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Farbtupfen in Tälern und Schluchten

Vegetationsbilder aus dem Fogarascher Gebirge

von Erika Schneider

...“Wenn wir uns aber von dem Flussgebiete der Marosch, wo eine südliche Luft wehet, bis zu den mehr als 8000 Fuß hohen Karpatenkämmen erheben, so durchgehen wir die klimatischen und vegetativen Verhältnisse mehrerer europäischer Länder“...
So schrieb der Botaniker Ferdinand Schur 1849 und wollte damit die abwechslungsreiche Landschaft des Karpatenbeckens kennzeichnen, das bunte Mosaik von Pflanzengemeinschaften, die einer Kette gleich aneinandergereiht und verflochten, gestuft vom Hügelland bis zu den höchsten Gipfeln der Karpaten einander ablösen.
Die Höhenstufung der Pflanzengemeinschaften, die Veränderung der Pflanzendecke, je weiter wir uns von der Ebene zu den Bergen hin entfernen, ist vor allem den Klimabedingungen zuzuschreiben, die sich bei steigender Höhe verändern. Wer kennt nicht die ausgedehnten, lichten Eichenwälder des Hügellandes, die freundlichen Buchenwälder, mit den hellgrauen, hochstrebenden Stämmen, die dazwischen gestreuten Bergwiesen und Lichtungen mit den weiß leuchtenden Birken, die dunklen, alten Fichtenwälder, deren Rauschen, Ächzen und Knacken manchem unheimlich wirkt, manchen aber als die schönste Musik dünkt? Und wem sind die weiten Felder der Krummholzkiefer, Wacholder- und Alpenrosenbüsche, und schließlich die alpinen Matten und schroffen Felsen mit ihrer Spaltenvegetation ganz unbekannt?
Jedes Fleckchen hat seinen Zauber, jede Stufe ihre eigene Welt, in der die Pflanzenarten in verschiedener Menge und Beziehungen zueinander stehen und je nach Standort – Höhe, Neigung, Hangausrichtung, geologischem Untergrund usw. – eine Mannigfaltigkeit von Pflanzengesellschaften bilden, die ihren Gesetzmäßigkeiten folgen. Auf diese abwechslungsreiche Landschaft und ihre Besiedler bezogen schrieb Schur über das Fogarascher Gebirge:
„...ihr Anblick ist so lockend, dass man nur mit wehmütigem Gefühle sich davon wegwenden kann. Diese Hochgebirge sind meistens rauhe, steile, himmelanstrebende Kämme, wo nur das Schaf und die Ziege und auch diese nicht ganz ohne Lebensgefahr weiden können. Reich sind diese Gebirge an Seen, deren Spiegel bis 7000 Fuß über dem Meere liegt, Gebirgsbächen, Wasserfällen, Thälern und Schluchten und wir treffen hier eine so großartige und zahlreiche Vegetation, wie nicht leicht irgendwo...“
Und diese „großartige und zahlreiche Vegetation“ erschließt sich dem Wanderer, der zu den Kämmen des Fogarascher Gebirges hinaufsteigt. Dabei handelt es sich um Pflanzen verschiedener Herkunft und verschiedenen Alters, die in ihrer Gesamtheit das heutige Vegetationsbild ergeben, das sein Gepräge durch die Eiszeiten erhalten hat. Da ist ein Stelldichein von Arten aus verschiedenen Himmelsrichtungen, besonders in der subalpinen und alpinen Stufe.

Im Gebiet des Karpaten-Buchenwaldes

Wo immer man zu den Kämmen des Fogarascher Gebirges hinaufsteigt, wandert man erst durch Buchenwald, den schönen bekannten Karpaten-Buchenwald, der die untermontane Stufe einnimmt. Er ist wohl ein um die Berge gelegter Gürtel, aber dennoch kein ununterbrochenes, vielleicht gar eintöniges Band. Durchschnitten von Tälern und silbrigen Bächen, mit Hängen verschiedener Neigung und Ausrichtung, bietet er zahlreichen Pflanzen Entfaltungsmöglichkeiten. Schön ist sein Frühlingsbild mit Schneeglöckchen (Galanthus nivalis), Buschwindröschen (Anemone memorosa), Lerchensporn (Corydalis solida), Rotem Lungenkraut (Pulmonaria rubra), der Zwiebel- und Drüsenzahnwurz (Dentaria bulbifera und glandulosa) und der charakteristischen Karpaten-Buchenwaldpflanze, der Herzblättrigen Schwarzwurzel (Symphytum cordatum). An Sickerwasserstellen, Bächen und Quellen ist die Sumpfdotterblume (Caltha leata) mit ihren leuchtend gelben Blüten anzutreffen. Die früh blühende, kerzenartig aufragende Pestwurz (Petasites albus), deren Blätter später zur Größe von Schirmen heranwachsen, vereint sich mit der in den Karpaten heimischen schönen Telekie (Telekia speciosa), oft auch mit Straußenfarn (Matteucia struthiopteris) und weiter oben mit Handblättriger Bärenklau (Heracleum palmatum) zu Hochstauden, die zusammen mit Grauerlen (Alnus incana) die Wasserläufe säumen.
Der Übergang zum Nadelwald erfolgt allmählich, oft durch eine Zwischenstufe von Buchen- Tannenwald. Ganz selten – im Şerbota-Tal auf dem Weg vom Steinbruch zur Negoihütte – ist in die Buchenbestände Eibe eingestreut. Sie ist nicht nur an ihrem Wuchs zu erkennen, sondern auch ihrer dunkelgrünen Färbung wegen auffallend.

