home - Komm mit - 1974 - Wie alt sind die Karpaten?
jedes Wort alle Wörter Suchwort markieren
drucken

Wie alt sind die Karpaten?

Ein Blick in die geologische Vergangenheit

von Dr. H. G. Kräutner

Ein Rundblick von hohen Karpatengipfeln, ein Aufstieg durch das Felsengewirr steiler Hänge oder eine stille Ruhestunde im kühlen Walde mag wohl manchem Wanderer die Frage aufkommen lassen: Wann und wie entstanden die Gesteine und felsigen Höhen der Karpaten?

Durch mühsame Arbeit mit Hammer, Lupe und Mikroskop gelang es den Geologen schon in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, die Entwicklungsgeschichte der Karpaten aus den Sedimentablagerungen, in welchen versteinerte Zeugen ehemaliger Tier- und Pflanzenwelt erhalten blieben, bis zum Ende des Paläozoikums bzw. zur Anfangszeit des Mesozoikums abzulesen. Unserem heutigen Wissensstand gemäß beträgt diese Zeitspanne ungefähr 300 Millionen Jahre. Damit war jedoch die Bildung der Gesteine, aus denen die Karpaten aufgebaut sind, bei weitem noch nicht bis in ihre tiefste geologische Vergangenheit verfolgt. Den älteren Gesteinen, so z.B. den kristallinen Schiefern, war ihre Bildungszeit nicht unmittelbar abzulesen, da weit zurückliegende tiefgehende Umwandlungen die üblichen paläontologischen Hinweise verwischt haben.
Heutzutage verfügt die Geologie über moderne Methoden zur Altersbestimmung. So kann z.B. der Zerfall der radioaktiven Isotope des Kaliums (40K) zu Argon (40Ar) plus Kalzium (40Ca) und des Rubidiums (87Rb) zu Strontium (87Sr), oder das Isotopenverhältnis vom Blei (207Pb/204Pb; 206Pb/204Pb) aus Mineralien und Gesteinen für die Bestimmung des Alters des betreffenden Gesteins ausgewertet werden. Auch die temperatur- und druckbeständigen Mikrosporen können Hinweise auf die Entstehungszeit älterer, metamorphosierter Gesteine liefern.
Die Ergebnisse dieser physikalischen und palynologischen (Sporen-) Forschungen weisen darauf hin, dass der Werdegang der Gesteine, welche die Karpaten aufbauen, sich während einer Zeitspanne von 900 Millionen Jahren in vier Hauptetappen vollzogen hat. Jede dieser Etappen entspricht weltverbreiteten Ablagerungszyklen und Orogenesen (Gebirgsbildungen). Die erste Entwicklungsetappe wurde von einer 800 Millionen Jahre zurückliegenden Orogenese am Ende des mittleren Präkambriums abgeschlossen. Ihr entsprechen die ältesten hochmetamorphen Gesteine der Karpaten.
Die zweite Etappe liegt 750 – 550 Millionen Jahre zurück und ist durch mächtige Sedimentablagerungen und vor allem durch eine intensive vulkanische Tätigkeit gekennzeichnet. Sie umfasst das obere Präkambrium und endet durch die spätassyntische oder baikalische Orogenese im mittleren Kambrium.
Die dritte Entwicklungsperiode umfasst die Zeitspanne 500 – 300 Millionen Jahre. Sie entspricht der paläozoischen Ära und wurde durch die herzynische Orogenese abgeschlossen. Die Gesteinsablagerung war im Allgemeinen mannigfaltiger als in den beiden vorangehenden Etappen und wurde im Devon und Unterkarbon sowie im Perm von einem weit verbreiteten Vulkanismus begleitet.
Zurzeit befinden sich die Karpaten am Ende eines vierten Sedimentations- und tektonomagmatischen Zyklus, und zwar am Ausklang der alpidischen Orogenese, die sich von den Alpen über die Karpaten, den Kaukasus und Taurus bis in das Himalaja-Gebirge erstreckt. Die Sedimentablagerung begann vor 225 Millionen Jahren, die erste Hauptfaltung vor 100 Millionen Jahren. Durch schwache Spätfaltung vor 1,5 Millionen Jahren, Erlöschen der vulkanischen Tätigkeit und ein ständiges Heben der Karpaten mit kompensierendem Einsinken der Vorebene geht in der letzten Million Jahre, im Quartär, die alpidische Orogenese ihrem Ende entgegen. Aus dieser Zeitspanne stammt größtenteils die Bildung des gegenwärtigen Formenschatzes der Karpaten.
Die erwähnten wiederholten Abwechslungen von Sedimentation (Gesteinsablagerung) und die darauf folgende Festlandbildung durch Orogenesen soll man sich nicht fälschlich an Ort und Stelle des heutigen Karpatenlandes vorstellen. Kontinenten entsprechende ausgedehnte Erdkrustensegmente befinden und befanden sich auch in geologischer Vergangenheit ständig in einer durch erdinnere Bewegungen verursachten Migration. So muss man sich z.B. vorstellen, dass durch Unterschiebung (Verschlingung) eines Krustenteils unter den Karpaten und durch die dabei verursachte Einengung des Karpatenraums durch Gesteinsauftürmung (Deckenbau) die Entfernung zwischen einem außerhalb und einem innerhalb der Karpaten liegenden Punkt (z.B. Braşov und Moskau) in den letzten 100 Millionen Jahren um mehrere hundert Kilometer zusammengeschrumpft ist, das dadurch entstandene Krustendefizit jedoch an anderer Stelle, durch Neubildung ozeanischen Grundes, ausgeglichen wurde.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 74, S. 44 – 46)

Seite Bildunterschrift
 
45 Tăul Tapului im Retezat-Gebirge.
nach oben nach oben