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Himmelstürmendes Holz

Kreuz und quer durch die Maramureş

von Herbert Hoffmann

Wenn im Frühmai die „trâmbiţa“ (Alphorn) mit metallischem Ton zur „sâmbra“ (Volksfest- Almauftrieb) ruft, hallt es von allen Seiten als urweltliches Echo zurück, und die sonst so mürrischen Riesen Oaş, Gutâi und Ţibleş recken ihre Hälse aus dem zottigen Gestrüpp des Hochwalds empor, als hätten sie den ganzen Winter über nur auf diesen Klang gewartet, das Zeichen zum großen Aufbruch des Jahres der Herden...
Überall erglänzen die satten Weiden im milchigen Frühlicht des Tages wie silbernes Münzgehänge, eine „salbă“, im dunklen Moos der Wälder von einer Riesenbraut vergessen. Drum herum der zerhackte Rand des Kessels, gen Westen, Süden, gen Morgen und Mitternacht. Jede Scharte ein Sattel und jeder Zacken ein felsiger Gigant mit geheimnisvoll klingendem Namen: „Toroiagu, Pietroasa“. Mit den Rodnaer Riesen beginnt die knorrige Mauer und schwenkt, steigend oder fallend, über die steinerne Barre des Ţibleş bis zum trotzigen Buckel des Gutâi. Rechter Hand ein Land der Wälder, des Holzes und kerniger, diesem Land ganz verschriebener Menschen.
Marmatien, die alte Maramureş. Holz wächst hier die Hänge empor und ins Menschenleben hinein. In der fichtenen Wiege beginnt’s, tappt die gefladerten Zäune entlang durch die majestätischen Bogen der Tore wieder zum Holz hin, in den Wald selbst, wo sich das Leben erst erfüllt.
Drei Wege treffen hier zusammen. Der eine, vielleicht der älteste unter den drei Brüdern, der Goldenen Bistritz herauf, die noch die alten Flöße auf ihrem Rücken zu Tale trägt; der zweite, der jüngere, aus dem Hügelland des Oaş über die sanftere Schwelle bei Huta Certeze, und der jüngste, ein rechter Tausendsassa, über Stock und Stein aus der Ebene den Gutâi empor und das Maratal hinab in engen Mäandern verspielter Haarnadelkurven. Um uns ein riesiger Teppich in allen Schattierungen von Grün: das helle, saftig-grasige der gerodeten Täler, dann das alte, bronzene reifender Felder und oben, unter schaumigen Kuppen der Wolken, das schwarze der Tannen und Fichten.
Durch dieses Tal zog vor sechshundert Jahren Bogdan, der Fürst, und weckte die junge Moldau aus dem Dornröschenschlaf. Hier soll er Rast gehalten haben. Wer täte dieses nicht vor diesem Rundblick ansteigender Hügelwellen und Bergketten, bespült vom leisen Wellenschlag unendlicher Ruhe. Dies ist ein Stelldichein mit der Natur, nur hie und da vom flatternden Bellen des Breitbeils durchzuckt, dem aus dem Forst der beinerne Klang der Axt antwortet. Alle hierherum verstehen sich darauf, das Holz zu behauen, es zu formen und zu verbinden. Selbst Gott war hier wohl Zimmermann, sonst wäre ihm die Schöpfung nicht so geglückt, all die aus Stämmen errichteten Dinge, die Häuser, die mächtigen Scheuern, die dachgekrönten Heumieten.
Wer jedoch nicht glauben will, dass die Welt aus Holz entstand, der komme hierher in dieses Reich der Virtuosen des Beils, hierher, wo Dynastien ungekrönter Könige ihr Siegel auf Pergamente aus gefladerter Eiche und harzgetränkter Tanne gesetzt haben, beständig und namenlos. Was tun hier auch Namen? Sie gehören Menschen an, und diese sind vergänglich, sie verweht die Zeit. Was da bleibt, sind die prächtigen Fermaten der Tore und die rau-herzliche Sprache der Grabkreuze von Săpânţa, das Spitzenwerk der Löffel und Kellen vor den senkrechten Dominanten der Turmhelme.