Der weit ausgedehnte Fichtenwald

Bald aber umfängt uns der alte, dunkle Fichtenwald mit seinen hohen, zum Teil von Flechten umsponnenen Bäumen und seinem mitunter sehr dichten Nadelteppich, der den Boden versäuert und kaum oder nur einer geringen Zahl von Arten Existenzmöglichkeiten bietet. All das sind Zeugen eines eigenen Reiches, eines weit ausgedehnten Fichtengürtels der obermontanen Stufe.
In lichten Fichtenwäldern, besonders gegen die obere Waldgrenze hin, gelangen Heidelbeerbüsche zu schöner Entfaltung und künden den Übergang zur subalpinen Zwergstrauch- und Krummholzstufe an. Alpenlattich (Homogyne alpina), Tannenglockenblumen (Campanula abietina), Drahtschmiele (Deschampsia flexuosa) und Bergglöckchen (Soldanella montana) stehen zaghaft dazwischen. In Wasserrinnen und Racheln, die Zungen gleich in den Fichtenwald eindringen, oder an Bachläufen, die ihn durchschneiden, ist das Reich der Sal- und Schlesischen Weiden (Salix capraea und silesiaca), der Grünerle (Alnus viridus) und einer Reihe üppig wachsender Hochstauden wie: Fuchssches- und Habichtskraut (Senecio fuchsii und nemorensis). Österreichische Gamswurz (Doronicum austriacum), Bachkratzdistel (Cirsium rivulare und erisithales), die in den Karpaten endemische Handblättrige Bärenklau (Heracelum palmatum), Alpenlattich (Cicerbita alpina) u. a. m. Auch hier ist die Himbeere anzutreffen, die zusammen mit Wald- Reitgras (Calamagrostis arundinacea) aber in Holzschlägen zu höchster Entfaltung gelangt. Aus einer solchen Landschaft ist das große Wald-Weidenröschen (Epilobium angustifolium) mit seinen leuchtendroten Kerzen-Blütenständen nicht wegzudenken.
Dass in der Verteilung des Fichtengürtels die Hangausrichtung von Bedeutung ist, zeigt wohl auch die Tatsache , dass der geschlossene Fichtenwald am Nordhang des Fogarascher Gebirges von 800 – 1500 m hinaufreicht, während seine Grenze am Südhang in einer Höhe von 1800 m liegt. Dieser obere Rand des Fichtenwaldes ist eine natürliche klimatische Grenze, von der weiter hinauf Baumwuchs nicht mehr möglich ist. Doch griff stellenweise auch der Mensch ein und veränderte im Laufe der Zeit diese Grenze. Er setzte sie herab, um Weideplätze zu vergrößern und zu mehren. Dennoch herrscht die Natur in ihrer wilden Ursprünglichkeit. Die einseitige Entwicklung der Baumkronen, von Wind und Schnee zernagt, zeugt von raueren Klimabedingungen des Raumes über der Waldgrenze, denen die Vegetation in ihrer Gesamtheit angepasst ist.

