Nacherzählt von Michael Kapp
Ich möchte niemandem „einen Bären aufbinden“, sondern alles so wiedergeben, wie es mir Hirten und Hüttenwarte abends bei einem netten Plauderstündchen berichtet haben. Für die Glaubwürdigkeit des Erzählten übernehme ich allerdings keine Gewähr.
Im Sommer des Jahres 1969 war C. C., ein Răşinarer Hirte, zusammen mit noch zwei
Kollegen bei der „Stână“ im Cânaier Gebirgstal beschäftigt. Sie liegt auf der östlichen Seite
des Cindrelmassivs. Eines Morgens, nachdem die Schafe gemolken waren, wurde die 400
Tiere zählende Herde auf die linke Seite des kleinen Bächleins in einem rar gesäten
Jungfichtenbestand zur Weide geführt. Es mag wohl 6 Uhr gewesen sein, als die Hunde
plötzlich wild zu bellen begannen. „Latră a urs“ (sie wittern den Bären), sagte sich der Hirte,
und da sich das Ganze in seiner Nähe abspielte, bat er seine Kollegen, sich um die Herde zu
kümmern, er wolle mal nachsehen, was eigentlich mit den Hunden los sei. Mit dem
Hirtenstock bewaffnet, lief er den Bachlauf aufwärts. Das Gelände wurde immer schwieriger.
Eine Felsengruppe umgehend, näherte er sich wieder dem rauschenden Bachlauf. Von dem
nahen Gebell der Hundemeute in Jagdeifer geraten, übersah er das abschüssige Ufer, glitt
aus und stürzte kopfüber ins kühle Nass. Das Wasser reichte ihm über die Schultern und –
welch ein Schreck! – eine Armlänge neben ihm ... der Bär. Er muss wahrscheinlich auf
dieselbe Art in diese unvorhergesehene Falle geraten sein.
C., der sich in der Bärengesellschaft überhaupt nicht wohl fühlte, versuchte sich
bachaufwärts davonzumachen. Aber Meister Petz schien damit nicht einverstanden. Jede
Bewegung des Hirten als Angriff deutend, stieß er ihn erneut in das Wasserloch zurück. C.
behauptet, dieses hätte sich einige Mal wiederholt, bis einer der Hunde, um näher an den
Bären heranzukommen, die Stellung wechselte und dem Bären dadurch einen Fluchtweg
ermöglichte.
Ungefähr 8 Uhr war es, als der Hirte pudelnass und zähneklappernd wieder in der „Stână“
ankam. Der „Baciu“, ein älterer Hirte, erhielt auf seine Fragen vom Durchnässten nur
unverständliche Laute als Antwort. Auch nach Stunden, als er wieder trockene Kleider
anhatte und auch reichlich warme Milch getrunken hatte, besserte sich sein Zustand nicht.
Schließlich wurde er auf ein Pferd verpackt und ins Dorf geführt. Erst nach fünf Tagen
Krankenhausaufenthalt konnte er wieder sprechen.
Nistor Ioan, Hüttenwart in der Cânai-Hütte im Cindrelmassiv, kehrte an einem Oktoberabend
müde zur Hütte zurück. Er hatte Frau und Kinder mit dem Wagen ins Tal übersiedelt,
außerdem noch die Milchkuh und die Hühner. Außer dem 130 kg schweren Schwein im Stall,
in dessen Nähe er sicherheitshalber den Hund angebunden hatte, war er ganz allein in
dieser Einöde.
Er hatte noch keine Stunde geschlafen, als Azorel, der Hund, ihn durch lautes Gekläff
weckte. Verschlafen griff er zur Taschenlampe und trat vor die Tür. Vor zwei Tagen hatte er
im Rozdeşier Sattel eine Bärin angetroffen, die mit ihren zwei ausgewachsenen
Bärenkindern in den Fichtenwald wechselte. Sollte sie es auf sein Schwein abgesehen
haben? Er leuchtete zum Stall hin und redete beruhigend auf den Hund ein. Als sich nichts
mehr rührte, ging er in die Hütte. Die Ruhe währte nicht lange. Vor dem Schweinestall riss
der Hund an der Kette und bellte noch wilder. Mit einem handfesten Stock und der
Taschenlampe bewaffnet, ging er zum Schweinestall. Das Schwein lag zufrieden im Stroh.