Der Auftakt zu dieser Sinfonie erklingt schon unten am Spiegel des Bicaz-Sees und wirbelt in barocken Schnörkeln die Weichen des Prislop empor bis zum östlichen Tor, das seinen Namen trägt. Die blauen Rücken der Tscherna Gora säumen den weiten Horizont dieser Kulisse grob modellierter Formen, denen man die vulkanischen Konvulsionen noch anzusehen vermeint, die sie emporgetrieben haben. So ungeschlacht der Vordergrund, so fast unwirklich idyllisch ist das Tal, voll Spielzeugdörfer, entlang der ockerfarbenen Bänder der Straßen und Wege. Doch niemand sieht ihm die Unwirtlichkeit an, mit der es dem Einheimischen zu begegnen pflegt, ihn von sich zu drängen sucht. Steinig ist der Boden hier und hart wie der Menschenschlag, der darauf lebt und ihm den kargen jährlichen Tribut abringt.
Die Schätze liegen in der Tiefe, wo die Lampe des Hauers ihre langen Schatten wirft und die Erze die Sterne ersetzen, und hoch oben im jungfräulichen Forst, im Stürzen der Stämme. Bauer sein dagegen ist hier ein hartes Brot. Der Acker ist klein, desgleichen auch der Garten. Doch weit oben, wo der Wald sich im Blau verliert, liegt der dritte Schatz, die nur vom Himmel begrenzte Weite der Weiden. Hier ist überall grasendes Vieh anzutreffen: samtäugige schwere Rinder und hartwollige weiße Schafe. Sie wechseln sich mit dem Schnee ab. Kommt er, so ziehen diese zu Tale, und geht dieser wieder, kehren sie zurück: Die „sâmbra oilor“, der große Almauftrieb, jedes Jahr um die gleiche Zeit...
Ablehnend ist die Natur und zurückhaltend, was Wunder, wenn der Mensch ihr zu gleichen scheint. Ja, er wirkt sogar hochmütig, verschlossen und gerät leicht in schnell aufflackernden Zorn. Doch verraucht dieser schneller als er kam. Trotz nordöstlicher Lage und kaltem Winter ist die Gastfreundschaft hier wärmer als in vielen anderen Gebieten. Heiß wallt jedoch das Blut, wenn es um Heimat und Freiheit geht. Da kennt der Maroşan kein Halten! Die Ahnen und Vorväter waren Helden, Krieger und Haiducken. Und wenn fremde Heere im Anzug waren, stand das Land auf wie ein Mann, denn Einigkeit ist hier höchstes Gesetz, ist Prinzip, um überleben zu können. Pflügen kann der Landmann auch allein. Felsen und Stämme lassen sich nur gemeinsam bewegen. Aus Felsen und Stämmen aber ersteht das Haus für das junge Paar, und der Baum ziert symbolisch das Tor, auf dem das Sonnenrad den Ankömmling begrüßt, umgeben vom knotenlosen Seil, Zeichen der Unendlichkeit: Segen oder Stigma?
Nach innen gekehrt erscheint uns all das von höherem Wert. Außen große klare und aufrichtige Flächen. Eine Sprache der Proportionen, Synthese davon die nadelspitze Silhouette der Holzkirche. Sonst, bei all dem Überschwang von Zierrat, den wir auf den Toren finden, sie selbst schmucklos, lapidare Strukturen waagerechter Balken und schieferfarbener Schindelschuppen.
Ob im Maratal oder an der Iza, sie wetteifern vielleicht durch ihre Höhe oder das Alter, die Würde: Sârbi – 1665, Deseşti – 1717, Călineşti – 1748, Hărniceşti – 1770, Budeşti – 1856, aus Stämmen errichtet, deren Umfang zwei Männer nicht zu umfassen vermögen...
