Eine Anregung zur Besteigung des höchsten Gebirgsmassivs der Ostkarpaten
von Dr. H. G. Kräutner
Warum ist das Rodnaer Gebirge verhältnismäßig wenig von Touristen besucht? Wer eine Reise in den „weiten Norden“ nicht scheut und bereit ist, ein paar Tage zu zelten, wird, fern vom modernen Touristentrubel, durch eine wunderschöne Bergwelt reichlich belohnt.
Die morphologische Ausbildung des nördlichen Teils der Ostkarpaten verdankt ihre
eigenartige Konfiguration einem pfeilartig gegen die Innenseite des Karpatenbogens
vorstoßenden Gebirgszugs – dem Rodnaer Gebirge. Um die besondere Ausbildung dieses
Hochgebirges im Vergleich zu dem üblichen Relief der Ostkarpaten zu unterstreichen und
auch die Verwandtschaft seines Formenschatzes mit demjenigen der Alpen zu betonen,
wurde das Rodnaer Gebirge in alten Schriften oft als „Rodnaer Alpen“ bezeichnet.
Das Rodnaer Massiv liegt an der Verzweigung des Hauptzuges der nördlichen Ostkarpaten,
zwischen dem Maramureşer Becken, dem Siebenbürgischen Becken und dem Bărgăuer
Gebirge. Im Nordwesten verlieren sich seine Höhen allmählich gegen den Ţibleş-Gutâier
Gebirgszug. Im Osten hängt es durch zwei Sättel (Prislop und Rotunda) am Hauptkamm der
Ostkarpaten, von dem es durch das Tal der Goldenen Bistritz begrenzt wird.
Im Vergleich zu dem ruhigen, abgerundeten Relief der östlich gelegenen Bukowina mit
grünen, blumenreichen Wiesen und dunklen Wäldern unter blauem Himmel erhebt sich
majestätisch aus dem Urwald der steile felsige Kamm des Rodnaer Gebirges. Dieser
morphologische Kontrast geht auf eine jungtektonische Erhebung zurück, durch die das
Rodnaer Massiv entlang zweier Hauptverwerfungen (die Dragoş-Linie im Norden und die
Someş-Linie im Süden) vor Beginn der quartären Vergletscherung aus einem Hügelland
emporstieg. Dadurch wurde eine hohe Erosionsenergie geschaffen, durch die Wasser und
Eis den heutigen Formenschatz modellierten. Die dem Rodnaer Gebirge eigene besondere
Mannigfaltigkeit der Reliefformen wurde dabei durch den komplizierten geologischen Bau
des Gebirges bedingt. Neben den dominierenden scharfen Kämmen in kristallinen Schiefern
findet man massige felsige Höhen im Gneis und auch steile weiße Wände einer Kalk- und
Dolomit-Landschaft.
Das Rodnaer Gebirge stellt die größte Massenerhebung der Ostkarpaten dar und weist
zugleich die größte Kamm- und Gipfelhöhe auf. Sein 50 km langer Kamm (Ost-West-
Richtung) erhebt sich 20 km lang meist über 2000 m und kulminiert im Westen durch den
Pietrosul (2303 m) und im Osten mit der Spitze des Ineu (Kuhhorn, 2279 m). Er bildet die
Wasserscheide zwischen der Goldenen Bistritz und Vişeu-Borşa im Norden und dem
Großen Someş im Süden. Die Höhe und die ostwestliche Orientierung des Hauptkamms
sowie die große Massenerhebung des Gebirges waren der Bildung von Gletschern im
Quartär günstig, vor allem am steilen Nordhang. So finden wir in jedem der neun nördlichen
Haupttäler Spuren eiszeitlicher Gletschererosionen vor, und zwar Kare, Moränen,
Rundhöcker. Einige Kare befinden sich auch auf der Südseite.
Im geologischen Aufbau herrschen bei weitem die kristallinen Schiefer bei
Sedimentablagerungen vor. Die metamorphen Gesteine sind in einem komplizierten
alpidischen Deckensystem aufgetürmt. Sie umfassen meistens über 800 Millionen Jahre alte
Glimmerschiefer, Gneise, Amphibolite, Kalksteine, Dolomite und herzynische (400 – 300
Millionen Jahre alte) Serizit-, Chlorit-, Graphit-Schiefer und Kalksteine.
Entlang der beiden Längsverwerfungen, die das Rodnaer Massiv im Süden und im Norden
begrenzen, quellen an zahlreichen Stellen Mineralwässer und Säuerlinge hervor. Davon sind
vor allem diejenigen der südlichen Linie wichtig, wo sich auch der bekannte Kurort Sângeorz-
Băi befindet.
Wegen seiner nördlichen Lage und der im allgemeinen spärlichen Hütten und
Wegmarkierungen (Der Hauptkamm war 1997 gut markiert.) ist das Rodnaer Gebirge im
Vergleich zu den südlicheren touristischen Gegenden Rumäniens weniger von Wanderern
begangen. Es bietet uns deshalb einen vom modernen Touristentrubel noch ungestörten
Hauch unangetasteter Natur, mit reicher Tierwelt, bunter Flora und einem echten
Hirtenleben.