Nur der Hund war nicht zu bändigen. Was tun? Der Hüttenwart hing eine Sturmlaterne vor
den Stall in der Hoffnung, dass der Bär das Licht scheuen und den Stall meiden würde.
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er machte es sich darauf in der Stube gemütlich, aus
dem Transistorgerät ertönte Musik. Plötzlich legte der Hund wieder los. Wütend trat Nistor in
die Nacht hinaus und begann zu schreien. Vielleicht war der „Dihanie“ (Schimpfwort für den
Bären), die bestimmt im Gebüsch bei der Quelle lauerte (auch der Hund bellte in dieselbe
Richtung), auf diese Weise beizukommen. Aber auch dies half nicht. Und zur Quelle zu
gehen, war lebensgefährlich. Das konnte er nicht wagen. Aber auch die ganze Nacht in
dieser Kälte Wache zu stehen, war nicht gerade verlockend. Da kam ihm der rettende
Gedanke. Warum sollte man es nicht probieren? Er holte das Radio aus der Hütte, hängte es
an die Stalltür, drehte es auf maximale Stärke, ging in die Stube zurück und machte es sich
auf der Schlafbank bequem. Aus der dunklen Nacht drang Musik in die Hütte. Sonst war
nichts mehr zu hören. Kein Hund, kein Bär. Anscheinend lauschten beide andächtig dem
nächtlichen Ständchen.
***
1610 „6. Februarii, id est Sonnabend vor Septuagesimae, hat man in der Altstadt in Blos
Zimmermanns Garten einem großen Bären geschlagen, des Morgens zwischen 7. und 8.
Stunde.“ (Quellen zur Geschichte von Brasso, Bd. IV, S. 163).
Chroniken berichten mehrfach vom Auftauchen einzelner Bären in den Hausgärten und
Gassen der damals sehr viel engeren und geschlosseneren Zinnenstadt früherer
Jahrhunderte. Die Berichte über Bärenbesuch aus letzter Zeit im Siedlungsbereich von
Braşov sind schon deshalb erstaunlich, weil Wildtiere, deren Leben sonst an die Einsamkeit
der Wälder gebunden ist, die Nähe der Großstadt meiden. Und dennoch gibt es Ausnahmen.
Sie wurden Prof. Werner Klemm von Augenzeugen berichtet.
Man muss in der Oberen Vorstadt (Schei), vorbei an der oberen Kirche, noch beträchtlich
bergan steigen, um die Wohnung der Familie Ing. Leonhardt zu erreichen, die mitten in
einem weitläufigen, waldnahen, schütter mit Zier- und Obstbäumen bepflanzten Garten liegt.
Nachdem hier schon 1967 Bären vermutet werden konnten (Spuren, Losung), bekamen die
Familienmitglieder 1968 und 1972 mehrmals Bären im Garten zu sehen.
Am 22. August 1968 fand sich mittags im Garten, unweit des Hauses, merkwürdigerweise
ein starker Ast eines Apfelbaumes abgebrochen, was erst durch die Anwesenheit eines
Bären erklärlich wurde, als sich K. Teutsch um 16 Uhr auf dem Wege zur Hühnerfütterung
unversehens und auf nur 5 Meter Entfernung einem größeren Bären gegenübersah. Bär und
Mensch, gleichermaßen verblüfft, betrachteten sich zunächst eine Weile, ehe der Jungbär
sich bis zur Gartenhecke oberhalb zurückzog. Dort konnten ihn auch die herbeigerufenen
Familienmitglieder noch betrachten. K. Teutsch versuchte nun, den bei der abseits
gelegenen Gartenlaube angeketteten Hund heranzubringen und auf die Spur des Bären zu
setzen, erblickte aber hinter sich eine große Bärin, die jetzt erst hinter einem Busch
hervortrat. Beide Bären zogen sich dann den Gartenhang hoch, dem angrenzenden Wald
entgegen.