Im Inneren herrscht hingegen byzantinisch-strenger Prunk, überhöht durch Reflexe flackernder Kerzen. Rötel und Kohle und dazwischen die dunkle Edelpatina des Undefinierbaren. Die Ikonostasis (Bilderwand orthodoxer Kirchen), bewacht von asketischen, faltenumwehten Märtyrern mit verwundertem Kinderblick, abwechselnd mit fast ketzerisch undogmatischen Hinterglasikonen: Blumen auf einem Fenstersims, Bilderbuchseiten aus einer anderen Welt, Heiden, Hexen, Heilige...
„Wanderer, gedenke des Weges!“ sprudelt die Iza einen alten Spruch und lockt uns nach Săcel, wo heute noch ein Kieselstein den Pinsel ersetzt, um spiralige Ornamente auf terrakottafarbene Krüge zu zaubern. Die Technik ist uns aus der Bukowina bekannt, wo die schwarzen Zwillingsbrüder, die schlanken „hărgaie“ von Marginea, diesen an Reiz wohl kaum nachstehen. Doch darf man die „bocaie“, will man dicken Rahm haben, auf keinen Fall in einem anderen Monat als eben im März verfertigen. Selbst der aus über zehn Meter Tiefe geholte Töpferton hilft da nichts. Brauch ist Brauch, und Handwerksehre ist zeitlos! Bocaie werden nur im März erzeugt!
Betritt man eines der alten Bauernhäuser am Vişeu, an der Mara oder an der Iza, so könnte es sein, dass man irgendwo in einem Winkel auf etwas stößt, das einen an alte Majoliken gemahnt. Es sind die letzten Zeugen einer einst blühenden Keramikproduktion des Izatals, deren delikate Ornamente in Gelb und Blau den verwöhntesten Geschmack zu befriedigen vermögen. Aber selbst wenn die heutige Bauernstube nicht mehr die gleiche geblieben ist wie vor hundert Jahren, bilden trotzdem zahlreiche alte Bauernhäuser buchstäblich kleine Museen. Dazu tragen vor allem die schweren zottigen Wollkotzen bei, die Wandteppiche mit ihren dunklen Grundtönen, ihren geometrischen und figürlichen Ornamenten in „totem Gelb“, wie man hier den Farbton der Kürbisblüte zu nennen pflegt, neben solchen in Rot und Blau. Die Thematik durchaus lokal, ein Mikrokosmos aus Umwelt und Natur: Hirten, Reiter, Hirsche, Frauen und Bäume. Auch hier wie in den „zadii“ herrscht Rot und Gelb vor, trotzdem hinterlässt weder die Tracht noch die Bauernstube einen Eindruck betonter Buntheit, im Gegensatz zu den Nachbarn aus dem Oaşer Land, wo Farbenfreudigkeit sozusagen die Quintessenz der Volkskunst ist.
Bunt ist dafür das Treiben auf Straßen und Wegen. Sie sind tagaus, tagein belebt, denn die einen gehen zum Markt, die anderen kehren von dort zurück, wieder andere kommen von weit her, auf der Schulter den Zwerchsack mit seinen typischen Farben und Motiven, kleine Visitenkarten ihrer Träger, wie sie zu Hunderten oder Tausenden im Museum von Sighet zu finden sind, angefangen mit den schaurig-schönen Groteskmasken der Neujahrsbräuche, über den primitiven Manierismus der Hinterglasmalereien und bis zur endlosen Vielfalt der Gärten in Wolle und Hanf, als die uns die Haustextilien entgegentreten. Die Masken allein ergeben ein Museum für sich und bilden eine Unzahl von Beispielen und Lösungen, um aus Fell, Tuchresten, Samen usw. Physiognomien zu schaffen, die in ihrer satirischen Treffsicherheit Einmaliges darstellen. Da ist der grimmig-gutmütige Alte, der „moş“. Daneben die Reihe der Teufel, Steuereintreiber – Notarius und Inspektor mit inbegriffen –, über die sich der Bauer seit Jahrhunderten auf diesem Wege lustig macht und für all das schadlos hält, was sie ihm Schlechtes zugefügt haben.