Über der Waldgrenze

Die Krummholzkiefer (Pinus mugo), begleitet von Grünerlen in und neben den Rinnen, mit eingestreutem, gelb leuchtendem Heinkreuzkraut und platanenblättrigem, weißblütigem Hahnenfuß (Ranunculus platanifolius), unterbrochen und mosaikartig vermischt mit Wacholderbüschen, Heidel- und Preiselbeersträuchern und ausgedehnte Alpenrosenfrlder wechseln mit subalpinen Weiden von niedrigem Schwingel (Festuca supina), Alpenstraußgras (Agrostis rupestris) und vielen anderen Arten. Es ist das kennzeichnende Bild des Raumes über der Waldgrenze. Viel seltener als im Retezat finden wir in den Gletschertälern als Eiszeitrelikt die Arve oder Zirbelkiefer (Pinus cembra). Sie ist im Doamnei-Tal, bei „Izvorul Moldoveanului“, bei der Podul-Giurgiului-Quelle, am Râiosul dem Buda-Tal zu, am Muşeteica-Bach, am Lespezi, im Poşorta- und Brezioara-Tal und einigen anderen Stellen anzutreffen.
Wer die Fogarascher Gebirge zur Blütezeit der Alpenrose erlebt, schließt sie sicher noch mehr in sein Herz. Rot leuchten schon von weitem die ausgedehnten Flächen ihrer Blüten. Etwas von ihrem Duft kann man, in einer Ausflugsdose eingeschlossen, mitnehmen und zu Hause beim Trinken von Alpenrosenblütentee genießen. Den größten Genuss und die weitaus größere Freude hat man aber dennoch in freier Natur, auf den Höhen, dort, wo die Pflanze blüht, wo sie bis zu Höhen von 2200 m, im Gefecht mit Wind und Wetter sich ihre Existenz erkämpft.
Im Frühjahr, wenn man in den oberen kesseln noch auf den Brettern rutschen kann, wird auf den Bergwiesen die schon schmelzende Schneedecke von Frühlingskrokus (Crocus heuffelianus), stellenweise (Sâmbăta- und Arpaşer-Tal) auch vom Alpen-Blaustern (Scilla bifolia v. kladnii) durchbrochen und weite Flächen davon übersät. Stengelloser Enzian (Gentiana excisa), Narzissenblättriges Windröschen (Anemone narcissiflora), stellenweise auch Alpenwindröschen (Pulsatilla alba), Goldenes Fingerkraut (Potentilla aurea), Bergnelkenwurz (Geum montanum), Verschiedenblättriges Veilchen bzw. Stiefmütterchen (Viola declinata) u. a. gehören in das Bild der subalpinen Zone. Auch die blauen Ähren des Eisenhutes fehlen nicht.
Das Siebenbürgische Heidekraut (Brukenthalia spiculifolia) ist unter den Zwergsträuchern eine kennzeichnende Pflanze unserer Karpaten und aus ihrem Bild kaum wegzudenken. Wer einmal einen Weg abkürzen und vielleicht ein Latschenfeld durchqueren wollte, um schneller und direkter hinauf zum Kamm zu gelangen, hat nachher feststellen müssen, dass der Weg zu den Höhen durch die krummen, schaukelnden und elastisch hochschnellenden Kiefern nicht kürzer, sondern um sicher ein „Viertelstündchen“ verlängert wurde. Mit ihrem Wurzelgeflecht sind die Krummholzkiefern (Legföhren oder Latschen) gleichzeitig auch ein Boden- und Geröllfestiger. Wie leicht verwandelt sich ein aus zu weniger Überlegung zur Vergrößerung des Weideraumes abgeholzter Hang in ein Steinmeer, eine rutschende Geröllhalde.
Auf der Talsohle der trogförmigen Gletschertäler sieht man besonders wenn der Weidegang seine Gipfelzeit erreicht hat, außer einem grünen, satten kurz geweideten Grasteppich und kleinen, braun schimmernden Torf- und Quellmooren nur noch die vereinsamten Stängel des Weißen Germers und Eisenhuts. Diese werden vom Vieh ihrer Giftigkeit wegen gemieden. Aufgelassene Sennhütten und Umzäunungen für Schafe hinterlassen ihre Spuren in Form von Alpenampferfluren (Rumex alpinus) und Brennnesselfeldern, die sich an gut gedüngten, stickstoffhaltigen Standorten in voller Pracht und Üppigkeit ausbreiten.