Am eindrucksvollsten wirken im Juni und Juli die ausgedehnten Alpenrosenfelder, die, wie
auch die Latschen, ganze Hänge überziehen. Die Kalkwände des Coronghiş, der Piatra Rea
und des Cormaia-Tales schmückt das unter Naturschutz stehende Edelweiß (Leontopodium
alpinum). Außer Enzian, der behaarten Alpenglockenblume (Campanulla alpina) und der
Karpatenglockenblume (Campanulla montana) soll besonders auf die parfümierte weiße
Gebirgsnelke (Dianthus spiculifolius) hingewiesen werden. Abseits von begangenen Wegen
kann man den Karpatenhirsch, Rehe und Wildschweine treffen, im Wald oder in
Latschenfeldern auch Bären begegnen, die sich als ungebetene Besucher der Schafherden
bei den Hirten sehr unbeliebt machen. Gämsen gibt es hingegen keine mehr, seit längerer
Zeit sind sie gänzlich den Wilderern erlegen.
Über der Waldgrenze bevölkern zahlreiche Schafherden das Rodnaer Gebirge. Sie stehen
stets im Schutze eines kleinen Rudels zottiger Schäferhunde, die dem Wanderer einen
unfreundlichen Empfang bieten. Die auf das Gebell mit dem Schäferstab herbeieilenden
Hirten sind dagegen immer gastfreundlich, froh darüber, ein Gespräch aufnehmen und den
Fremden bewirten zu können. Oft trifft man auch Rinderherden an. Am Muntele Cailor
grasen stets zahlreiche Pferde.
Jährlich findet im Sommer am Prislop ein Volksfest (Hora de la Prislop, am zweiten
August-Sonntag) statt, das einen willkommenen Einblick in die bunten Trachten, in Volkskunst und
Sitten der Maramureşer Bauern bietet.
Über Vatra Dornei, Borşa, Vişău, Năsăud (Bistritz).
Für die Nordseite des Rodnaer Gebirges folgende Haltestellen der Buslinie Vatra Dornei –
Vişău: Rotunda, Gura Lalei, Şesuri, Prislop, Gura Fântânii, Repedea, Borşa.
Für die Südseite folgende Haltestellen der Eisenbahnlinie Ilva Mică – Rodna Veche
(Abzweigung der Linie Beclean – Ilva – Vatra Dornei) oder der Buslinien Ilva Mică – Rodna
Veche und Năsăud (Bistritz) – Rodna Veche – Şanţ: Sângeorz-Băi, Anieş, Rodna Veche,
Şanţ.
Für die Westseite folgende Haltestellen der Eisenbahnlinie Salva – Vişău: Telciu, Dealul
Ştefăniţei.
Am Fuße des Rodnaer Gebirges: Touristenkomplex Gura Fântânii, Hütte Cormaia, Jagdhütten Tinosul Mare und Anieş, Hotels in Sângeorz-Băi, Unterkunft bei Bauern in allen Ortschaften. Höher gelegene Hütten: Hanul Prislop – 1410 m, Schutzhütte Puzdra – 1540 m (nur Pritschen), Meteorologische Hütte Pietrosul – 1780 m.
Im Folgenden einige Tipps und Hinweise über die besten Wege und schönsten Stellen. Die schwache Ausstattung mit Hütten erlabt nur beschränkte Eintagwanderungen, es sei denn, man steigt täglich vom Fuß zum Kamm und wieder hinunter. Für mehrtägige Touren ist das Zelten daher unentbehrlich, dafür aber lohnenswert. Die Wegmarkierungen sind im Allgemeinen ungenügend. (Der Hauptkamm war 1997 gut markiert.)
Die schönste Tour bietet der Hauptkamm vom Ineu (Kuhhorn – 2279 m) zum Pietros (2303
m): zwei Tage Kammwanderung (ca. 25 km). Der gesamte Hauptkamm erstreckt sich über
50 km (vier Tage Kammwanderung) vom Rotunda-Pass im Osten bis zum Setrefu-Pass im
Westen. Empfehlenswerte Stellen zum Zelten: Lala-See (unter dem Ineu) (1997
Naturschutzgebiet – Zelten verboten) Gărgălău-Sattel, Între Izvoare zwischen der Repedea-
und Negreasa-Spitze, Bătrâna.