An Bräuchen ist die Maramureş überhaupt reich. Zu den schönsten gehört zweifellos die Tânjeaua oder der dem Fleiß des Landmanns gewidmete „Bauernkönig“. Der nämlich, dem es gelingt, als erster die Pflugschar in die Erde zu versenken, wird zum König erkoren und von vierundzwanzig Burschen auf einem Wagen durch das Dorf gezogen und entsprechend gefeiert.
Doch kennt man auch die „capră“, dazu die Spinnstubenbräuche und schließlich das Feuer der Sânziene (von Santix Iuranis Dei – der Tag des Heiligen Johann), bei dem die Burschen zu Ehren der Helden und Haiducken aus den Reihen der Ahnen einer Mutprobe unterzogen werden. Jeder muss einen Sprung über den brennenden Holzstoß hinwegsetzen, den man aus diesem Anlass auf Höhen, Straßen und Lichtungen entzündet.
Während die Jungen diesem sicher aus heidnischen Zeiten stammenden Brauch huldigen, sammeln sich die Älteren um den Dorfältesten, den „marele Pogonici“, und lauschen den Mären und Legenden, die das Volk um seine Helden gesponnen hat, deren Denkmäler nicht in Stein gehauen wurden, sondern in dauerhafteren Stoffen ihren Niederschlag gefunden haben, und zwar in den Benennungen von Brunnen, Quellen, uralten Bäumen und Felsen. Und wenn im Herbst sich die Dämmerung in diesem tiefen Kessel schnell in Nacht verwandelt und der Große Wagen über dem Ţibleş erscheint, erklingen diese Namen an Hirtenfeuern und in der Rockenstube, bei jung und alt.
Unten in Sighet, dem Mittelpunkt und Vorort Marmatiens, wo die drei Wege Ost, Süd und West zusammenfließen wie die Wasser der Mara, Iza und des Vişeu, die sich alle in der hier noch jung und beweglich fließenden Theiß sammeln, gehen die Lichter an. Und so wie die Sandkörner des Gutâi in die Donau, ins Schwarze Meer und weit an fremde Gestade gelangen, so trägt das Leben den Menschen in die weite Welt der Fremde, in unbekannte Täler, in Städte, deren Namen die Vorväter vielleicht niemals gehört haben, als Holzfäller in die Forste der Oltenia, der Süd- oder der Ostkarpaten, als Mäher in fruchtbares Flachland. Jedes Mal aber, wenn die Zugvögel sich zum großen Flug nach dem Süden sammeln, schnürt der Maroşan seine „desagă“ und packt all die guten und schönen Dinge ein, die er als Mitbringsel erwarb... für die von Zuhause an der Mara, an der Iza, jenseits der hohen Schwelle des Gutâi im alten Marmatien, wo heute die Lichter heller leuchten, wo aus alten, mit rückständiger Technik bewirtschafteten Gruben moderne Bergwerke entstanden sind, in dessen würzigen, ozonreichen Nadelwäldern Kurorte, Sanatorien und Schutzhütten aus dem Boden wuchsen, wo immer mehr neue Arbeitsplätze entstehen, damit das Brot nicht mehr von jenseits der Berge geholt werde.
Und überall leuchten die Blüten der Wirk- und Webarbeiten, erklingen die Lieder und Tänze freier und die „trâmbiţa“ schickt ihre erzenen Töne weit über die Berge und Grenzen als Ruf zur nahen „sâmbra“...

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 74, S. 72 – 80)

Seite Bildunterschrift
 
74 Geschnitztes Holztor in Valea Mare.
75 Die Holzkirche in Plopiş.
77 Rumänische Bauernstube in der Maramureş.
78 Die „Sâmbra oilor“, ein Volksfest, das alljährlich im Frühjahr gefeiert wird, vereinigt jung und alt aus allen Dörfern der Maramureş.
79 Wer’s nicht glauben will, dass die Welt aus Holz entstand, der komme hierher, in dieses Reich der Virtuosen des Beiles. Dorfstraße in der Maramureş.
79 „Der lustige Friedhof“ von Săpânţa. In rau-herzlicher Sprache (Wort und Bild) erzählen die hölzernen Grabkreuze von den Tugenden und Schwächen des Dahingeschiedenen.
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