Im Oktober 1972, es war Neuschnee gefallen und der Mond gerade voll, betrat der aus dem
Dienst kommende Ing. G. Leonhardt um halb 11 Uhr abends den Garten durch das unten
gelegene Tor. Ein Geräusch ließ ihn hochblicken. Da saß, auf etwa 15 Meter Entfernung, ein
großer Bär am Abhang, zu dem sich bald ein Bärchen gesellte. Durch Geräusche erschreckt,
erklommen die Tiere erstaunlich behände den steilen Gartenhang, blieben aber noch lange
Zeit spielend und um einen Heuhaufen sich balgend in Sichtweite des stillen Beobachters.
Im selben Monat sah K. Teutsch abends um drei Viertel 10 Uhr eine Bärin mit zwei Jungen
im Garten, und das Ehepaar Ing. W. Teutsch hatte das eigenartige Vergnügen, einmal
nachts eine Bärin und ein Bärchen vor dem Schlafzimmerfenster zu haben, die hier ihr
Wesen trieben.
Nach unbestätigten Gerüchten soll eben um die gleiche Zeit weiter zinnenwärts in der Valea
Teiului auf einem Hof ein Schwein geschlagen worden sein, die Bärin sei auch von anderen
Anrainern gesichtet worden, ja sie soll – nachts vom Schichtwechsel heimkehrende Arbeiter
sollen sie „Pe Tocile“ sogar gesehen haben – mitten durch den dichtbevölkerten Talgrund
auf die andere Seite des Tales hinüber gewechselt sein – Angaben, die zu überprüfen dem
Berichterstatter nicht möglich waren.
Tatsache hingegen, wieder nach Augenzeugenberichten, ist das Auftreten der Bärin auf dem
gegenüberliegenden Dealul Spirei. „Am 17. (?) Oktober 1972 wurden wir“, erzählt der
Schüler M. Waadt, „um etwa halb zwei Uhr nachts durch Lärm im Schweinestall geweckt. Im
Licht der eingeschalteten Hoflampe sahen wir, alle am Fenster stehend, dass eine schwarze
Bärin unser zappelndes und quiekendes Schwein im linken Arm trug, wo das Bärlein immer
wieder zupackend hochsprang. Über dem Lärm und Getümmel und dem Erscheinen des
Vaters draußen (Mutter gab ihm in der Eile schnell noch den Besen mit), ließ die Bärin das
stark verletzte Schwein los und zog sich zu ihrem schon vorher davongelaufenen Bärlein ins
Dunkle zurück, kam aber nach 5 Minuten noch einmal wieder. Die Bärin hatte den Stall
regelrecht aufgebrochen. Das Schwein mussten wir schlachten. Die Bärin war, wie sich
nachher ergab, zuerst bei Einschenk gewesen, dann (um etwa ein Uhr) bei Pascu, wo sie
zwei Frischlinge schlug, war dann in die ‚După Inişte’-Gasse entlang gewandert und bei uns
eingestiegen, um das Schwein zu nehmen.“
Man muss selber gesehen haben, wie dicht die Häuser der Vorstadtsiedlung hier schon
stehen und wie der Garten Ing. Waadt’s von allen Seiten her (außer von oben) durch
Häuserfronten umgrenzt ist, um das Außergewöhnliche des Bärenverhaltens zu erkennen.
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 75, S. 118 –122)
Seite | Bildunterschrift |
---|---|
118 | Bärenmutter mit ihren zwei Jungen. Die Aufnahme wurde im Sommer 1974 im Fogarascher Gebirge gemacht. |
120 | Bärenbabys im Zoodttal. |