größte Rolle im Westgebirge spielt.)
Es war genau zur richtigen Zeit, denn ein Gewitter ging los, und wir fanden in der alten
Mühle Schutz. Später trafen wir ein altes Mütterchen, das uns zu ihrem Haus führte. Das
Haus lag hoch oben auf einem Hang, und wir staunten, wie das Mütterchen den steilen Pfad
mehrmals täglich bewältigte. Im „Garten“ gab es einen Riesenbaum voller Bitterkirschen, und
die Alte kredenzte uns wunderbare Milch und Rahm, wir kauften frische Eier. Das
Mütterchen wollte uns überreden, die Nacht in ihrem Haus zu verbringen, sie wollte uns
frische „mămăligă“ (Maisbrei) kochen, und es wäre wirklich gemütlich gewesen. In dem
riesigen Raum standen und lagen allerlei interessante Holzgegenstände herum, und an den
Wänden zählten wir 70 oder 80 kunstvoll und farbenfreudig handbemalte Teller. Aber wir
waren ja nicht gekommen, um volkskundliche Studien zu betreiben. Als sich der Regen
endgültig verzog, wanderten wir weiter zur Vlădeasa-Hütte, die wir schon eine Stunde später
erreichten (Jeep-Straße, Abkürzung über stille Grashänge, ein Stückchen Wald, eine Wiese
mit einer Schafherde). Bei der Hütte unweit des Baches stellten wir unser Zelt auf.
Eine Tafel zeigt an: Padiş 34 km! Für den ersten Wegabschnitt gibt es zwei Varianten: rechts
über den Vlădeasa-Gipfel oder links ohne Gipfel (kürzer und leichter, weniger Steigung). Wir
wählen die längere Gipfel-Variante. Über eine steile Skiwiese erreichen wir den Hauptkamm
und nach einer Stunde den Gipfel mit seiner Wetterstation. Schwarze Wolken sind im
Anmarsch, wir beeilen uns vorwärts zu kommen, über den Hauptkamm, abwechselnd über
Wiesen und durch Wald. Ein steiler Abstieg führt zum Normalweg Vlădeasa – Padiş
(Markierung: blaues Band), und wieder Wald und Wiesen und Almwirtschaften. Das Gewitter
rückt unbeirrbar näher, wir beginnen zu laufen und finden Schutz in einer Almhütte unterhalb
des Micău-Gipfels. Die freundlichen Hirten bewirten uns mit frischer Kuhmilch, während
draußen ein Wolkenbruch niedergeht. Dann scheint wieder die Sonne und wir gehen über
das regennasse Plateau weiter. Gardul de Piatră, Piatra Tâlharului, Cumpănăţelu-Sattel
heißen die nächsten Stationen. Hier am Sattel treffen wir auf den Weg Stâna de Vale –
Padiş. Der Abstieg nach Padiş (links) beginnt. An diesem Abend jedoch stellen wir unser Zelt
in der Nähe der Piatra-Arsă-Alm auf. Der Hirte Lup Hamza Nicolae aus Totoreni bietet uns
wie überall frische Kuhmilch an.
Am dritten Tag lassen wir das Zelt und die Rucksäcke unter Obhut des Hirten zurück und
gehen nur mit einem Stück Schokolade in der Tasche auf den Rădeasa-Rundgang. Da an
andrer Stelle von den Padiş-Naturdenkmälern berichtet wird, will ich nicht näher darauf
eingehen, sondern nur bemerken, dass uns beim Rückweg Lup Hamza froh
entgegengejodelt und uns erstmal eine kalte, festliche Kartoffelsuppe vorsetzt, die wir
heißhungrig verschlingen. Abends gibt es mămăligă mit Milch und als Hauptgang mămăligă
mit Speck und Käse. Während wir unser Zelt zwischen den Wacholderbüschen im Vollmond
aufsuchen, singt Lup Hamza Hirtenlieder in die Nacht.
Am nächsten Tag sitzt uns noch die Müdigkeit in den Knochen, wir wandern deshalb nur drei
Stunden in der Hitze über Poiana Vărăşoaia (Alm und See) nach Padiş. Wir finden einen
hübschen Zeltplatz etwas abseits des Rummels (die einzige Enttäuschung der ganzen
Apuseni-Wanderung). In der Cabana gibt es Ciorbă (Suppe), Tocană (Gulasch) mit
Makkaroni und saure Gurken, leider kein Bier.