Die Kammwanderung führt vom Rotunda-Pass (1230 m) über die mit Latschen bedeckte
Gaja zum Ineu. Dabei kann man den bequemeren Weg durch das Lala-Kar (mit Lala-See)
oder den steilen Aufstieg über die Ineuţ-Spitze wählen. Vom Ineu (2279 m) bietet sich einer
der schönsten Gesamtausblicke auf das Rodnaer Massiv und eine einzigartige Übersicht
gegen Osten auf das Bistritzer (Bukowina) und Maramureşer Gebirge. Weiter bis zur Cisa
(2060 m) geht es über den scharfen, zackigen Kamm der Coasta Netedă. Von der Cisa
gegen Westen bis zum Omul (2120 m) ist die steile Nordwand im Vergleich zu dem flach
abfallenden südlichen Hang bemerkenswert. Vom Omul lohnt sich ein 4 km langer Abstecher
nach Süden, um auf die Kalkspitze des Coronghiş zu klettern. Beim Omul biegt der
Hauptkamm rechtwinklig gegen Norden und führt über den massigen Gărgălău (2158 m)
zum Plateau des Muntele Cailor. Gegen Westen folgen die steilen Spitzen des Galaţiul,
Vârful Laptelui, Puzdra (2188 m, mit wundervoller Aussicht) und Negoiasa bis zu dem „Între
Izvoare“ genannten Sattel, dem mehrere Quellen im Kalkstein besonderen Reiz verleihen.
Bei ungünstigem Wetter können die genannten Spitzen auf der Höhe der Sättel umgangen
werden. Westlich der Repedea-Spitze (2074 m, mit schönem Ausblick nach Norden und
Süden) folgt das Plateau der Obârşia Rebrei bis zum Buhăescul Mare (2122 m), aus dem
sich gegen Norden ein scharfer Seitenkamm über die Rebra-Spitze (2269 m) bis zum
Pietrosul erstreckt. Der Ausblick vom Pietrosul (2303 m) ist besonders ergreifend, da diese
höchste Spitze des Rodnaer Gebirges 2,5 km vom Hauptkamm absteht und sich steil, 1500
m über das Maramureşer Hügelland erhebt. Der Hauptkamm verläuft weiter über die
Gropilor-Spitze bis zur breiten Bătrâna (1709 m), von wo er allmählich bis zum Setrefu-Pass
sinkt.
Der Aufstieg zum Hauptkamm ist oft nicht minder schön als die Kammwanderung selbst. Markierte Wege gibt es verhältnismäßig wenige. Dagegen führen fast durch jedes Tal und über die meisten Seitenkämme gute und leicht verfolgbare Hirtenstege. Folgende Auf- bzw. Abstiege können empfohlen werden:
Wanderung | Bemerkung |
---|---|
1. Borşa – Pietrosul | (5 – 6 Stunden, steiler Aufstieg) |
2. Repedea – Repedea-Tal – Între Izvoare | (5 – 6 Stunden, unmarkiert) |
3. Gura Fântânii – Cimpoiasa-Tal – Galaţiul | (5 – 6 Stunden) |
4. Gura Fântânii – Fântâna-Tal – Wasserfall (400 m hoch, aus dem Tal nicht übersehbar) – Stiol – Gărgălău-Sattel durch das Bistritz-Kar | (5 – 6 Stunden) |
5. Prislop – Stiol – Gărgălău-Sattel durch das Bistritz-Kar | (3 – 4 Stunden) |
6. Gura Lalei – Lala-Tal – Lala-Kar mit See – Ineu | (12 km, 8 Stunden) |
7. Rotunda-Pass – Gaja – Lala-Kar mit See – Ineu | (12 km, 8 Stunden) |
8. Rodna Veche – Beneş – Ineu | (ca. 13 km, 10 Stunden) |
9. Valea Vinului – Băii-Tal – Gaura Mare – Ineu | (8 – 9 km, 5 – 6 Stunden) |
10. Valea Vinului – Izvorul Roşu – Cisa | (6 – 7 km, 4 – 5 Stunden) |
11. Anieş – Anieş-Tal – Jagdhütte Anieş – Izvorul
Galaţiului – Izvorul Cepii – Gărgălău-Sattel |
(25 km, davon 16 km befahrbarer Forstweg, eine volle Tageswanderung) |
12. Cormaia-Hütte – Cormaia-Tal – Repedea-Spitze | (12 km, 7 – 8 Stunden) |
Von jeder Hütte oder Ortschaft können schöne Tagesausflüge, mit Rückkehr zur Ausgangsstelle, unternommen werden. Einige Tipps in dieser Hinsicht:
Wanderung | Bemerkung |
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1. Gura Fântânii – Fântâna-Tal – Wasserfall. | Von da zurück oder über den Stiol, den Kamm hinunter zur Fântâna-Hütte. |
2. Hanul Prislop – Stiol – Hauptkamm. | Rückkehr durch das Bistritz-Kar. |
3. Jagdhütte Tinosul Mare – Bila-Tal bis in das Bila-Kar unter dem Ineu | |
4. Valea Vinului – Ineu und zurück | (schwere Tour) |
5. Valea Vinului – Izvorul Roşu – Coronghiş – Săcii-Spitze – Valea Vinului | (schwere Tour) |
(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 74, S. 109 – 115)
Seite | Bildunterschrift |
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110 | In Mihăiaşa lässt es sich gut zelten. Im Hintergrund der Lapetelui-Gipfel. |
111 | Schneewächten auf dem Kuhhorn (Ineu-Kamm). |
113 | Das Rodna-Gebirge aus dem Lala-Tal gesehen. |
115 |
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