Ein Meer von Steinen

Stumm locken die Felsgrate und Geröllhalden. Auf den ersten Blick könnte man wohl meinen, dass außer den von Landkartenflechten überzogenen Felsblöcken kaum viel anderes an Leben vorkommt. Doch wo bleibt die bunte Vielfalt der Alpenflora? – Kleine, dem Höhenklima angepasste Pflänzchen ducken sich an die Kanten, über die der Wind fegt. Alpine Matten der Krummsegge mit Zwergprimel – die Krummseggen-Primelgesellschaft – (Carex curvula-Primula minima), Gamsbart (Juncus trifidus), Zweizeiliges Kopfgras (Oreochloa disticha) und Niedriger Schwingel, die Grate, Felsbänder und Felsrücken besiedeln, ziehen sich durch das ganze Gebiet. Ihre Begleiter sind eine Reihe kleinster Hochgebirgspflanzen wie die Alpenglockenblume (Campanula alpina), Teufelskralle (Phyteuma nanum), Karpatenkreuzkraut (Senecio carpaticus), Karpatenkamille (Anthemis carpatica) u. a. Kriechweiden (Salix herbacea, reticulata, retusa), Liegende Gemsheide (Loiseleuria procumbens), Moosartiger Steinbrech (Saxifraga bryoides), Stengelloses Leimkraut (Silene acaulis) u. a. m., ebenso eine Reihe von Flechten (Wurmflechte, Isländisches Moos u. a.) sind an die extremen Bedingungen der windgefegten Gipfel angepasst. Kennzeichnend für das Fogarascher Gebirge ist das in den Südkarpaten (Fog.- Geb. und Ţarcu-Godeanu) endemische rot blühende Dinarische Leimkraut (Silene dinarica). Es kommt in Felsspalten, im gesamten alpinen gebiet vom Surul bis zur Tărâţa und dem Urlea hin vor. An Felsen findet sich zerstreut auch die ebenfalls in den Südkarpaten endemische Siebenbürgische Akelei (Aquilegia transsilvanica). An ähnlichen Standorten, vor allem aber auf Geröllhalden und auf Felsbändern ist eine endemische Schafgarbenart (Achillea schurii) verbreitet. Auch die meisten Steinbrech (Saxifraga)- und Mannsschildarten (Androsace) sind in Felsspalten und auf alpinem Feingeröll zu Hause. So sind Moschus- und Immergrüner Steinbrech (Saxifraga moschata und aizoides) die Grundsteine einer kennzeichnenden alpinen Geröllgesellschaft. Zweinarbiger Säuerling (Oxyria digyna) und Karpatengemswurz (Doronicum carpaticum) besiedeln Geröllhalden z. B. an der Südseite des Negoi auf dem Weg zum Calţun-See.
Nicht zu übersehen sind die so genannten „Schneetälchengesellschaften“, deren Entwicklung an spät schmelzende Schneeflecken gebunden und angepasst ist. Zu diesen gehören eine Reihe von winzigen, hochalpinen Arten, wie das Alpenglöckchen (Soldanella pusilla), Enzianblättriger Wegerich (Plantago gentianoides), Kleines Ruhrkraut (Canaphalium supinum), Zweiblütiges Sandkraut (Arenaria biflora), Gletscherhahnenfuß (Ranunculus glacialis und crenatus), Alpenbärenwurz (Ligusticum mutellina) u. a. m.
Vie bunter noch wirkt der Pflanzenteppich auf Felsen aus kristallinem Kalk, der hier und da im Fogarascher Gebirge (beim Tătar-Surul, über dem Frecker See auf der Ciortea, im Avrigel-Tal unterhalb des Frecker Sees, im Doamnei-Tal und an anderen Stellen) hervortritt. Die silbrig-filzige Edelraute (Artemisia petrosa), Karpatenspitzkiel (Oytropis carpatica), Siebenbürgische Esparsette (Onobrychis transsilvanica), Gletschernelke (Dianthus glacialis), Gegenblättriger Steinbrech (Saxifraga oppositifolia), Faltenlilie (Lloydia serotina) und viele andere zieren die Felsbänder.
Und jedes Pflänzchen ist ein lebendiger Baustein, jedes Fleckchen eine kleine Welt für sich, harmonisch eingefügt in das Ganze, das große Bauwerk der Natur.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 74, S. 214 – 223)

Seite Bildunterschrift
 
216 Die schöne Telekie (Telekia speciosa) ist in den Karpaten heimisch.
216 Die obere Waldgrenze im Şerbota-Tal.
217 Alpenrosenblüte
219 Vorfrühling unter dem Großen Fenster (Sâmbăta-Tal).
221-1 immergrüner Steinbrech (Saxifraga aizoides L.)
221-2 Moschus-Steinbrech (Saxifraga moschata Wulf)
221-3 Karpaten-Steinrech (Saxifraga carpatica Borb.)
221-4 Mannsschildartiger Steinbrech (Saxifraga androsacea L.)
221-5 Kleine Teufelskralle (Phyteuma nanum Schur)
221-6 Zwergprimel (Primula minima L.)
222-1 Gletschernelke (Dianthus glacialis Haenke)
222-2 Dinarisches Leimkraut (Silene dinarica Spreng.)
222-3 Kerbblättriger Hahnenfuß (Ranunculus crenatus W. et K.)
222-4 Schurschafgarbe (Achillea schurii Sch.-Bip.)
222-5 Liegende Gemsheide (Loiseleuria procumbens [L] Dev.)
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