Unvergesslich sind die zwei nächsten Padiş-Tage, erfüllt von Pilgerwanderungen in die
„Vergessene Welt“ (Lumea Pierdută), die Wunderhöhle Cetăţile Ponorului, die Felswelt
Valea Galbenii, die Märchenwiese Poiana Florilor, Focul Viu (Eishöhle). Dann setzen wir
unsere Wanderung fort; nächste Tagesetappe: Padiş – Casa de Piatră. Mit der Karte in der
hand folgen wir dem Hauptkamm gegen Süden. Erste Rast an einer Quelle („Apa din Piatră“)
in einer natürlichen Felsschüssel.
Nach einem kurzen Abstecher zum Bătrâna-Schacht erreichen wir die Almsiedlung
Călineasa. Nun beginnen wir (ohne Markierung) den Abstieg zum Weiler Casa de Piatră.
Unterwegs rasten wir in einer Alm, dessen Wirtschafter, ein altes Ehepaar, uns gastlich zu
Käsestrudel und Jintiţă (Magermilch) einladen – Pomană (zyklisch wiederkehrendes
Totenmahl) für ihren toten Sohn. In Casa de Piatră schlafen wir erstmals in einem Haus, da
es nach Regen aussieht und wir die freundliche Einladung der Leute nicht abschlagen
können. Im nagelneuen noch nicht eingerichteten Holzhaus gibt es ein weiches Lager auf
duftendem Heu. Abends sitzen wir mit der Familie bei Kartoffelsuppe und mămăligă mit
Milch. Wir erfahren, dass Casa de Piatră aus 13 Häusern besteht. In der Schule lernen 12
Kinder. Der Friedhof ist klein, die Gräber kaum zu erkennen, die Miniaturkapelle ist knapp so
groß, dass der Sarg hineinpasst. Die Leute verfertigen Holzkübel (ciubăre). Das Handwerk
nennen sie ciubărit. Wenn unser Wirt eine Anzahl Ciubăre fertig hat, verladet er sie auf einen
Pferdewagen und verkauft sie in anderen Ortschaften. Das große Holzhaus hat er sich
selber gebaut. Casa de Piatră bietet als Sehenswürdigkeiten die Eishöhle Vârtop und die
Tropfsteinhöhle Huda Orbului. Beide können nur mit besonderer Genehmigung besichtigt
werden.
Unser Wanderweg führt uns weiter zur Scărişoara-Eishöhle. Wir wandern erst entlang der
Forststraße am Bach Gârda Seacă, zweigen dann links ab über steile Wiesen und einsame
Gehöfte und erreichen nach 4 Stunden den Weiler Gheţar. Bei den Leuten finden wir Eier
und Milch und ein weiches Heulager in der Scheune.
Der letzte Tag im Apuseni-Gebirge. Wir besuchen die Eishöhle Scărişoara, wohl die
bekannteste Rumäniens, dann bringt uns ein Bus über die malerische Valea Ordâncuşii,
vorbei an der Höhle Poarta lui Ioanele, und über das Dorf Gârda de Sus nach Câmpeni, der
Motzenmetropole (reicher Markt, wunderschöne Tomaten, Paprika und Obst, Rostbraten und
Bier im Gartenrestaurant). Auf einer saftigen Wiese steht unser Zelt zum letzten Mal, dann
wird es in den Zug verladen. Die Mocăniţa (Kleinspurbahn) ist jetzt motorisiert, eine Diesellok
zieht uns durch das Arieştal, über dem noch die Morgennebel liegen, dann kommt die Sonne
heraus und alles glitzert – der Bach, die taufrischen Auen, Wälder und Berge. Die Fahrt
klingt aus: Turda, Câmpia Turzii, der Schnellzug.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 75, S. 234 – 240)
Seite | Bildunterschrift |
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235 | Kartenskizze |
236 | Kargel-Karikatur: Es geht los |
237 | Kargel-Karikatur: Alp Micău |
238 | Kargel-Karikatur: Padiş |
239 | Kargel-Karikatur: Valea Galbena, Cetăţile Ponorului |
240 | Kargel-Karikatur: Poiana Florilor |